Horizont

Horizont

In unserer Wohlfühlgesellschaft heißt die oberste Etikette: Macht nichts, was schlechte Laune verbreitet!
Griesgrämigkeit, Grantlertum, Bärbeißigkeit – all diese Attitüden sind jenseits des Horizonts.
Wer sich von den Gute-Laune-Radiosendern nicht infizieren lässt, kann auch die Dienste professioneller und gut dotierter Lebensberater in Anspruch nehmen.
Monatskalender mit wohlfeilen Sprüchen belagern die Krabbeltische der Buchhandlungen: „Ein Tag, an dem Du nicht lächelst, ist ein verlorener Tag.“
Kilometerlang sind die Buchregale voller unverzichtbarer Ratgeber. Und sie haben wahrlich verheißungsvolle Titel: „Nichts im Kopf und trotzdem gut drauf!“ oder „Das Buch der Wohlfühlkonsonanten“ oder „Glückspilze wuchern nicht nur in Tschernobyl“.
Wir schaffen unser privates Kuschelreich. Die asiatische Philosophie hilft uns dabei, unser Karma nicht in Gefahr zu bringen.
Sphärenklänge wabern durch das Wohnzimmer. Selbst unser Tinnitus ähnelt dem wohligen Sound von Klangschalen. Schmerbäuchige Buddhas, handgeschnitzt von tibetischen Kleinkinderhänden, grinsen grenzdebil im Kerzenschein. In unseren Nasenlöchern glimmen derweil Räucherkerzen.
Doch solange unser Geist nicht völlig benebelt ist, keimt in den hintersten Windungen des Stammhirns die Vorstellung von einem anderen Leben.
Ein neuer Horizont zeichnet sich schemenhaft ab. Kein anständiger Mensch möchte dort wohnen. Und doch, ganz selten, erwacht in dir diese Leidenshaft, die die Farbtöne deiner Wahrnehmung fundamental ändert.
Aus dem originellen Kauz wird ein ordinärer Kotzbrocken, das Dauergrinsen deiner Umwelt wird als gemeingefährliche Nötigung empfunden.
Du pochst dann auf deine schlechte Laune, es gibt ein Grundrecht auf Miesepetertum.
Statt fein ziselierter Glöcklein lässt du dann in ultimativer Lautstärke die „Hell’s Bells“ erklingen.
Und du weißt: Ein Tag, an dem dir nicht die Galle überläuft, ist ein verlorener Tag-