Stefan Arold - Interessantes für Interessierte

Lebensstil und Design in den 60er Jahren

Die sechziger Jahre begannen in der Bundesrepublik noch ziemlich bieder. Man war es mehr oder weniger gewohnt, den Lebensstil der Elterngeneration zu übernehmen. Je mehr sich die Bundesrepublik etablierte, umso deutlicher regte sich aber unter der jungen Generation auch Widerstand gegen die überkommenen Ansichten der Eltern oder Großeltern. Viele junge Menschen fühlten sich nicht wahrgenommen, vor allem, weil sie im Hinblick auf die Fragen zur jüngeren deutsche Geschichte keine oder nur ausweichende Antworten erhielten. So ist es also nicht verwunderlich, dass sich der Frust hierüber irgendwann einmal entlud. Die Studentenproteste Ende der sechziger Jahre boten hierzu willkommenen Anlass. Die so genannte 68er Generation, junge Leute in der Endphase der schulischen Ausbildung oder im Studium wollten nun Antworten auf die sie bewegenden Fragen zum 2. Weltkrieg und dem Nationalsozialismus. Themen, die in der Bundesrepublik allerdings totgeschwiegen und unter einem Mäntelchen der Spießigkeit versteckt wurden. Wen wundert es da, dass der Spruch "Unter den Talaren, den Muff von 1000 Jahren" geprägt wurde. 

Je mehr die Jugend hiervon ausgegrenzt wurde, desto mehr schuf sie sich eine eigene Kultur, die sich gezielt von ihren Eltern abgrenzte. Aussehen und Bekleidung spielten dabei eine wichtige Rolle. Musiker wie die Beatles waren dabei die Wegbereiter, dem Protest über das Aussehen Nachdruck zu verleihen. Gerade die vier Jungs aus Liverpool hatten sich während ihrer Zeit in Deutschland ein eigenwilliges Aussehen und Auftreten zugelegt. Zwar trugen sie zu ihren Konzerten brav Anzüge, aber ihre Haarpracht stand dazu im völligen Widerspruch zur Kleidung. So sahen sie dann aus, als kämen sie von einem anderen Stern. Die Haare wurden nicht mehr kurz und streng gescheitelt getragen, sondern wuchsen über die Ohren und zwar gerade so wie sie fielen. Die so genannte "Pilzkopf-Frisur" war kreiert und entwickelt sich schnell zum Ausdruck eigenständiger Jugenderscheinung. Ihren Ursprung hatte dieses Aussehen durch die französischen Existenzialisten erhalten, die beständig in schwarzer enger Hose und Pullover sowie dem oben genannten Haarschnitt durch die Gegend liefen und beeinflusst waren von Jean Paul Satre, Simone de Beauvoir, oder Gabriel Marcel. Im Kern ging es dabei vor allem um Begriffe wie  "Selbstentwurf, Freiheit und Selbstbestimmung", also einen Lebensentwurf kreieren ohne bevormundet zu sein. Davon war man in der Bundesrepublik in den 60er Jahren noch weit entfernt. Witzig dabei; die Pilskopffrisuren legten sich die Beatles erst in Deutschland zu und zwar als sie dort durch Bekannte mit den entsprechenden Personengruppen in Verbindung gekommen waren.

Auch die Frauen zeigten sich im Laufe der 60er Jahre selbstbewusst. Das Aussehen unterstrichen sie bewusst durch ihre Kleidung. Der Minirock hielt in Einzug in deutschen Kleiderschränken, vor allem bei den jungen Damen. Die "Mini-"Mode war frivol und zeugte von Selbstbewusstsein, das nicht jede(r) Bundesbürger(in) gerne sah. Bei den Frauen dominierte in dieser Zeit die so genannte "Beehive"-Frisur, die übersetzt soviel wie Bienenkorb-Frisur bedeutet. Dank des Haarsprays aus der Dose konnte sich die Damenwelt geradezu kunstvolle Türme auf den Kopf frisieren. Für einen Abend mag das wohl gehalten haben. Für eine andere Freiheit und Emanzipation sorgte gegen Ende der 60er Jahre auch die Einführung der Pille als Verhütungsmittel in Deutschland. Damit ein ging die sexuelle Revolution, die in der Proklamation der freien Liebe am Ende des Jahrzehnts gipfelte. Die Angst vor ungewollter Schwangerschaft sank und auch das Verhältnis der Geschlechter zueinander wurde damit unverkrampfter. Frauen konnten nun selbst die Lebensplanung oder den Zeitpunkt einer Schwangerschaft bestimmen. Überhaupt gehörte zur sexuellen Revolution auch ein neues, unverkrampfteres Verständnis zur Aufklärung. Oswald Kolle führte in der Bundesrepublik das verschämt behandelte Thema in die Öffentlichkeit. Beate Uhse ihrerseits zog daraus geschäftlichen Erfolg, der nicht überall gut gelitten war. Die Gründung sogenannter Kommunen ist ebenfalls Ausdruck für eine gewisse Selbstbefreiung, was nicht überall auf uneingeschränkte Zustimmung stieß. Die Kommunen zeichneten sich vor allem auch durch eine andere Art im Umgang mit den Generationen aus. Die so genannte 68er-Generation sprach sich angesichts des Vietnam-Krieges gegen den Einsatz von Gewalt aus. Wohingegen bei mancher Studenten-Demo dieses Prinzip keine Anwendung zu finden schien. Auch in der Erziehung hielten der "Laissez Fair"-Stil sowie die "Antiautoritäre Erziehung" Einzug. Aus heutiger Sicht weiß man, dass viele dieser neuen Versuche gescheitert sind und die hohen in sie gesetzten Ideale nicht erfüllen konnten.

Einrichtungstechnisch bestimmte die klare Linie mit offenen und weiten Räumen die 60er Jahre, zumindest in den besser begüterten Haushalten. Der Ball-Chair, der aus Finnland als exklusives Design-Stück in die europäischen Wohnzimmer kam, zeigte dass man in der Innengestaltung Funktionalität mit Extravaganz kombinieren wollte. Dazu sollte es aber möglichst schlicht zugehen. Glatte Oberflächen, Schleiflack und Glasflächen stehen für Transparenz und Nüchternheit. Die Wände waren oftmals mit gemusterten Teppichen geschmückt. Zunehmend verabschiedete sich Deutschland, auch in der Einrichtung von bürgerlich-konservativen Ansichten und die Bevölkerung verlieh dem Aussehen seiner Räume und Zimmer ein moderneres Aussehen. Das Sideboard gehörte ins Esszimmer, dazu der Tisch mit vier einfach und glatt gehaltenen Stühlen. Keinesfalls sollte der Raum überladen und einengend wirken. Die Beleuchtung hing wie eh und je von der Decke, aber statt eines schweren Lüsters oder Kronleuchters wirkten die neuen Deckenbeleuchtungen wie schwebende Kugeln im Raum.

Bekleidungstechnisch herrschte in der Bundesrepbulik im Alltag noch immer die adrette Kleidung vor. Der Anzug oder zumindest die Kombination waren für den Herren nicht wegzudenken. Sogar die Kinder gingen am Wochenende noch im Sonntagsstaat in die Kirche oder spazieren. Die Frisuren hatten bei den Herren der Schöpfung schön ordentlich frisiert und kurz geschnitten zu sein, die Ohren natürlich frei. Das Tragen der Haare über den Ohren galt als ungepflegtes Erscheinen. Der Hut gehörte noch zum festen Ausstattungselement der männlichen Bekleidung, obwohl er bereits aus dem Bild der Öffentlichkeit zu verschwinden begann.

Die Frauen trugen gesittet Kostüme oder Röcke. Die Hose als Bekleidungsstück nahm jedoch zu, wenn gleich auch oftmals nur in der Freizeit. Aus Großbritannien schwappte die "Mini"-Welle nach Europa über. Die Röcke wurden darauf hin sehr kurz (und die Hälse der Männer dafür länger). Frauen stellten mit dieser Mode ein gewisses Maß an Eigenständigkeit und Emanzipation zur Schau. Der Hut als festes Bekleidungs-Acessoire war auch bei der Damenwelt auf dem Rückzug. Handschuhe und Handtasche gehörten aber noch zum festen Repertoire, sofern man sich bei entsprechenden Anlässen in der Öffentlichkeit zeigte. Am Ende der 60er Jahre setzte sich der Individualismus in Bekleidungsfragen immer stärker durch. Uniformität im Aussehen und Auftreten ging damit seinem Ende entgegen.