Hitze

Was sind wir nur für ein vom Schicksal missgünstig behandeltes Volk? Kaum werden die Tage kürzer und die Nächte kühler, verlieren die Laubbäume ihr Blattwerk und verschandeln Gehsteige und Hofeinfahrten.
Irgendwann, wenn die Tage noch kürzer und die Nächte richtig kalt sind, lassen wir die Zentralheizung auf Höchststufe laufen und ziehen uns ein Eisbärenfell über die kälteempfindlichen Ohren.
So weit, so schlecht. Doch es kommt noch schlimmer. Urplötzlich ruft der Frühling - und während die Tage wieder länger werden, ist das Wetter entweder viel zu trocken oder viel zu feucht. Wochenlang zittert der Landwirtschaftsminister am Feldesrand und verfolgt das Gedeihen oder Verderben des pflanzlichen Saatgutes.
Die Altvorderen behaupten ja, dass es früher anders und damit besser war. Heutzutage gibt es nach einem freundlichen Frühlingserwachen einen abrupten Wechsel in eine Periode des Temperaturzwiespalts. Nicht warm, nicht kalt, nicht trocken, nicht feucht - streng genommen leiden wir unter der Tristesse eines gar nicht vorhandenen Wetters. Das ist sozusagen die deutsche Variante der globalen Klimakatastrophe.
Ein Volk lechzt nach Sonnenschein und erhält recyceltes Wetter vom Wertstoffhof. Solch ein Volk kann auch keinen European Song Contest gewinnen! Es wird auf das Frevelhafteste gedemütigt und gepeinigt..
Und dann kommt das dicke Ende. Der Sommer, in früheren Geschichtsepochen eine Jahresszeit mit der Dauer von ziemlich genau drei Monaten, zieht wie ein heißer Wüstenwind über das Land. Die letzten Ventilatoren werden über Ebay zu Preisen gehandelt, als wären sie von Leonardo da Vinci handgefertigt und von Vincent van Gogh bemalt.
Schüler und Lehrer, die größten Sklaven und Sklaventreiber hierzulande, trifft es dann am schlimmsten. Der Hitzefrei-Gong ertönt und sie stehen, zwangsweise von der Schule exmittiert, am Rande der physischen wie psychischen Existenz, und werden in die sozialpädagogische Ganztagesbetreuung eingeliefert, wo Sonnenblumen gemalt, getöpfert und gebatikt werden.
Die Büromenschen dagegen versuchen verzweifelt wie vergeblich, mit der PC-Tastenkombination "Steuerung-Entfernen" die Hitze zu eliminieren. Doch die Hitze lässt sich nicht bändigen. Noch nicht einmal von der Kanzlerin, die sich zur Rettung des vereinigten Landes in den klimatisierten, sonnenstrahl-resistenten Regierungsbunker zurückzieht.
Die restliche Bevölkerung verzweifelt im Schweiße ihres Angesichts. Das 24-Stunden-Deodorant verliert seinen Effekt in Sekundenschnelle. Die Gehirnzellen der intellektuellen Elite, auch so etwas soll es zwischen Trier und Frankfurt/Oder geben, verschwurbeln wie Bratöl in der Pfanne. Die Massenmedien organisieren Durchhaltekampagnen, um das Überleben Deutschlands in der intersolaren Hitzeschlacht sicherzustellen.
Ja, so sind die Deutschen seit tausend Jahren: zäh wie Zeder und smart wie Wollschal ...

Sommerloch 2013

Jedes Jahr im Sommer, wenn wahlweise das Gehirn oder die Grillwurst im Reihenhausgarten vor sich hinbrutzelt, braucht die Republik ein Aufregerthema. Die Bundestagsabgeordneten haben hitzefrei, die Leitartikler suchen im Archivkeller nach verstaubten Glossen aus den Vorjahren, die Seichtgebiete des Fernsehprogramms mutieren zu Ultraseichtgebieten.
Kurzum: ein Land in geistiger Erstarrung – man nennt es auch das Sommerloch.
Wie gut, dass sich dann in dieser Zeit der sauren Gurken immer ein mediales Aufregerthema findet.
Und schnell wird aus dem Land der meteorologischen Paralyse ein Land der geistigen Paranoia.
In diesem Jahr sind wir hierbei einem Mann zu Dank verpflichtet, der sich damit abfinden muss, nach seiner kurzen Karriere als Geheimdienstmitarbeiter nun lebenslang ein geheimnisvolles vorzeitiges Ableben befürchten zu müssen.
Der NSA, dieses ominöse Buchstabenkürzel, soll, so ist zu vernehmen, eine quantitativ fast nicht mehr darstellbare Menge an Mails und Telefonaten angezapft und ausgewertet zu haben.
Die pflichtschuldigst an den Tag gelegte geheuchelte Empörung eroberte in Windeseile die sommerlich ausgedünnten Nachrichtenmagazine wie auch die Talkshows dieses Landes.
Huch, da steigt der Angstpegel des deutschen Michel, denn es steht ja zu befürchten, dass der Präsident höchstselbst seine Gutenachtlektüre für die Gattin und die beiden pubertierenden Töchter aus den abgefangenen elektronischen Briefen zusammenstellt.
Gesetzt den Fall, der erste farbige US-Präsident würde dies tatsächlich tun, er würde innerhalb kürzester Zeit völlig erbleichen.
Denn was bitteschön ist denn in den weit überwiegenden Mailkommunikationen zu lesen?
Wer sich mal der geistigen Folter unterzieht, die öffentlich zugänglichen Facebook-Botschaften zu lesen, wird mit Brechdurchfall nicht unter drei Jahren bestraft.
Soviel Banalität in solch komprimierter Form zigtausendfach gestreut („gefällt mir!“), taugt noch nicht mal als Stoff für ein provinzielles Bauerntheater.
Herr Obama findet hoffentlich gehaltvollere Lektüre für die Seinen!
Und die ihm dann tatsächlich von diversen Experten vorgelegten Mails sind natürlich nach speziellen Schlüsselbegriffen ausgefiltert worden.
Aber glaubt jemand allen Ernstes, die Verkörperung alles Bösen in dieser Welt namens Osama bin Laden sei auf Grund seiner abgefangenen Mails aufgespürt worden, die er vorschrifts- und wahrheitsgemäß mit seinem vollen Namen unterschrieben hatte?
Sollte man das Wort „Laden“ ergo in jeglicher Konnotation meiden: Ein- und ausladen, Ladengeschäft und Ladensterben, voll beladen mit Marmeladen??
Im Ernst: Ein Land, dessen Bürger jeglichen Schwachsinn per I-Phone oder Email, Facebook oder Twitter massenmörderisch verbreitet, hat vom NSA und seinen klandestinen Spitzel- und Spähaktionen absolut nichts zu befürchten. Außer dass ihm eines Tages die Decke von seinem toten Geist weggezogen wird.
Wir werden es erleben – spätestens im nächsten Sommer!