Chopin in der ersten Reihe hören…

Musikalische Projekte zu Poeten wie Rilke oder Poe sind mit teilweise beträchtlichem Erfolg in den vergangenen Jahren veröffentlicht worden.
Etwas stutzig macht dagegen der Albumtitel „The Chopin Project“.
Wie kann die Chopinsche Klaviermusik, verewigt in unzähligen Einspielungen, neu interpretiert werden, ohne sich von den klassischen Wurzeln völlig zu trennen?

Der junge isländische Komponist Ólafur Arnalds hat mit der deutsch-japanischen Pianistin Alice Sara Ott eine geeignete musikalische Partnerin gefunden, um Chopins Werke aus dem konventionellen Konzertflügel-Ambiente zu lösen.

Zu Beginn ihres Projekts machten sich Arnalds und Ott in Islands Hauptstand Reykjavik auf „Piano-Jagd“ und fanden Instrumente mit „Persönlichkeit“. Manche wurden mit Filz bearbeitet, um überweltliche Effekte zu erzielen. Mit einem Equipment aus vergangenen Zeiten nahm dann Arnalds das Pianospiel von Ott auf und erzielte damit ein sehr dichtes, intimes Setting für ihre Darbietung. Manchmal hört man ein Quietschen, Atemgeräusche, das Klirren von Saiten oder raschelndes Papier, mit anderen Worten: Geräusche des alltäglichen Lebens, die aus sonstigen Chopin-Einspielungen gnadenlos herausgefiltert würden.

Für Arnalds hat das Projekt eine sehr persönliche Dimension, Seine Großmutter machte ihn mit Chopins Melodien bekannt, als er noch ein kleiner Junge war, der Schlagzeug zu spielen und Punk oder Heavy Metal zu hören viel interessanter fand als klassische Musik: „Aber schließlich wuchs mir Chopin ans Herz. Und ich möchte diese Musik all denen nachbringen, die ihr sonst womöglich nicht begegnen würden. Ich halte es für meine Aufgabe, klassische und die nicht klassische Welt zusammenzuführen.“
Ott war von dem Projekt sogleich angetan: „Ich spiele schrecklich gern auf verstimmten Kneipenklavieren und finde, dass Chopins Musik sehr gut dazu passt.“

Auf der CD enthalten sind das magische Regentropfen-Prélude, der melancholische Walzer des Nocturne in g-Moll und der leidenschaftliche, langsame Satz der Sonate Nr. 3. Ein besonderer Ohrenschmaus ist das Nocturne in cis-Moll für Geige und Klavier, das mit der norwegischen Violinistin Mari Samuelson eingespielt worden ist.

Arnalds möchte ein Akustikerlebnis quasi aus der ersten Reihe offerieren: „Die Zuhörer sollen dem vortragenden Musiker so nahe sein, dass sie hören können, wie er atmet und die Tasten berührt.“


Ólafur Arnalds & Alice Sara Ott: The Chopin Project
Deutsche Grammophon/Universal Music, 2015