Pfeifen...

Pfiffe hallen durch das Land. An allen Ecken und Enden stehen Menschen auf. Widersteht dem Bösen, lautet die Parole.
Es sind maliziöse Gegner, die sich auch durch lautstarkes Pfeifen nicht in die Flucht schlagen lassen.
Gemein und gefährlich scheint ihre Wesensbestimmung zu sein.
Immer wieder tauchen sie auf, einzeln oder auch in größeren Gruppen.
Die Herausforderung besteht darin, sie nicht nur zu identifizieren, sondern auch zu eliminieren. Doch die Erfolgsquote ist bis dato gleich Null. Die Haftbefehle der Staatsanwaltschaft sind bloße Papiertiger.
Die Kanzlerin vertraut der Kraft der Raute, der Innenminister hat den Verfassungsschutz eingeschaltet, die Agenten des Bundesnachrichtendienstes streuen die Vermutung, dass IS und Al Quaida dahinterstecken.
Es mutet unglaublich an: Gestandene Schwerverbrecher, ja professionelle Killer zerstören mit ihrem verderblichen und schändlichen Wirken jeglichen friedlichen Zusammenhalt in unserer Gesellschaft.
Die Furcht begleitet uns im Alltag, es kann uns jederzeit und allerorten widerfahren.
Doch so viel Unheil sie auch schon angerichtet haben, es gelingt einfach nicht, sie unschädlich zu machen.
Die Fahndungsliste des Bundeskriminalamtes wird beinahe täglich erweitert. Der Terror im Alltag scheint keine Nachwuchssorgen zu kennen.
"Das klappt ja doch nicht ..."
"Uns fehlen hierfür Zeit und Geld ..."
"Das Leben ist kein Ponyhof ..."
"Das haben wir schon immer so gemacht ..."
oder:
"Das muss man doch mal sagen dürfen..."
Das sind fünf besonders bösartige Kriminelle.
Es sind gefährliche Killerphrasen, die die Fantasie und den Mut zum Andersdenken und -handeln abtöten.
Doch es gibt noch viele hundert weitere solcher Killerphrasen!
Und keine einzige lässt sich durch noch so lautstarkes Pfeifen aus der Welt schaffen.

Trotzdem

Der Zug, den ich am Nürnberger Hauptbahnhof besteige, hat kurz vor Schwabach „leider einen außenplanmäßigen Halt wegen einer Triebwerksstörung“.
Dennoch bin ich, wenngleich mit einer guten Viertelstunde Verspätung, in der der Rother „Kulturfabrik“ zur monatlichen Schreibgruppe der aphoristischen Gerontokraten eingetrudelt.
Nachdem ich auf einem Schreibstuhl fixiert bin, beginne ich auftragsgemäß eine Geschichte zu schreiben. Der Herr der dunklen Worte wünscht eine Geschichte mit dem Titel „Trotzdem“.
Vor mir auf dem Tisch liegt weißes Schreibpapier. Ich schreibe, vielmehr ich versuche zu schreiben. Doch sobald ich ein Wort aufnotiert habe, verschwindet es wieder.
Ich reibe mir verdutzt die Augen, nehme den Stift fester in die Hand. Ein neuer Anlauf…
Doch ich komme nicht über ein Wort hinaus.
Ich blicke mich im Raum um. Die anderen Insassen der Schreibanstalt fokussieren ihren Schreibblock, ihre Stifte speien Wörter ohne Ende auf das Papier.
Zeile um Zeile, Seite um Seite füllen sich.
Während das nicht zu beschreibende Weiß meines Papiers beginnt, meine Augen zu blenden. Ich schließe daher die Augen. Ich weiß, ich muss jetzt ruhig Blut bewahren. Denn ich muss eine Geschichte am Ende der Schreibseance abliefern. Ansonsten droht mir eine Spritze.
Doch ich will keine Spritze. Und auch keine bösen Blicke vom Herrn der dunklen Worte ernten.
Verzweifelt überlege ich, was passiert sein kann.
Da fallen mir die zwei Russen ein, die mir im Zugabteil gegenüber saßen.
Der eine, leidlich Deutsch sprechend, kontrollierte den Inhalt seiner Geldbörse. Der andere versuchte, sein Handy aus der Jackentasche zu ziehen. Doch er schaffte es nicht, sondern schlief mitten in dieser Bewegung ein.
Auch sein Nebenmann war nun eingeschlafen, die Geldbörse offen in der Hand.
Der rothaarige Russe mit dem Handy kippte derweil auf meine Tasche. Sein Nebenmann öffnete die Augen und entschuldigte sich bei mir.
War dies nur ein fauler Trick? Wurde auf diese hinterhältige Weise mein Stift manipuliert?
War die Triebwerksstörung durch das Handy ausgelöst worden?
Zwei vermeintlich schlafende Russen im Zug sabotieren mein Schreibwerkzeug. Doch wer wird mir diese Geschichte abnehmen?
Zu lesen ist sie ja ohnehin nicht auf meinem Papier. Trotzdem ist sie wahr…

Mauer

Der Mensch ist ein Gewohnheitstier, sagte dereinst der Gottvater der Psychoanalyse Sigmund F. Und daher braucht er Mauern. Mauern, die sein Leben in Schranken weisen und den Blick in geordnete Bahnen lenken.
Den Rundumblick gönnen wir großzügigerweise manchen als niedere Tiere eingestuften Insekten.
Der Mensch strebt schon immer nach Höherem. Mit Flugzeugen werden kontinentale Distanzen zum Tagestrip.
Und doch bedarf es immer noch und immer wieder Mauern.
Jenseits des Limes wohnten dereinst die Barbaren. Heutzutage dienen Mauern der Abwehr und Abschottung. Sie sollen uns vor bösen Menschen mit hungrigen Bäuchen bewahren.
Die kommen einfach, obwohl wir sie gar nicht eingeladen haben.
Der Mensch ist ein Gewohnheitstier, sagte dereinst der Gänsehüter Konrad L. Im Fußball gilt „mauern“ als probates Mittel gegen einen übermächtig erscheinenden Gegner.
Im Laufe unseres Erwachsenwerdens mauern wir uns auch immer mehr ein. Als Kind wollten wir noch Neues entdecken, träumten von fernen Ländern und Abenteuern.
Jetzt ziehen wir uns zurück.
Die sogenannten sozialen Netzwerke bescheren uns eine Unmenge an Freunden, mit denen wir gefahrlos in Kontakt treten können, ohne dass sie uns den Wohnzimmerboden versauen.
Permanent prasseln Nachrichten und Botschaften von jenseits der Mauern auf uns ein. Wir lesen sie aufmerksam und sind besorgt – besorgt darüber, wie lange die Mauern unsere Existenz noch schützen…

Zu wenig

Es ist fast immer zu wenig
Und nur selten zu viel
Das Leben ist ungerecht
Es ist viel zu oft Ernst
Und selten ein Spiel
Es endet doch meistens schlecht

Es mangelt an Stehvermögen
Und vermisst wird das Gleichgewicht
Das Leben fällt zunehmend schwer
Die richtige Dosis ist ein hehres Ziel
Es grinst der Schmerz im Gesicht
Die Zukunft ist mehr als prekär

Es ist fast immer zu wenig
Und nur selten zu viel
Das Leben ist ungerecht
Es ist viel zu oft Ernst
Und selten ein Spiel
Es endet doch meistens schlecht