Sphärenklänge oder Alles ist endlich

SCHWABACH / LANDKREIS ROTH – Suizid, Selbstmord, Freitod und Psychiatrie sind Tabuthemen. Der Schwabacher Schriftsteller Günter Baum bricht das Tabu: Nach einem Selbstmordversuch mit anschließendem Aufenthalt in der Psychiatrie hat er ein Buch veröffentlicht, in dem er über seine Erfahrungen in der Psychiatrie berichtet und über wichtige Stationen seines Lebens reflektiert.

„Sphärenklänge oder Alles ist endlich“ heißt das schmale Büchlein, das er seiner Lebensgefährtin Waltraud widmet, die ihm im Tod vorausgegangen ist. Er wollte ihr nachfolgen und hatte versucht, mit Schlaftabletten seinem Leben ein Ende zu setzen: „Ich hatte mir die Freiheit genommen, über mich selbst zu bestimmen“, schreibt Baum. „Deshalb empfinde ich ja auch den Begriff `Selbstmord` als sehr irreführend, denn keiner, der sich dazu entschließt, mordet sich selbst, sondern wählt den Freitod ohne Zwang.“ Und: „Der Zwang unnötig Pillen zu nehmen, bestand während der ganzen Zeit meines Aufenthalts in der Psychiatrie.“

Günter Baums Schilderungen, was er während seines Aufenthalts in der Psychiatrie und wie er die Psychiatrie erlebt hat, klingen unaufgeregt, sachlich und emotionslos - und gehen trotzdem unter die Haut. Er zielt nicht auf das Mitleid des Lesers ab und stilisiert sich nicht als verzweifelter Kämpfer in einer Welt, die er nicht mehr erträgt.

„Es waren keine Sphärenklänge, die ich gehört und erlebt habe“, schreibt Günter Baum rückblickend. „Es war hingegen die absolute Ruhe. Eine solche Ruhe, wie man sie im Leben nicht erlebt.“ Trotz solcher Sätze verklärt der Schwabacher Schriftsteller seinen Suizidversuch nicht. Er ist nicht der einsame Held, der aus der Welt scheiden wollte: „Ich war in einer anderen Welt, in der man nichts spürt, nichts erlebt und in der alle Wichtigkeiten aufhören.“

Baum: „Ich musste federleicht geworden sein, denn müsste ich meinen Zustand später beschreiben, so war es ein Schweben gewesen, in dem es keine Erdanziehung gab.“ Schaue man, wie er, auf ein erfülltes Leben zurück, sei der Übergang besonders leicht: „Der Tod trifft immer nur die Überlebenden, denn sie sind zum Leben verurteilt.“ Die Debatten im Bundestag über Sterbehilfe sind für ihn befremdend, „denn jeder Mensch muss doch das Recht haben, über seinen Körper selbst zu entscheiden. Wenn das verwehrt wird, ist das Diktatur.“

„Nein, mein Suizid war keine Flucht aus dem wirklichen Leben, sondern ein Ausklinken, die Wahl eines Schlusspunktes“, verteidigt Günter Baum sein Handeln. Die Hauswirtin findet den Bewusstlosen, die Ärzte holen ihn in das Leben zurück. Die Folge: Einweisung in die Psychiatrie.

Zwischen den Reflexionen über das Leben und den Freitod erinnert sich Günter Baum an wichtige Ereignisse in seinem Leben. Diese Erinnerungsfetzen verknüpft er mit dem, was er in der Psychiatrie erlebt hat. Er denkt zurück an seinen prügelnden, saufenden Vater, den er konsequent nur als „seinen Namensgeber“ nennt und nur Verachtung für ihn übrig hat.

Baum erinnert sich daran, wie er als Kind ein Glas Marmelade für seinen „Namensgeber“ kaufen sollte. Weil er mit seinen „Klapperlatschen“ an einem der Straßenbahngeleise hängen bleibt, fällt ihm das Glas zu Boden und zerbricht in viele Teile. Statt eines Trostes wird er zuhause angebrüllt, er sei zu dumm und zu tollpatschig für die einfachsten Dinge.

Als junger Mann kommt Günter Baum in Untersuchungshaft wegen „staatsgefährdender Hetze in der DDR“. Er wird Filmvorführer, flieht dann mit Frau und Kind nach West-Berlin und dann in die Bundesrepublik. Baum schildert, wie er den 17. Juni 1953, den Volksaufstand in Ost-Berlin, erlebt hat und wie er Funker in der NVA geworden ist.

In der Psychiatrie verschaffen ihm Antidepressiva Ruhe und Müdigkeit. „Es war nur eine erzwungene Ruhestellung“, notiert er, „ein künstlicher Zustand, der also nicht der Wirklichkeit entsprach.“ Nach anfänglichem Verbot erlaubt man ihm zu schreiben.

Günter Baum wollte „antreten zum rechten Augenblick, den ich als reifer Mensch erkennen kann.“ Er will „kein Quälen bis zum letzten Augenblick“. Hart geht Baum mit dem Thema „Religion und Gott“ um: „Das Festhalten am nicht mehr lebenswerten Leben hat uns die Religion eingeredet und nur deswegen zögern wir, dagegen etwas zu tun. Gott ist eine Erfindung und wir glauben, ohne ihn keine Seligkeit zu erlangen.“

Wer nun als Leser Günter Baums neues Buch als Ermunterung oder Aufforderung versteht, es ihm gleich zu tun und seinem Leben ein Ende setzen will, der hat ihn gründlich missverstanden. Baums Büchlein ist kein Aufruf zum Suizid, auch keine Warnung davor, sondern eine realistische und authentische Schilderung, warum er sterben wollte. Nur wer das alles am eigenen Leib erlebt hat, ist glaubwürdig und man kann sich in seine Lage hineindenken, ohne sich fragwürdiger Klischees bedienen zu müssen.

Günter Baums autobiografisches Buch ist packend geschrieben. Weil der Umfang nur 60 Seiten beträgt, kann man es problemlos in einem „Zug“ lesen. Jedem, der sich mit dem Tabu-Thema Suizid beschäftigen und sich eine eigene Meinung bilden will, dem sei dieses Buch empfohlen. Baums Buch gibt Anstöße, über den Freitod nachzudenken. Manche seiner Thesen fordern zum offenen Widerspruch heraus. Und genau das ist es, was der Schwabacher Schriftsteller erreichen möchte.

ROBERT UNTERBURGER


(Günter Baum: Sphärenklänge oder Alles ist endlich. Psychiatrie, Freitod und autobiographische Einschübe. Dezember 2015. Verlegt in der Edition Knurrhahn im Thomas Rüger Verlag, 60 Seiten, ISBN: 978-3-932717-52-9, 6 Euro)

Am besten ist er, wo er schräg wird - Robert Unterburger hat mit "Ganz weit weg" neue kleine Erzählungen veröffentlicht

Robert Unterburger gehört zu jenen, die seit vielen Jahren schreiben: Für die regionalen Zeitungen Berichte, was ihm den wenig geliebten Titel des „Kulturfuzzys“ eingebracht hat (und ihm auch nicht gerecht wird!). Darüber hinaus sind es Texte, die sich mit geschichtlichen bzw. heimatkundlichen Aspekten des Landkreises beschäftigen. In letzter Zeit ist das Gründungsmitglied der Autorengruppe Sonderzeit mit Erzählungen an die Öffentlichkeit gegangen, und schon folgt der nächste Streich. „Ganz weit weg“ heißt der Band, der Kurzgeschichten versammelt, oder besser: kleine Erzählungen. Sehr unterschiedliche Texte hat der 54jährige Hauptschullehrer aus Allersberg in diese Sammlung gegeben, überwiegend skurrile Geschichten, die dem Leser bekannte wie unbekannte Inhalte liefern. Am besten ist Robert Unterburger dort – und das schon immer – wo er richtig „schräg“ wird und das Skurrile auf die Spitze treibt oder auch dort wo er bei seinem „historischen“ Leisten bleibt. Er kann es durchaus: Lustig schreiben, sarkastisch mitunter, mit feiner Ironie, witzig und dann auch wieder derb, fränkisch-knuffig. Der Leser findet Geschichten, wie beispielsweise jene, wo der Erzähler sich im Dunkel mit einer Holzfigur balgt oder jene, in der ein Volltrottel versucht, einen Banküberfall zu begehen. Stark ist Unterburger aber auch eben dort, wo er die Geschichten mit Geschichte füllt, wie in „Burg Abenberg oder Meine Suche nach Romantik“. Genau das ist seine Nische, hier spürt man, dass er sich wohlfühlt, und kein anderer Autor ist in diesem Komplex so präsent und mit fundiertem Wissen ausgestattet wie er. Schade, dass diese Geschichten nicht häufiger von ihm kommen und nicht eine größere Zahl in dem Buch zu finden ist. Stattdessen – leider – irritiert er den Leser mit melancholischen Abgründen, die definitiv keine Kurzgeschichten sind und auch keine Erzählungen, sondern in andere, zugesperrte Schubladen gehören. Das Haar in der Suppe ist aber nicht unappetitlich genug, dass es den Lesespaß insgesamt vergällen würde, denn nahezu jedes Buch weist ein solches Haar auf. Robert Unterburger schreibt ohne Schnörkel, gerade und frei, er hat weder Zeit für intensive Beschreibungen noch einen Sinn für Geschwurbel und er schreibt, ohne sich insgesamt lange aufzuhalten. Das treibt die Geschichten voran mit einigem Tempo und ist angenehm wie für Kurzgeschichten typisch, lässt sie aber auch manchmal hinter ihren Möglichkeiten zurückbleiben. Nicht nur einmal würde sich der Leser sogar ein wenig mehr Tiefgang wünschen, den diese und jene Geschichte verdient und auch gebraucht hätte. So verkümmern witzige Ideen an der Oberfläche, was mehr als schade ist, denn der Autor könnte (!) anders. Aber andererseits ist das, was Unterburger mit „Ganz weit weg“ vorlegt, gemessen an seinen bisherigen Veröffentlichungen und seinem eigenen Stil konsequent, und insofern gibt’s dann auch kaum etwas zu mäkeln, denn die Redlichkeit des Autors vor sich selbst ist das Maß der Dinge. Fazit: Könnte unterm Weihnachtsbaum Freude bereiten!

GERD BERGHOFER
Roth-Hilpoltsteiner Volkszeitung (RHV)


Ganz weit weg, Kurzgeschichten, verlegt in der Edition Knurrhahn im Thomas Rüger Verlag, ISB 978-3-932717-31-4, broschiert, 150 Seiten, Preis: 8 €.