Die
Länderbahnzeit
(1835 - 1919)
Als
am 7. Dezember 1835 der erste Zug mit der Lokomotive "Adler" von
Nürnberg nach Fürth dampfte, ahnte noch niemand mit welcher rasanten
Entwicklung sich dieses Fortbewegungsmittel in Deutschland ausbreiten
und welche revolutionären Auswirkungen es auf Industrie, Wirtschaft,
Bevölkerung und das Staatswesen insgesamt ausüben würde. Kritische
Stimmen warnten davor, dass die hohe Reisegeschwindigkeit (30 km/h) zu
Ohnmachtsanfällen führen könne. Die rauchenden Ungetüme von
Dampflokomotiven mache das Vieh auf den Feldern scheu. Trotz aller
Unkenrufe konnten sich die modernen Kräfte mit ihren Vorstellungen beim
Bau der Bahn durchsetzen. Die Initiative für dieses innovative
Beförderungsmittel ging dabei weniger vom staatlichen
Souverän als vom zahlungskräftigen Bürgertum aus. Um genügend Kapital
für das kostspielige und nicht risikoarme Unternehmen aufzubringen
wurden Aktiengesellschaften gegründet. Das Material und Know how musste
in den Anfangsjahren noch nach Deutschland importiert werden. Der
"Adler"
sowie der dazugehörige Lokomotivführer James Wilson waren Importe aus
dem
Mutterland des Eisenbahnbaus, aus England. Dort war man mit der
industriellen Entwicklung schon weiter vorangeschritten und auch die
Eisenbahn hatte sich bereits als Transportmittel etabliert Der
Transport der ersten Lokomotive nach
Deutschland gestaltete sich langwierig und dauerte knapp ein halbes
Jahr. Er erfolgte auf dem Wasser- und dem Landweg in ein Dutzend
Kisten. Sogar die ersten gusseisernen Schienen mussten aus England
eingeführt werden, da die deutschen Werke noch nicht über die
Leistungsfähigkeit verfügten, die entsprechende Menge des
erforderlichen Schienenmaterials selbst
herstellen zu können. Übrigens übernahm man von der Insel auch die so
genannte Normalspurbreite mit 1435 mm zwischen den beiden Schienen.
Erst nach und nach bildete sich die für das
Eisenbahnwesen benötigte Schwerindustrie im eigenen Lande aus. Bereits
1838 wurde mit der "Saxonia" die erste deutsche Dampflokomotive gebaut.
Die Lok war vollkommen funktionstüchtig, dennoch misstrauten die
Verantwortlichen ihrem Konstrukteur und der Lok selbst, so dass man das
englische Material noch der eigenen Schaffenskraft vorzog. Übrigens
blieb die Grundkonstruktion der Dampflok bis in die Endphase so gut wie
unverändert und folgte dem Stephenson'schen Prinzip (Stehkessel mit
Feuerbuchse, Langkessel, mit Rauch- und Überhitzerrohren sowie der
Rauchkammer).

Aus
den
ersten fünf Schienenkilometern des Jahres 1835 entwickelte sich
innerhalb von
nur 35 Jahren eine komplettes, das gesamte deutsche Territorium
umfassende Schienennetz. Weitsichtige
Ökonomen wie z.B. Friedrich List erkannten bereits früh die Bedeutung
des Schienenverkehrs zur Beseitigung der deutschen Kleinstaaterei des
19. Jahrhunderts, grenzüberschreitender Verkehr und damit verbundene
fallende Zollschranken sollten auf wirtschaftlichem Wege zu einer
Einigung aller deutschen Fürsten- und Königshäuser führen. Die Gründung
des Deutschen Zollvereins im Jahr 1834 stellte hierzu bereits den
ersten Schritt dar. Aber der Weg
dorthin war steinig. Zunächst galt es, Eisenbahnen über einen lokalen
Bereich hinaus zu bauen. Die erste Fernverkehrsstrecke verband 1839 die
beiden sächsischen Städte Leipzig und Dresden
miteinander. Das Streckenprofil erforderte bereits etliche Kunstbauten,
wie Brücken und Tunnels, die das Können der damaligen Ingenieure stark
forderte. Nach nur drei Jahren Bauzeit (ohne größere
technische und industrielle Hilfsmittel) konnte die Strecke 1839 ihrer
Bestimmung übergeben werden. Was der Bahnbau in Deutschland
bewirkte, ist vor allem dann
begreifbar, wenn man sich vor Augen führt, dass z.B. mit der Eröffnung
der ersten
Eisenbahn von Kiel nach Altona (damals noch zu Schleswig und Holstein
gehörig) im Jahr 1844 die Reisezeit von ehemals 43 Stunden mit der
Kutsche auf rund drei Stunden sank.
Zunehmend
erkannten nun auch die
Herrscher der
einzelnen deutschen Staatsterritorien die Bedeutung des Eisenbahnwesens
und
brachten sich jetzt stärker bei der Finanzierung der Projekte mit ein.
Diese wurden im Laufe der Zeit immer kostspieliger und überstiegen
zudem die Möglichkeiten der privaten Investoren. In den 50er Jahren des
19. Jahrhunderts waren bereits das sächsische Königreich mit dem
Bayerischen
verbunden.
Jetzt bestand eine Verbindung vom Bodensee bis nach Dresden. Hierbei
sind vor allem die herausragenden Kunstbauen wie z.B. die
Göltzschtalbrücke zu erwähnen. Sie ist nach wie vor die größte
Ziegelbrücke der Welt. Bei einer Gesamtlänge von 574 Metern und einer
lichten Höhe von 78 Metern wurden mehr als 26 Mio. Ziegel verbaut. Das
beeindruckendste ist nach wie vor die Bauzeit nach nur fünf Jahren
wurde die Brücke 1851 ohne den Einsatz größerer technischer Hilfsmittel
fertiggestellt. Die Gesamtkosten beliefen sich auf ca. 2,2 Mio Taler.
Bis 1860
waren schon mehr als 11.633 km Schienen auf deutschem Boden verlegt,
zehn Jahre später immerhin 19.575 km. Im Jahre 1880 verfügte das
Deutsche Reich über ein Schienennetz mit 33.838 km und bis zum Ausbruch
des Ersten Weltkriegs hatte sich das Gesamtnetz inklusive der Lokal-
und Nebenbahnen auf stattliche 65.000 km ausgeweitet. Damit hatte es
seine größte Ausweitung und zugleich seinen Höhepunkt erreicht.
Mit
dem
Bau der Eisenbahn entwickelte sich auch die dazugehörige Industrie im
eigenen Lande. Lokomotivfabriken schossen in den Deutschland
aus dem Boden. Wohlbekannte Namen wie Johann August Borsig mit seiner
Maschinenfabrik in Berlin-Tegel, die Herren Krauss und J.A. Maffai in
München,
Maschinenfabrik Esslingen, Louis Schwartzkopff oder die Hartmannsche
Fabrik in Chemnitz, die Firma Henschel in Kassel sowie der Wagon- und
Eisenbau der Familie Cramer-Klett bzw. MAN sind hierfür
Ausdruck der aufstrebenden deutschen Schwerindustrie. Die Entwicklung
des Maschinenbaus machte große Fortschritte. Im Jahr 1879 stellte
Werner Siemens auf der Berliner Gewerbeausstellung die erste
elektrische Lokomotive der staunenden Welt vor. Der Lokomotivbau gewann
im
wahrsten Sinne des Wortes an Fahrt. Die Transportzahlen und der
wirtschaftliche Aufschwung sprachen für sich. Bis zu den 60er Jahren
des 19. Jahrhunderts herrschte in Deutschland der so genannte
Gründerzeit-Boom. Der Name Levi Strousberg, als deutscher
Eisenbahnkönig ist eng mit dieser Zeit verbunden.
Das
Transportwesen
beflügelte nicht nur die Wirtschaft, sondern sorgte auch dafür, dass
Deutschland aus dem agrarischen Staatswesen heraus und in das
industrielle Zeitalter eintrat, gleichwohl auch mit allen Problemen,
die hiermit verbunden waren. So wuchsen die Städte in kurzer Zeit
enorm. Ungelerntes Personal bildete eine proletarische Unterschicht,
die in schlecht belüfteten und belichteten Mietskasernen untergebracht
war. Es gab noch kaum eine soziale Absicherung. Das Kranken- und
Sozialversicherungswesen steckte noch in den Kinderschuhen und sollte
sich erst zum Ende des Jahrhunderts ausbilden. Dafür gewährleistete der
Bahnbau auch ungelernten Kräften Beschäftigungs- und
Einkommensmöglichkeiten. Die Arbeit war schwer und nicht ungefährlich.
Die enormen Erdbewegungen, die zur Trassierung der Strecken bewegt
werden mussten, erforderten unzählige Arbeitskräfte. Anderenfalls wäre
die enorme Leistung des Eisenbahnbaus nicht bewerkstelligt worden. Die
Eisenbahn benötigte zudem immer mehr Personal, Lokführer, Heizer,
Schaffner, Bahnhofs-, Rangier- und Stellwerkspersonal, Schrankenwärter
und Streckenläufer.
Da
das Verkehrsmittel Eisenbahn immer stärker frequentiert wurde, musste
auch die Sicherheit der beförderten Personen und Güter nachhaltig
verbessert werden. Die ersten auf Räder und auf Schienen gestellten
Kutschkamisen wichen schon bald gut ausgestatteten Wagons. Auch in der
Dritten Klasse musste bald niemand mehr im ungedeckten Wagen fahren,
das vor allem bei schlechter Witterung eine Zumutung war. Die
Erfindung der
durchgängigen Druckluftbremse bedeutete ebenfalls einen Gewinn an
Sicherheit. Das Signalwesen entwickelte sich beständig und auch der Bau
des Schienennetzes verlangte aufgrund der steigenden Belastung einer
immer weitergehenden Entwicklung. Darüber hinaus erhöhte sich
die
Geschwindigkeit der Züge erheblich. Fuhr die erste Dampflok
noch mit einer Höchstgeschwindigkeit von 35 km/h, was damals bereits
als atemberaubend galt, durchbrach man auf Versuchsfahrten mit
Drehstromtriebwagen im Jahre 1903 bereits die Marke von 210 km/h.
Schnellzug-Dampflokomotiven mit einer Höchstgeschwindigkeit von 120 bis
140 km/h waren zu dieser Zeit bereits keine Seltenheit mehr.
Auch das Militär erkannte die
Bedeutung des neuen Transportmittels für seine Zwecke.
Truppenaufmärsche ließen sich mit der Eisenbahn in großer Anzahl und
mit dem nötigen zeitlichen Gewinn organisieren. Es war deshalb nicht
verwunderlich, dass Preußen seine militärischen Auseinandersetzungen
vor allem deswegen gewann, weil es konsequent die Truppenverlagerungen
mittels der Eisenbahn und einer ausgefeilten Logistik vollzog. Dies
wiederum führte auch dazu, dass der Deutsch-Französische Krieg der
Jahre 1870/71 zu Gunsten Deutschlands ausging. Nach dem Krieg vollzog
sich das, woran alle weitsichtigen Politiker, Ökonomen und
Wissenschaftler hofften, nämlich eine Einigung aller deutscher Staaten
zu einem einheitlichen Gebilde. Mit dem Jahr 1871 wurde das Deutsche
Kaiserreich proklamiert. Das Deutsche Reich war nun fast an seiner
wirtschaftlichen Blüte angekommen. Die Industrie brummte und
produzierte die entsprechenden Mengen an Gütern. Dennoch blieben die
Eisenbahnen sehr zum Leidwesen des Reichskanzlers Bismarck in den
Händen der einzelnen Staatsouveräne. In knapp 40 Jahren war Deutschland
zum zweitmächtigsten Staatswesen in Europa aufgeblüht. Nur noch das
britische Empire war mächtiger als das Kaiserreich. Hierin lag aber
auch die Gefahr. Der nationalistische Gedanke nahm Überhand und führte
dazu, dass sich Deutschland aufgrund seiner Wirtschaftskraft als
Führungskraft in Europa sah. Das übersteigerte Nationalbewusstsein
führte letztendlich mit dem Ausbruch des 1. Weltkriegs in die große
europäische Katastrophe. So wie die Industrialisierung alle Bereiche
des zivilen Lebens durchdrungen hatte, so zeigte sie jetzt auch ihr
Gesicht in unendlichen Materialschlachten, dem Verlust vieler
Menschenleben und einer vollkommenen Entmenschlichung der Kriegführung.
Den Transport zu den Kriegsschauplätzen übernahm nach wie vor die Bahn.
Da mittlerweile jedoch alle europäischen Länder die militärstrategische
Bedeutung des logistischen Transports auf der Schiene erkannt hatten,
konnte sich kein Land mehr einen entscheidenden Vorteil verschaffen.
Der Krieg führte im Laufe der Zeit zu Verlust und Verschleiß auf allen
Seiten. Das Deutsche Reich ging als großer Verlierer aus der Schlacht
hervor. Das während des Krieges völlig auf die militärischen Belange
ausgerichtete Eisenbahnwesen lag im Jahr 1918 völlig darnieder. Darüber
hinaus musste
Deutschland erhebliche Reparationsleistungen an die Siegermächte
leisten. Hierzu zählten vor allem Kohlelieferungen als auch das Abgeben
der technisch hochwertigsten Transportmittel, wie z.B. moderne Schiffe,
Dampflokomotiven, Reise- und Güterzugwagen und dergleichen.
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