Vom Lieblingsbeatle und der Angst, die man beim Singen vergisst

Der Applaus ist das Brot des Künstlers. Was aber soll der Künstler machen, wenn der Applaus von der falschen Seite kommt?
Die in Leipzig wohnende Liedermacherin Sarah Lesch hat mit dem Lied „Testament“ auf ihrer zweiten CD „Von Musen und Matrosen“ einen kleinen Hit gelandet. Gewidmet ist dieser Song ihrem Sohn, um ihn auf eine Zukunft mit vielen potentiellen Gefahren hinzuweisen: „Das Lied soll ihn immer daran erinnern, dass er frei ist und nur sich selbst gehört. Niemand anderem und keinem System …“
Das sechs Minuten lange Stück, das sich gegen Angepasstsein und grenzenloser Konsumfreude sowie gegen staatlich verordnete Gleichmacherei wendet, hat interessanterweise Zustimmung aus der rechten Ecke gefunden. So wurde dieser Song u.a. von der rechtsextremen Gruppierung „German Defence League“ auf ihren Netzseiten geteilt. Über ihre Facebookseite distanziert sie sich dann von den Anhängern rassistischen und menschenverachtenden Gedankenguts.
„Da draussen“ ist nun der Titel ihres dritten Albums. Im Titelstück heißt es: "Ich weiß nur, dass man die Angst vergisst, die Angst vergisst, wenn man singt". Sarah Lesch spricht von der Angst um ihre Freiheit, der Angst nach der Wahrheit zu fragen.
"Adieu" ist eine Hommage an ihren früheren Wohnort Tübingen. Sie kehrt in Gedanken an den Ort im Schwabenlande zurück, an dem sie die Milch auf dem Herd vergaß, tausend Gedichte schrieb und heimlich Schauspieler bewunderte: „Tübingen, ich kann dir Lieder schreiben, aber doch nicht bei dir bleiben, für immer…" heißt es hierzu bei ihr.
Wer ist ihr Lieblings-„Beatle“? John, George, Ringo oder Paul? Soviel sei hier schon mal verraten: Es ist keiner der vier Pilzköpfe aus Liverpool!
Wer klare gesellschaftspolitische Statements erwartet, wird wohl enttäuscht werden. In ihren chansonartigen Liedern hat plumpe Agitprop keinen Platz.
Es sind eher die kleinen Freiheiten und Fluchten im Alltag, die Sarah Lesch im Fokus hat. Für die musikalisch sparsame Instrumentierung nimmt sie Gitarre, Trompete, Akkordeon und Mundharmonika.


Sarah Lesch: Da draussen
Kick the Flame (KTF), 2017

Ehrlich gesagt …

Im „Blättchen“ Nr. 21/2013 wurde bereits die CD-Veröffentlichung „Favorite Sin“ von Carolin No gewürdigt. Im Vorfeld ihres 11-jährigen Bandjubiläums im kommenden Jahr erschien nun eine Art „Best of“ des Musiker(ehe)paars Carolin und Andreas Obieglo.
Das sympathische Singer-Songwriter-Duo hat in diesen elf Jahren genauso viele Alben veröffentlicht. „You & I“, wie immer in Eigenregie produziert, liefert nun eine komplett akustisch gehaltene Werkschau.
Der Cindy Lauper – Klassiker „Time after Time“ als einziger Fremdtitel auf dieser CD fällt eher ab. Vielleicht ist dieses Stück einfach schon zu abgenudelt.
Dieses Stigma trifft aber auf die Carolin No - eigenen Stücke beileibe nicht zu. Ohne Bandunterstützung bewirken die nur von den beiden Multiinstrumentalisten (das zum Einsatz kommende Spektrum reicht von der Ukulele bis zur Djembe) eingespielten Lieder eine intimere wie nachhaltigere Wahrnehmung.
Zwei Anspieltipps sollen besonders hervorgehoben werden: Der „Three Minute Song“ (der in der Akustikversion deutlich länger als drei Minuten ist) und das finale Stück „Ehrlich gesagt“:
Ehrlich gesagt hab ich schon lange nichts mehr ehrlich gesagt und daran was zu ändern ehrlich gesagt kontinuierlich vertagt…
Die Messlatte für künftige Veröffentlichungen liegt, ehrlich gesagt, ziemlich hoch!


Carolin No: You & I
Fuego Musik, 2017

Die musikalische Erkundung des offenen Horizonts

Aller guten Dinge sind drei. Der sattsam bekannte Spruch findet im Bereich des Jazz-Trios noch eine spezifische Besonderheit. Denn die Kombination Klavier-Bass-Schlagzeug ist die am häufigsten anzutreffende Jazz-Kombination.
Jazzkenner nehmen als Vergleichsmaßstab häufig die nach dem Pianisten Esbjörn Svensson benannte Formation „e.s.t.“. Dieses skandinavische Trio war erfolgreich wie stilbildend von 1993 bis 2008 für den europäischen Kontinent.
Und nach dem Unfalltod des Pianisten lautet die immer wiederkehrende Preisfrage für Jazzfans: Wer kann in die Fußstapfen von „e.s.t.“ treten?
Der im Frankenland lebende Pianist Jens Magdeburg hat mit seinen beiden musikalischen Partnern Gunther Rissmann (Bass) und Jens Liebau (Schlagzeug) soeben eine zweite CD-Veröffentlichung realisiert.
Diese Formation kombiniert Versatzstücke verschiedener musikalischer Richtungen zu einem kammermusikalischen Ganzen.
Auch wenn Jens Magdeburg alle Stücke komponiert hat, so sind Bassist und Schlagzeuger bei „Landscape“ keine Statisten, sondern haben ihren gleichberechtigten Part.
Und gerade die Interaktion der Musiker bewahrt die dargebotenen Stücke vor fader Routine und schafft beim Zuhörer atmosphärisch dichte Klangbilder.
Nicht nur mit dem titelgebenden Stück belegt Landscape, dass sie die Jazzmusik nicht neu erfinden, aber auch nicht als bloße Plagiatoren der großen Trio-Matadore fungieren wollen.
Mit ihrer Spielfreude werden sie sich hoffentlich noch lange ihren offenen Horizont bewahren…


Jens Magdeburgs Landscape: Open Horizon
Whope Hope Records, 2017

Schluss mit diesem Doppelleben

Beim Thema Zuwanderung geht es häufig um quantitativ oder technokratisch inspirierte „Grenzfragen“ (Wie darf oder muss die Staatsgrenze gesichert werden? Wie hoch soll ein Grenzzaun sein? Bedarf es einer Obergrenze an Einwanderern pro Jahr?). Was aber geht es in den Köpfen der betroffenen Menschen vor? Die Künstlerin Elif Demirezer geht auf eine erstaunlich offene Innenschau mit dem Album „Doppelleben“. Laut Booklet ist diese CD „…der Spiegel meiner Seele und zeigt einen tiefen Blick in meine Gefühls- und Gedankenwelt der letzten vier Jahre.“
Elif ist sozusagen ein wortmächtiger und sensibler Teil der nachgewachsenen Einwanderergeneration.
Sie wächst im Berliner Stadtteil Moabit auf und spricht in den ersten Lebensjahren nur Türkisch. Die Eltern, in den 80er Jahren als Kinder von Gastarbeitern nach Deutschland gekommen, unterhalten sich zuhause nur in der Sprache ihrer Heimat. Und parallel dazu laufen türkische Sender rund um die Uhr im Fernsehen. Doch sie hat aus diesen ersten Jahren wichtige Erfahrungen aufgesammelt und verinnerlicht: „Bis heute hat mich dieses erste Gefühl für Melodie und Musik nie verlassen. Vielleicht sagen mir auch deshalb immer wieder Leute, dass sie in meinen Songs etwas Fremdes, Orientalisches hören.“
Im Titelsong sucht sie nach einer Gesprächs- und Verständnisbasis mit ihren Eltern:
„Ich will euch alles sagen können
Damit ihr seht und versteht, wer ich bin.
Ich will euch alles fragen können
Damit ich weiß, was noch geht und wohin.
Geheimnisse anvertrauen, einen neuen Boden bauen
Den ganzen Fake aufgeben, Schluss mit diesem Doppelleben.“
Elif präsentiert jedoch keine reinen Protest- oder Abrechnungslieder. Innerliche Zerrissenheit und die Suche nach einem wahrhaftigen Leben. Starken Nachklang findet neben dem Titellied vor allem „Schwarz, Weiß, Grau“, das mit den Worten beginnt: „Es wär so leicht, wenn ich kein Chaos wär …“ oder der von Enttäuschungen gepflasterte Weg auf der Suche nach der „passenden“ Liebe im Lied „Anlauf nehmen“.
Elif zeigt, dass es gelingen kann, auch in der deutschen Sprache echte Gefühle zu zeigen. Ohne Kitsch und falsches Pathos, ohne abgedroschenen Floskeln und Phrasen, gekleidet im modernen Popmusik-Gewande.
Abschließend noch eine kleine Kostprobe aus dem bunten Reigen köstlicher Formulierungen:
„Als erstes kommt die Welt, und dann unsere Probleme…“
Mit „Doppelleben“ offeriert Elif die ehrliche und höchst subjektive Bestandsaufnahme eine Mitzwanzigerin.


Elif: „Doppelleben”
Vertigo/Capitol, 2017

Die düstere Weltenschau eines „November Boy“

In den Blütezeiten des Progressive Rock – in den 70er- und 80er Jahren des vergangenen Jahrhunderts – reüssierten Bands wie Camel, Emerson, Lake & Palmer oder Pink Floyd mit aufwendigen Konzeptalben. Die darauf enthaltenen Songs waren keine Loseblattsammlung, sondern bildeten eine Einheit. Sie behandelten Märchenstücke (Camel – The Snow Goose) genauso wie zeitkritische Anklagen (Pink Floyd – The Wall).
Für das 3-Minuten-Hitradio sind solche musikalischen Gesamtkunstwerke nicht kompatibel.
Nick & June haben nun auch ein Konzeptalbum veröffentlicht – über den „November Boy“.
Das Nürnberger Folk-Duo Nick Wolf und Julia „June“ Kalass hat sich nach dem Debütalbum „Flavor & Sin“ (2013) mit einer Bassistin und einem Schlagzeuger zu einer 4-Personen-Combo verstärkt.
Nick Wolf hat fast alle Lieder im Alleingang getextet und komponiert. Ausgangspunkt für das Album „My November My“ war eine selbst geschriebene Erzählung, aus dessen einzelnen Kapiteln dann die Songs auf dem Album entstanden sind.
Der Protagonist ist ein von der (Um-)Welt verbitterter Zeitgenosse; er fühlt sich nicht verstanden und flüchtet in eine imaginäre Welt. Es sind Reflexionen über Gefühle und gescheiterten Lieben, aber auch kluge und poetische Alltagsbeobachtungen („How the bus stop smiles at night…“ beginnt beispielsweise ein Lied).
Die Texte wurden dann in eine kammermusikalische Variante des Progressive Rocks gekleidet. Nur die weiblichen Gesangsanteile sollten künftig gesteigert werden, beim düster-melancholischen „November Boy“ und seinem „mix of fear and fear of people“ ist dieses Manko noch nachvollziehbar…


Nick & June: "My November My"
AdP Records, 2017

Musikalische Gänsehautmomente

„Gentle Giant“ war der Name einer britischen Progressive Rockband in den 70er Jahren. Und als ebensolchen Gentle Giant, also einen freundlichen Riesen, kann man auch den niederländischen Pianisten Joep Beving bezeichnen.
Der Zweimetermann mit wallendem Haar und Rauschebart scheint einem magischen Buch entsprungen. Aber wenn er sich den schwarzen und weißen Klaviertasten widmet, entlockt er diesem Instrument magische Melodien.
Die Nachrichtensender quellen über von Anschlägen und Unruhen. Joep Beving liefert hierzu das musikalische Kontrastprogramm. Er selbst konstatiert: „Die Welt ist zurzeit ein hektischer Ort. Ich habe den dringenden Wunsch, auf ganz einfache menschliche Weise mit den Leuten in Kontakt zu treten. Musik als universelle Sprache hat die Macht zu verbinden. Ich bin davon überzeugt, dass wir, ungeachtet der kulturellen Unterschiede, ein angeborenes Verständnis davon haben, was es heißt, ein Mensch zu sein. Unsere Gänsehaut zeugt zum Beispiel davon …“
Bereits als Jugendlicher trat er öffentlich auf, doch eine Verletzung des Handgelenks zwang ihn dazu, musikalisch kürzer zu treten. Und so begab er sich nach dem Studium der Wirtschaftswissenschaften auf den konventionellen Karriereweg. Private Zufälle brachten ihn wieder zurück auf die künstlerische Bahn.
Er komponierte ein Stück für die Beerdigung eines unerwartet verstorbenen Freundes. Wenige Zeit später erschien in Kleinstauflage „Solipsism“ als Vinylveröffentlichung. Das darauf enthaltene Stück „Sleeping Lotus“ wurde zu einem millionenfach angeklickten Hit im Internet.
Die „Deutsche Grammophon wurde nun auf ihn aufmerksam. Und so erschien „Prehension“ nun auf diesem renommierten Label.
Es sind gefühlvolle Melodien, aber deutlich jenseits des Kitschfaktors, die Joep Beving seinen Zuhörern offeriert. Den Verrücktheiten dieser Welt setzt er die Schönheit seiner musikalischen Kompositionen entgegen – Gänsehautmomente für empfindsame Ohren!


Joep Beving: "Prehension"
Deutsche Grammophon, 2017

Norwegische Musik in englischsprachigen Interpretationen

Pop- und Jazzmusik aus skandinavischen Gefilden findet hierzulande immer mehr Anklang. Wer sich jedoch nicht nur an der Musik und der Wortmelodie erfreuen will, tut sich natürlich schwer, wenn die Leider beispielsweise auf Norwegisch gesungen werden.
Die Sängerin Live Maria Roggen und der Pianist Helge Lien wollen mit ihrem neuen Album „You“ einigen dieser Lieder über die Grenzen ihres Landes hinaus helfen. Setzten sie bei ihrem Debütalbum 2011 noch auf die eigene Muttersprache, so interpretieren sie nun Texte von nordischen Musikerkollegen in Englisch.
Das Ergebnis überrascht positiv und verzaubert vom ersten Ton an.
Neben der exzentrischen wie populären Musikerin Björk interpretiert das Duo Roggen & Lien auch Stücke von Jon Eberson, Sidsel Endresen oder Roger Andreassen, die außerhalb Norwegens nur wenigen Insidern bekannt sein dürften.
Die Neuinterpretationen werden einfühlsam und pointiert in Szene gesetzt. Die stimmliche Bandbreite Roggens wie auch die perfekte Pianobegleitung Liens wechseln auch ohne qualitative Mängel die Musikstile. Hervorstechend ist sicherlich ihre Version des Björk-Songs „Scatterheart“.
Und auch textlich sind Stiländerungen deutlich erkennbar: vom sentimentalen „Just a little Teardrop“ bis zum metaphorisch-agitatorischen „Should have known better“.
Ein kleiner Textauszug hieraus zur Illustration:
“You should have known better
Than to end up being no better
No better than the politicians
No better than the other fucking fools
Until you throw it away
And try to find another way
To make it all better
You’ll be heading the same old way”

Wer es also besser wissen will, sollte unbedingt beim Duo Roggen & Lien hinein hören!


Live Maria Roggen & Helge Lien: "You"
Ozella Music, 2017

Eine musikalische Weltreise mit Blechbläsern

Blechblasmusik und Bayern sind ja nicht nur alliterarisch gesehen eine feste Verbindung.
Doch wer sich bei LaBrassBanda auf volkstümliches Liedgut einstellt, wird angenehm (oder unangenehm) enttäuscht.
Denn diese sieben Blechbläser sind seit 2007 eifrig dabei, aus ihren Blechblasinstrumenten einen neuen und ungewohnten Sound zu entlocken. Was zunächst die musikalischen Traditionshüter in Bayern bis ins Mark erschütterte, erfasste spätestens 2013 beim deutschen Vorentscheid zum European Songcontest den Rest der Republik. In über 1000 Konzerten übertrug sich die Begeisterung auf das Publikum.
Zum 10-jährigen Bandjubiläum präsentieren sie ein energiereiches neues Album. Sie kreieren keinen eigenen Musikstil, aber ein Reggae-Lied würde man wohl nicht unbedingt von Blechbläsern erwarten.
Und es gibt ein angejazztes Liebeslied mit Didgeridoo-Fundament genauso wie Lieder mit Soul-, Hiphop- oder Punktönen.
Und wer nicht nur mitwippen oder mittanzen, sondern auch mitsingen mag: Im beigefügten Booklet können die Texte in bayerischer Mundart nachgelesen werden.
Und bei allen Spaßelementen, den die barfüßigen Blechbläser in Lederhosen und T-Shirts zelebrieren: sie spielen Blasmusik auf höchstem Niveau!


LaBrassBanda: "Around the World"
RCA, 2017

Vom Einfluss einer Schamanin im Schlaf

Welche Musik ist von einer Musikerin zu erwarten, die in Paris geboren ist, deren Eltern Senegalesen sind und die sich Rom zu ihrem aktuellen Hauptwohnsitz ausgewählt hat …?
Gleich beim ersten Hören fällt die betörende Stimme auf, eine authentisch klingende Stimme wohlgemerkt, nicht eine dieser gekünstelten „Radio-Gute-Laune-Stimmchen“.
„Storyteller“ als Eingangslied bringt es schon im Liedtitel zum Ausdruck: Awa Ly ist eine Geschichtenerzählerin – sie singt Geschichten über Liebe und Freundschaft.
Die Liebe als globales Phänomen findet sich in vielerlei Facetten – mal zu viel Liebe, mal zu wenig; mal leidenschaftlich, mal zerstörerisch …
In ihren Liedern wird sie bei ihren musikalischen Streifzügen von verschiedenen Musikern und höchst unterschiedlichen Instrumenten begleitet. Neben Gitarren, Percussion und Piano sind dies zum Beispiel Senza, Kora oder die chinesische Laute Erhu.
Das Booklet enthält persönliche Kommentare von Awa Ly zu ihren zehn Liedern. Motive und Hintergründe zu den Songs werden so nachvollziehbar gemacht: Welchen Einfluss auf die Musikerin eine Schamanin im Schlaf genommen hat (im Lied „Storyteller“), das sprechende und sorgende Mutterherz an den Sohn, der zur Flucht aus der Armut gewillt ist („Here“) oder ein Übermaß an (einseitiger) Liebe in „Let me love you“.
Die CD „Five an A Feather“ bietet textlichen Entdeckerstoff für sensible Zeitgenossen. Und leicht wie eine Feder wechselt Awa Ly die Musikstile von Jazz, Blues und Soul.


Awa Ly: „Five and A Feather”
Naïve/Indigo Records, 2017

Vom Lebensmotto der Spargelkönigin

Die CSU repräsentiert gemeinhin als omnipräsente Staatspartei den Freistaat Bayern und das bayerische Lebensgefühl, so zumindest das Credo der christsozialen Protagonisten.
Es ist bedauerlich, dass speziell der „Rest“ der Republik nicht so recht wahrzunehmen mag, dass es eben auch ein anderes Bayern gibt.
Nicht jeder Landwirt und jeder Dorfbewohner in diesem Bundesland ist ein lebenslänglicher CSU-Wähler – und was Denken und Alltagshandeln betrifft, so finden sich häufig reichlich anarchische Momente im tiefschwarzen Süden.
Ein vorzüglicher Vertreter dieses „anderen Bayern“ ist der Liedermacher Georg Ringsgwandl. Seine Vita allein – vom Oberarzt der Kardiologie am Klinikum Garmisch-Partenkirchen bis hin zum professionellen Musiker – determiniert ihn für schräges Kulturgut, das er mit seinen selbst komponierten und getexteten Liedern seit vielen Jahren auch praktiziert. Eine kleine Anekdote zu seinen musikalischen Anfängen: Zur Musik kam er durch das Zitherspiel, das Musikinstrument bekam er im Alter von acht Jahren von einer Tante.
Was andere Rockmusiker als „Unplugged“-Musik verkaufen, hat er nur als „Wohnzimmerfunk“ realisiert und sich damit im abgelaufenen Kalenderjahr einen lang gehegten Wusch erfüllt: die simpel anmutende Idee, ein Musikalbum in einem Wohnzimmer aufzunehmen. Ohne Schallschutzmaßnahmen entstand so die CD „Woanders“ in einer Altbauwohnung. Es bedurfte dann auch nur einer knappen Woche, bis die Aufnahmen abgeschlossen waren.
Die Lieder auf dieser CD handeln u.a. von der „Spargelkönig“ (deren Lebensmotto lautet: „…Es könnte schlimmer sein…“), von dem Wunsch „In mein‘ nächsten Leben wer‘ i a Koda (Kater)“ und von vielen negativen Vorfällen, die laut Titelsong „woanders“ passieren („…aber net bei uns dahoam“).
Ein sehr ruhiges Album, aber mit vielen schrägen Tiefsinnigkeiten garniert, wenn ein Kardiologe den bayerischen Alltag seziert…


Georg Ringsgwandl: „Woanders”
Blanko Musik, 2017

Musikalische Inspirationen durch Friedhofsarbeit

Ein herausragendes Album aus dem Kalenderjahr 2016, in dem ja viele Musikheroen – von Prince bis Leonard Cohen – verstorben sind?
Es lohnt hier wieder mal den Blick gen Norden richten.
Christian Kjellvander hat hierzulande immer einen Geheimtipp-Status. Der Musiker hat vor einigen Jahren in Österaker, einem winzigen schwedischen Dorf, eine alte Kirche gekauft. Und dort hat er zusammen mit seiner Band die CD „A Village: Natural Light“ aufgenommen.
Der Kirchenraum bietet ein stimmiges Ambiente für dieses Werk – und gleichzeitig eine akustische Verstärkung für das Album. Das melodisch-melancholische Gitarrenspiel wie auch die markante, tiefe Stimme des Bandleaders verweben sich zu einem dichten Klangteppich.
Nicht Weltschmerz und die Sehnsucht nach exotischen oder heilen Welten bestimmen die Lieder. Im Fokus steht „the village“ (das Dorf). Der Blick auf sich selbst, auf die Familie und die Freunde bedarf keiner grellen Großstadtilluminationen.
Interessanterweise hatte Christian Kjellvander in der Zeit, als diese Songs entstanden sind, einen Teilzeitjob auf einem Friedhof angenommen. Möglichst handfeste Arbeit als Basis für musikalische Kreationen. Und das Dorf als Mikrokosmos der Welt, in der wir leben und eines Tages auch sterben.
Christian Kjellvander widerstrebt affektiertes Gehabe und Wichtigtuerei.
„Please forget me, when I’m gone. I was never here…“ heißt es im Lied „Riders in the Rain“.
Nein, diese Musik wirkt nach, wirkt länger – und hinterlässt Spuren.


Christian Kjellvander: "A Village: Natural Light"
Tapete Records, 2017

Klavierspiel mit Tiefgang

Kurz vor dem Weihnachtsfeste würde es sich anbieten, den dauerbeschallten Einkaufstempeln und Fußgängerzonen etwas Kontemplatives entgegenzusetzen.
Vor dem nahenden Jahresende mag so mancher kommunikationsfreudige Zeitgenosse auch denken, dass der Worte nun genug in diesem Kalenderjahr gewechselt seien. Der Musikfreund kann sich dann dem instrumentalen Liedgut hingeben - und statt den sattsam bekannten Melodien zur Abwechslung mal unbekannten Künstlern eine Chance geben.
Sevi Salam ist eine aus der aserbeidschanischen Hauptstadt Baku stammende Musikerin und Künstlerin. Sie wohnt seit gut zwölf Jahren in Nürnberg.
Solo präsentiert sie sich auf der CD-Veröffentlichung "One Day".
Ihr Klavierspiel perlt flüssig dahin - und beim genaueren Zuhören offenbaren sich Nuancen, die den Stücken eher eine verträumte, eine melancholische oder eine beunruhigte bzw. seelisch aufgewühlte Ausprägung geben. Die einzelnen Titel widerspiegeln diese musikalischen Offenbarungen gleichfalls, ob "Loneliness", "The One Day of a Butterfly" oder "Fukushima".
Sevi Salam präsentiert ein musikalisches Geflecht mit Tiefgang. Sie lädt dazu ein, sie zu begleiten -ob beim Dialog mit den Wellen ("Speaking with the Sea") oder den gefühlvollen Erinnerungen an ihre Heimat ("My home Baku").


Sevi Salam: One Day
Label11, 2016

Musikalische Schätze jenseits von "Hu-Hu-Hu"

Die isländische Mannschaft hat sich im Kräftemessen mit den vermeintlich großen Fußballnationen bei der diesjährigen Europameisterschaft viele Sympathien erspielen können. Mit dem Mute der Verzweiflung hat sich der Underdog bis ins Viertelfinale gekämpft.
Als Sympathieträger erwiesen sich aber auch die isländischen Fans. Ihr dumpfes Hu-Hu-Hu-Siegesritual wirkte anfangs befremdlich, wurde dann aber als kuriose Bereicherung der Fankultur angesehen.
Auch der CD-Sampler "A Taste Of Beste! Unterhaltung - Vol. 2" mag beim ersten Anhören hin und wieder befremdlich klingen. Aber er bietet die Chance, nicht nur internationales Liedgut kennenzulernen, sondern auch wahre musikalische Schätze zu heben...und das zu einem Schnäppchen-Preis.
Eine lohnenswerte Entdeckung ist beispielsweise der isländische Künstler Svavar Knutur. Der Liedermacher aus dem Land der Gletscher und Geysire beschwört innere Dämonen und äußere Stürme. In seinen jüngsten Veröffentlichungen kehrt er eher die heiteren Seiten des Lebens hervor. Das Lied "Girl from Vancouver" mutet beim ersten Anhören wie ein albernes Liebeslied an. Aber der sprachliche wie musikalische Witz lohnt mehrmaliges Anhören... und man wird nicht nur mit vielen englischen Reimwörtern auf die Stadt "Vancouver" entschädigt.
Ein weiteres nordeuropäisches Stimmwunder ist sicherlich die von den Färöer-Inseln stammende Guðrið Hansdóttir. "You blossom like a Flowers" ist die stilvolle Vertonung eines ins Englische übersetzten Liebesgedichts von Heinrich Heine.
"Oh Lonesome Me" ...klingt wie Cowboy-Melancholie zu Wildwest-Zeiten; tatsächlich ist es ein Duo, dahinter verbergen sich die beiden stimmgewaltigen Musikerinnen Carina Schwertner und Anne Stabe. Zum Kennenlernen bietet der Sampler die Liebesballade "You only like me when you're drunk" an.

18 Lieder können auf diesem Sampler entdeckt werden, auf ein Lied sei als finaler Anspieltipp noch hingewiesen: "One amongst Others", unglaublich gefühlvoll von der isländischen Liedermacherin Myrra Rós vorgetragen.


"A Taste of Beste! Unterhaltung - Vol. 2" (Sampler)
Beste! Unterhaltung, 2016 (Direktbezug beim o.g. Label)

Ehrlich gesagt... und gesungen

Ehrlich gesagt, macht sich grundsätzlich eine gewisse Skepsis beim Rezensenten breit, wenn es sich um deutschsprachiges Musikgut handelt. Die Herz-auf-Schmerz - Reimkultur ist ja schon hinlänglich beklagt worden.
Das Musiker-Ehepaar Carolin und Andreas Obieglo firmiert als künstlerisches Duo "Carolin No". Knapp zehn Jahre nach ihrem Debütalbum haben sie mit "Ehrlich gesagt" eine komplett deutschsprachige CD eingespielt.
Carolin Obieglo drückt den Liedern mit ihrem intensiven Gesang ihren Stempel auf, während Andreas Obieglo an diversen Tasten- und Saiteninstrumenten brilliert.
Sie liefern poetische Momentaufnahmen und glänzen dabei mit Spielfreude und -witz.
Der musikalische Reigen reicht von der nachdenklichen Ballade "Eins in Dur" über das melancholische "Lichter unserer Stadt" bis zum zerbrechlich dargebotenem Liebeslied "Herz". Einen starken Nachklang ruft das Lied "Abend wird es wieder" hervor - der einzige Fremdtext stammt übrigens von Hoffmann von Fallersleben.
Eindeutiger Höhepunkt des Albums ist das titelgebende Stück "Ehrlich gesagt":
"Ehrlich gesagt
Hab ich schon lange nichts mehr
Ehrlich gesagt
Und daran was zu ändern
Ehrlich gesagt
Kontinuierlich vertagt..."
Das Lied hat wirkliche Hitqualitäten und drängt dabei anrührend, leicht verquer und verstörend, dynamisch und kraftvoll ins Ohr.
Ehrlich gesagt: intelligente deutschsprachige Popmusik ist möglich!


Carolin No: Ehrlich gesagt
Fuego, 2016

Ein musikalischer T-REKK durch den Süden der USA

Dortmund? Wenn man in diesen fußballinflationären Zeiten diese Stadt erwähnt, ist die Assoziation zum „Runden, das ins Eckige muss“, fast zwingend.
Dortmund und Kultur? Der moderne Mensch bedient sich bei einer solch schwierigen Fragestellung einer Internetsuchmaschine und stößt dann vielleicht auf den Förderpreisträger für junge Künstler 2014.
Diesen Preis gewann die Musikgruppe REKK. In der Laudatio hieß es:
„Die Dortmunder Indie-/Folk-Band REKK überzeugt durch eine unverwechselbare musikalische Eigenständigkeit … Obwohl es sich hier um noch recht junge Musiker handelt, ist es der Band gelungen, einen eigenen Sound jenseits der Mainstream-Anforderungen zu kreieren.“
Der Kopf dieses Quintetts ist Matti Kaiser. Er beherrscht meisterhaft das gefühlvolle Texten und Komponieren.
Die englischen Liedtexte sind von Andeutungen und Anspielungen wie auch von (nicht immer ernst gemeinten) Wortspielereien durchdrungen.
Interessanterweise wurde auch der Bandname REKK aus Gründen der semantischen Ästhetik gewählt: Man empfand die zwei aufeinanderfolgenden „K“ des Albums „TAKK“ von Sigur Rós so schön. Und mit diesem Bandnamen ergeben sich fast zwangsläufig Wortspiele wie „Soundrekk“ – übrigens der Begriff, unter dem man die Band auf Soundcloud findet.
Die REKK-Musik hat Anklänge an Ryan Adams wie an die hymnenartigen Balladen von Coldplay. Kunstvoll im wahrsten Sinne des Wortes sind die vorwiegend akustisch geprägten Melodien, teilweise garniert mit Bläser- oder Streichereinheiten.
Ein besonderes Schmankerl ist der einzige Coversong auf dem Debutalbum, nämlich „Wicked Game“, im Original von Chris Isaak.
Die REKK-Version entbehrt des Edelkitsch-Tons, konzentriert sich auf den Liedkern, wirkt dadurch intimer und eindringlicher.
Vielleicht liegt ja Dortmund auch gar nicht im Ruhrgebiet, sondern irgendwo in den Weiten des US-amerikanischen Südens, wo bei einem T-REKK zu Fuße die flirrende Luft in einer kargen Landschaft die Künstler zu kreativen Höchstleistungen anspornt?


REKK: Sixtytwo
Stargazer Records, 2016

Eine Klaviermelange mit südkoreanischen Wurzeln

Von wegen verknöcherte und vergeistigte ältere Herren als Protagonisten an den weißen und schwarzen Tasten. Die Zukunftshoffnung am Klavier ist jung und weiblich.
Die aus Südkorea stammende Younee offenbart Charme wie Charisma.
Auf ihrem Debutalbum "Jugendstil" griff sie noch auf bekannte Komponisten wie Mozart, Beethoven oder Rachmaninoff zurück.
Ihr neuestes Album "My Piano" enthält nun elf Eigenkompositionen.
Younee zelebriert hierauf keine künstliche Virtuosität, sondern nimmt den Zuhörer auf eine Reise mit, die sich einer strikten Schubladisierung verweigert.
"Crossover" heißt das Zauberwort, wenn Klassik, Jazz und Blues eine Melange eingehen.
Und Younee macht hieraus einen gefühlvollen, temporeichen Ohrenschmaus zwischen Furioso und Pianissimo, zwischen dem verhaltenen "Ansbach Blues" und dem fulminanten "Toccata And Blues In E Minor".
Ob Younee wirklich "unique" ist, wie es die Werbebotschaft des Plattenlabels verkündet, mag sich nach zwei Alben noch nicht erschließen.
Sie ist zweifelsohne aber auf einem guten Wege, sich diese bereits attestierte Einzigartigkeit zu erspielen.


Younee: My Piano
Fulminantmusic, 2016

Skurrile Anweisungen für ein Klavierduo

Klassische Musik ist auch Jahrhunderte nach dem Tod von Komponisten wie Mozart, Bach oder Beethoven noch immer en vogue.
Die modernen Komponisten fristen dagegen eher ein Schattendasein
Die Schwestern Katja und Ines Lunkenheimer bieten auf "Oscillations - Schwankungen" die Gelegenheit, zeitgenössische Musik von Frédéric Bolli, Holmer Becker und Hans Kraus-Hübner (der auch das titelgebende Stück verfasste) kennenzulernen.
Bereits zu Jugendzeiten musizierten die beiden gemeinsam. Als Klavierduo erspielten sie sich einen 1. Preis beim Bundeswettbewerb "Jugend musiziert".
Nach etlichen weiteren künstlerischen Stationen legen sie mit "Oscillations - Schwankungen" ihre zweite CD als mittlerweile routiniertes Duo an den Tasteninstrumenten vor. Die größtenteils vierhändig zu spielenden Stücke sind keine musikalischen Wohlfühlbäder.
Lyrische Einschübe kontrastieren mit lebhaften Teilen, verspielte Klavierpassagen treffen auf erratisch anmutenden Momente, Leichtigkeit widersetzt sich strenger Konstruktion.
Mit seinen skurrilen Anweisungen erweist sich der Komponist Frédéric Bolli eher als Humorist. Diese lauten etwa: "etwas nonchalant", "befreiend" oder "schmunzelnd".
Das finale Stück "I dodici mesi" widmet sich den zwölf Monaten, die jeweils als Präludien bzw. Fugen in musikalische Töne gesetzt wurden.
Die nahtlos ineinander übergehenden Monatspaare zeugen nicht zuletzt davon, wie flugs die Zeit vergeht...


Katja & Ines Lunkenheimer: Oscillations - Schwankungen
TYXart, 2015

Welchen Harfenklang hat die Farbe Weiß?

Gibt es Harfenmusik jenseits klassischer Stücke oder gefühlsduseliger Anbiederung an die keltische Musik?
Die in Berlin geborene und in Nürnberg aufgewachsene Maja Taube hatte bereits mit acht Jahren ihre erste Begegnung mit diesem Musikinstrument.
Nach dem Studium sammelte sie Erfahrungen in mehreren im Frankenland beheimateten Orchestern sowie in regionalen Musikgruppierungen.
Ihre zweite Solo-CD "Klanggewebe" entstand als Crowdfunding-Projekt.
Man darf den Schwarmfinanziers dankbar sein. Denn Maja Taube besticht mit einer beeindruckenden Fingerfertigkeit.
Es sind dreizehn Klangperlen, die vielschichtige Melodiebögen aufweisen, mal in zurückhaltendem, mal in treibendem Tempo.
Die Harfenistin offenbart kein Fast Food für die Ohren und auch keinen esoterischen Klangbrei.
Es sind ungekünstelte, klar vorgetragene Stücke, die man "nur" genießen kann, die aber auch dazu animieren, die Titelassoziationen der Künstlerin aufzugreifen.
Welchen Klang hat die Farbe Weiß, wie klingen Spiegelungen?
Maja Taube findet hierauf mit ihrer Harfenmusik bezaubernde Antworten...


Maja Taube: Klanggewebe
Edition Metropolmusik (
Direktvertrieb über die Künstlerin), 2015

Jeder bete für sich allein ...

Zeugt es von Mut oder von Provokation, in Zeiten wie diesen ein Album mit dem Titel "Deutschland" zu veröffentlichen?
In seiner gut 35-jährigen musikalischen Karriere hat sich Heinz Rudolf Kunze des Öfteren dieses Land vorgenommen. So gab es von ihm noch in den Jahren der beiden deutschen Teilrepubliken den Liedtitel "Deutschland" mit dem Untertitel "Verlassen von allen guten Geistern".
Das Cover seiner CD-Neuerscheinung macht stutzig: Es zeigt eine reparaturbedürftige Straße, von Baustellen gesäumt, in einer bürgerlichen Vorstadtsiedlung.
Symptomatisch für das Deutschland im Jahre 2016?
Kunze liefert jedenfalls keine einfachen Antworten. Der intellektuelle Welterklärer bietet unterschiedliche Botschaften an und verpackt sie mit seiner Band "Verstärkung" in rockige Töne, die auch mal in Richtung Blues, Funk oder Pop tendieren.
Am klarsten positioniert er sich im Lied "Jeder bete für sich allein" - mit einem eindeutigen Plädoyer gegen religiöse Monopole.
Die Single-Auskopplung "Das Paradies ist hier" ist keine naive Anbetung Kohl'scher Wohlstandsoasen. Kunzes Credo: Trotz aller Katastrophenmeldungen gilt es, sich Lebensfreude zu bewahren und "etwas aus dem Leben zu machen".
Eher philosophisch angehaucht ist der Song "Zu früh für den Regen". Harmonische Gitarrenklänge kontrastieren zu einer existentialistisch anmutenden Ortsbeschreibung - Camus lässt grüßen.
Die Lebenserinnerungen eines alten Zauberers münden dagegen in die finale Erkenntnis: Das Leben ist "ein fauler Trick".
Am Rande des Kalauers befindet sich das dem Küssen gewidmete Lied "Mund-zu-Mund-Beatmung".
In Zeiten von Pegida & Co. ist Kunze die geistig wie musikalisch belebende und herausfordernde Alternative für Deutschland...
Wie reimt er so schön treffend im Titelsong:
"Jeder gute Deutsche hat sich an Dir gerieben -
denn so einfach ist es nicht, dieses Land zu lieben."


Heinz Rudolf Kunze: Deutschland
RCA/Sony Music, 2016

Eine Violonistin auf Speed

Die Violine wird gemeinhin als Instrument den klassischen Kompositionsstücken zugerechnet.
Dass hiermit aber auch moderne, powervolle Stücke geschrieben und gespielt werden können, stellt Sarah Neufeld eindrucksvoll mit ihrer zweiten CD-Einspielung "The Ridge" unter Beweis.
Die Kanadierin fungiert als Violinistin wie Komponistin und wurde bekannt als Mitglied der Grammy-prämierten Indierock-Band "Arcade Fire".
Obwohl es schon immer zur ihrer Übungspraxis gehörte, mit Improvisationen und Solo-Kompositionen zu arbeiten, begann Neufeld erst 2011 ernsthaft damit, Stücke für ihre Violine zu komponieren.
Béla Bartok, Steve Reich, Iva Bittova und Arthur Russel zählt die 36-Jährige zu ihren Einflüssen.
Auf ihrem jüngsten Album wird der Gesang mehr als zuvor betont, das Wechselspiel zwischen Stimme und Violine ist gekonnt in die Kompositionen eingebunden.
Die Stücke strahlen eine unglaubliche Dichte aus, die an Veröffentlichungen der irischen Künstlerin Enya erinnern... allerdings ist Sarah Neufeld sozusagen eine "Enya auf Speed".
"The Ridge" fesselt durch eine intensive und dynamische Atmosphäre ... für meditative Zwecke ist sie eher nicht geeignet.


Sarah Neufeld: The Ridge
Paper Bag Records/Indigo, 2016

Eine sehr langwierige CD-Aufnahme

Nur wenige Musikinteressierte werden sich noch an das Lied "Auf der Jagd nach der Zukunft" von der gleichnamigen Schallplattenveröffentlichung erinnern, das einen Sänger namens Thomas Kagermann für kurze Zeit im Westen der Republik bekannt machte.
Aber Thomas Kagermann wollte diesen Weg nur wenige Jahre weitergehen. Sein stimmliches Potential hätte durchaus mehr hergegeben.
Er wandelte sich zum "Violunar", der die Geige in den Mittelpunkt seines künstlerischen Schaffens stellte. Genauer gesagt: wieder in den Mittelpunkt stellte, denn als Geigenspieler in diversen Folkrock-Gruppen begann seine musikalische Vita in den 70er Jahren.
Mit "Delicious Fruit" gelang ihm 1997 eine fantastische Einspielung, in der auch jiddisches Kulturgut Eingang fand.
Es folgten mehrere Veröffentlichungen, in der das Violinspiel bis in ätherische oder esoterische Höhen getrieben wurde.
Und nun die CD "Im Reich von dieser Welt".
Ein komplexes Liedalbum, das unglaublicherweise allein von ihm gesungen und eingespielt wurde, wohlgemerkt alle Violinpassagen, alle Gitarren, alle Gesangslinien...
Kagermann nahm sich für die Erstellung dieser CD annähernd neun Jahre Zeit. So konnte dieses Album reifen, so konnte er auch komplexe Streichersätze aufnehmen, die es erforderten, für wenige Takte 20mal Violine zu spielen.
Mit dem neuen Album wurde aus dem Violunar wieder ein Liedpoet, der die deutsche Sprache für eine wundervolle Gesangssprache hält: facettenreich, präzise, kurvenreich, holprig, geradeaus, detailgenau...
Als Liedpoet stellt er einerseits sein Können bei selbst getexteten und komponierten Stücken heraus; andererseits trägt er vermeintlich abgenudelte Fremdtexte bzw. -kompositionen wie "Die Loreley" (Heinrich Heine) oder "Sag mir, wo die Blumen sind" (im Original von Pete Seeger) mit künstlerischer Passion vor.
Die Angestellte einer Autofirma soll übrigens diese mehrjährige CD-Aufnahme angestoßen haben. Sie konnte sich an das eingangs erwähnte Lied erinnern, als sie Thomas Kagermann als Kunden bedienen durfte...Ihr folgenreicher Wunsch: ein neues Liedalbum von ihm.
Und so entstanden vierzehn bezückende Stücke, die die Liebe und die Natur wie auch Kagermanns universale Religionsauffassung beinhalten.
"Am Kanal" ist eine sanfte Ballade wider die Kommerzialisierung der Naturnutzung.
Das Lied "Alles ist Eins" endet mit den Zeilen:
Der Töter ist daher nicht intelligent, er tötet ein Stück von sich selbst
Waffen als Stachel im eigenen Fleisch, die du durch Steuern erhältst
Schlägt der Mensch der Natur ins Gesicht, so sind die Folgen fatal
Sein blaues Auge spürt er vielleicht nicht, doch wirkt er international.
Thomas Kagermann ist ein fein- wie tiefsinniger Künstler, der in persönlichen Begegnungen auch als ein Zeitgenosse mit Esprit und spontanem Witz besticht.


Thomas Kagermann: Im Reich von dieser Welt
MP Records
(Direktvertrieb über den Künstler), 2015

Isländische Zerbrechlichkeiten

Island? Eine Insel im hohen Norden mit weniger Einwohnern als beispielsweise Leipzig. Island? Für Fußballanhänger ein Land, das im vergangenen Herbst die durchaus sporthistorische Qualifizierung für die kommende Europameisterschaft erreicht hat.
Und das musikalische Potential Islands?
Der Sänger und Liedermacher Svavar Knútur gilt zwar als ein großer Fan der deutschen Sprache, aber sein jüngst erschienenes Album hat er trotzdem nicht nach einem Grundnahrungsmittel benannt.
"Brot" heißt auf Isländisch "das Zerbrechen". Im Titelsong der CD geht es darum, dass der Barde und sein kleines Boot es trotz widriger Winde und wuchtiger Wellen heil zurück an das Ufer geschafft haben. Um einen kurzen Moment des Atemholens zu genießen, bevor wieder die Segel zu neuen Abenteuern gesetzt werden.
Svavar Knútur zeigt sich durchaus bewandert in unterschiedlichen Musikstilen - von langsamen, getragenen bis zu rockigen Nummern. Sozusagen stilsicher zwischen den Stilen: mal ein sanfter Barde, mal ein unberechenbares Springteufelchen.
Sprachlich wechselt er zwischen Isländisch und Englisch. In "Girl from Vancouver" gibt er sich, um des Reimes willen, eher albern, während er in "Little Things" ein lyrisches Liebesbekenntnis abliefert, das die kleinen Besonderheiten der Liebsten in Augenschein nimmt.
Die musikalischen Variationen der zehn Lieder sind nicht nur in den wechselnden Tempi begründet. Sparsam dosierte Begleitung reiht sich an eine orchestrale Instrumentierung.
Der finale Song "Slow Dance" hat durchaus Anklänge an bekannte Stadionrockhymnen. Wie er dies im Livekonzert dann umsetzt, kann zum Beispiel am 12.02. in Berlin, am 13.02. in Leipzig und am 18./19.02. in Dresden verfolgt werden.
Svavar Knútur hat jedenfalls ein unüberhörbares Talent fürs Songschreiben.


Svavar Knútur: Brot
Nordic Notes, 2015

Bewegungspflicht

Das Kölner Publikum wird auf die "Bewegungspflicht" hingewiesen. Bloßes Vergnügen reicht eben nicht aus...
Aber die dargebotene Musik bleibt auch nicht in den Gehörgängen stecken, sondern geht direkt in die Beine. Ruhiges Zuhören im Sitzen oder im Stehen ist hier wirklich ein Ding der Unmöglichkeit.
Zwar haben sich Fiddler's Green in den 25 Jahren ihres Bestehens noch nicht den Bekanntheitsgrad der irischen Kultband Dubliners erspielen können, doch sie haben mittlerweile deutschlandweit eine beachtliche Fangemeinde, die ihren Stil irischer Volksmusik, der sehr rockig unterlegt ist, schätzen. Das Sextett aus Erlangen bezeichnet diese Musik als "Irish Speedfolk", eine kreative Mischung aus Folk, Rock, Reggae, Ska und Punk.
Auf dem Livealbum "25 blarney roses" bieten sie einen Querschnitt ihres musikalischen Schaffens. Neben original irischen Kompositionen (etwa das titelgebende "Blarney Roses") gibt es eine Vielzahl an eigenen Stücken. Die fränkische Combo pflegt in authentischer Manier die Lebensfreude der grünen Insel.
Schon Heinrich Böll hatte ja in seinem "Irischen Tagebuch" eine literarische veredelte Ode an das aus Sicht eines Kontinentaleuropäers kauzig anmutende Inselvölkchen geschrieben.
So denken Deutsche bei negativen Erlebnissen oder Ereignissen immer in Katastrophendimensionen. Die Iren dagegen hätten, so Böll, eine Haltung kultiviert, die da lautet: "It could be worse!" Es könnte ja noch schlimmer kommen ...
Vielleicht ist es ja gerade ihre Musik, die vor allzu depressiven Anwandlungen schützt? Mit Gitarre, Geige, Banjo, Mandoline und Akkordeon gelingt es Fiddler's Green, in ihren Konzerten diesen irischen Musik- und Lebensstil auf die Bühne zu zaubern.
Und die CD hält ihr Kölner Konzert auch für die Nichtanwesenden fest.
Aber auch für CD-Hörer gilt natürlich: Bewegungspflicht!


Fiddler's Green: 25 blarney roses - Live in Cologne
Deaf Shepherd Recordings/Indigo, 2015
(eine DVD-Veröffentlichung ist ebenfalls erhältlich)


P.S.: Im April 2016 traten Fiddler's Green u.a. in Potsdam, Bonn, Halle und Karlsruhe auf .

Leidenschaftliche und amüsante Interpretationen

Man sieht sich im Leben immer zweimal... trifft das auch auf akustische Erlebnisse zu?
In den 80er Jahren fiel mir die CD "For here where the Life is ..." von Anne Haigis in die Hände. Eine für mich immer noch faszinierende Mischung aus Musiktiteln im Grenzbereich zwischen Jazz und Pop. Zwei Jahrzehnte später hätte sie mit dieser CD durchaus einer Katie Melua und deren Epigonen Konkurrenz machen können.
Ich verlor die Künstlerin dann aus den Augen bzw. Ohren.
Viele Jahre später dann ein unverhofftes Wiederhören: Anne Haigis veröffentlicht "15 Companions".
Ihre Stimme ist jetzt deutlich erdiger und bluesiger; die gebürtige Schwäbin klingt nun wie eine Wiedergängerin von Janis Joplin oder der weibliche Gegenpart von Tom Waits, dessen melancholische Komposition "Waltzing Mathilda" Eingang in diese CD gefunden hat.
15 musikalische Mitstreiter ("Companions") hat Anna Haigis auf diesem Album insgesamt vereint. Es ist auch das 15. Album ihrer Karriere, das passenderweise im Jahr 2015 erschienen ist.
Doch nicht die Zahlenmystik steht im Vordergrund, sondern die gefühlvolle Stimme der Künstlerin. Sie changiert zwischen sanft und rau, zwischen ruhig und kraftvoll röhrend.
Bei den Konzertmitschnitten handelt es sich teilweise um Aufnahmen aus sogenannten Wohnzimmerkonzerten in der Nähe von Köln. Es sind intime Darbietungen, bei denen auch ihre musikalische Duopartnerin Ina Boo an der Gitarre und am Klavier hervorzuheben ist.
Die stimmige Instrumentierung der Stücke sorgt für deren eindringlichen Nachklang.
Ein besonderes Sahnehäubchen ist unter den Fremdkompositionen sicherlich das Lied "Ich bau Dir ein Schloss" des holländischen Schlagersängers Heintje - ein amüsanter Schlusspunkt auf einem leidenschaftlich dargebotenem Album.


Anne Haigis: 15 Companions
Westpark Music, 2015

Akustische Wohltaten in der Vorweihnachtszeit

Jahresendzeitstimmung ist angesagt. Doch bevor das neue Jahr mit neuen Vorsätzen und auch neuen Illusionen gestartet wird, richtet sich der Fokus auf Weihnachten.
Vom deutschen Einzelhandel wird die Vorweihnachtszeit als umsatzstärkster Monat herbeigesehnt. Und die Gehörgänge der Kundschaft werden in den Tagen und Wochen vor dem Fest mit den immergleichen Weihnachtsklassikern regelrecht weichgespült.
Ein Entrinnen ist hier nur schwerlich möglich.
Doch es gibt auch einige, zugegebenermaßen wenige akustische Wohltaten.
So spielte mitten im Hochsommer die Münchener Jazzmusikerin Barbara Dennerlein das Album "Christmas Soul" im italienischen Bari ein.
Die Künstlerin, seit 2013 Mitglied der ehrwürdigen "Hammond Hall of Fame", spielte für diese Aufnahmen nicht auf "irgendeiner" Hammondorgel, nein, es musste schon eine "Hammond B3" sein.
Diese "B3" mag schwerfällig wirken - und im engeren Wortsinne ist sie es mit knapp 200 Kilogramm Gewicht durchaus.
Doch Barbara Dennerlein produziert keinen schwerfälligen Klangbrei, sondern entlockt im filigranen Spiel diesem Instrument (das übrigens seit 1973 nicht mehr gebaut wird!) höchst vielfältige Töne in unterschiedlichen Tempi. Mit den diversen Tastaturen und Reglern lassen an dieser Hammondorgel annähernd 250 Millionen Soundkombinationen kreieren - da schweigt jeder Synthesizer in Ehrfurcht.
Unterstützt wird sie u.a. vom schwedischen Saxofonisten Markus Lindgren und der englischen Jazzsängerin Zara McFarlane.
Durchaus bekanntes Liedgut wird hier nicht gegen den Strich gebürstet, sondern bekommt einen wohltuenden Aufguss aus Jazz und Soul verpasst.
Es gibt also auch an Weihnachten Bescherungen, die hörenswert sind ...


Barbara Dennerlein: Christmas Soul
Edel/MPS, 2015

Wortspielreiche Spielverderber

Erlangen ist bekannt als Universitätsstadt und als großer Siemens-Standort. Musikalisch ist diese nordbayerische Stadt bisher kaum hervorgetreten. Zu Zeiten der Neuen Deutschen Welle in den 80er Jahren gab es durch die Gruppe "Foyer des Arts" einen kleinen Hit mit dem Stück "Wissenswertes über Erlangen", wobei dieses Lied bestenfalls als ironische Hommage an die Stadt durchgehen kann.
Peter "Point" Gruner liefert mit seiner Band "Die Spielverderber", wenngleich in der Erlanger Region beheimatet, gleichfalls keine Oden an die fränkische Fahrrad-Stadt.
Musikalisch bieten sie dezente Reggae- und kernige Rhythm'n'Blues - Rhythmen, hin und wieder mit kräftigen Bläserzusätzen gewürzt.
Die Liedtexte sind wortspielreich, abzulesen nicht nur am Albumtitel oder an Songtiteln wie "Reiche Arme" und "Verlorene Lore".
Point verhackstückt unterhaltsam-witzig Liebeslust und Liebesfrust, alltägliche Flausen und Befindlichkeiten.
Statt der unerträglichen Schnoddrigkeit des intellektuellen Jammerlebens wartet er mit (selbst-)ironisch gesungenen Lebensepisoden und -erkenntnissen auf.
Nicht unerwähnt sollte bleiben, dass es die Point-Alben "bewusst nicht über Amazon oder andere Internet-Gangster" zu kaufen gibt. Auch wenn er kein dezidiert politischer Liedermacher ist, zeigt er jedenfalls Rückgrat.
Es zieht ihn wohl weniger in die Hitparaden, sondern "immer weiter und weiter auf der unsichtbaren Spur..."

Point & Die Spielverderber: "Ich will nicht sein wo ich nicht bin"
point-und-die-spielverderber.de, 2015

Ein musikalisches Rezept gegen Arsonphobie

Die Sommerhitze ist vorbei. Wer sich musikalisch etwas Wärme zurückholen will, dem sei das zweite Werk der britischen Folk-Band Keston Cobblers Club empfohlen.
Wie der Albumtitel vermuten lässt, lodern die Flammen von "Wildfire" in unerwartete Richtungen, finden ihren Ursprung aber in der Wärme eines harmonischen Bandgefüges, das das zusammen singt, spielt und melodisches Liedgut kreiert.
Geschrieben vom Geschwisterpaar Matthew und Julia Lowe, wurde "Wildfire" teils in einem Landhaus in der englischen Grafschaft Devonshire, teils im Wohnzimmer des Elternhauses der beiden Geschwister in Kent aufgenommen und größtenteils selbst produziert.
Mühelos bewegt sich "Wildfire" zwischen Licht und Schatten und überzeugt durch den gekonnten Spagat zwischen Ernsthaftigkeit (wie der dramatische Eröffnungssong "Laws" oder das dunkel-düstere "Sober") und Unterhaltung (etwa das sommerliche "Win again" oder das Seemannslied "St. Tropez"). Die Singleauskopplung "Won't look back" will mit ihrem hymnenhaften Chorus dazu aufrufen, den Kopf nicht hängen zu lassen. Hervorzuheben ist auch das Titellied, das von Julias Angst vor Feuer (der Fachmensch spricht hier von Arsonphobie) handelt. Und sie definiert auch das Rezept, nach dem ihre Lieder "gebacken" werden, wie folgt: "That's strong vocal harmonies, powerful drums and hooky melodies." Und das Ganze dann gut umrühren...
Die Musik von Keston Cobblers Club ist kein angestaubter Folkrock der 70er Jahre, sondern es handelt sich um dynamische Songs, die ohne falsches Pathos oder aufgesetzte Fröhlichkeit bestechen.

Keston Cobblers Club: Wildfire
Glitterhouse Records, 2015

Die musikalischen Wunderwelten einer finnischen Wirtschaftswissenschaftlerin

Ist es eine marktschreierische Anmaßung oder ein kühn formulierter Anspruch, einem Musiklabel den Namen "Beste! Unterhaltung" (noch dazu mit einem Ausrufezeichen...) zu verpassen?!
Das in der fränkischen Provinz beheimatete Label hat die nordische Musik im Fokus. Wer in diesem Kontext mit Skandinavien nur Abba oder Björk assoziiert, kann sich durch die CD-Veröffentlichungen von "Beste! Unterhaltung" Nachhilfeunterricht zur Erweiterung des musikalischen Horizonts geben lassen.
Die 28-jährige Sängerin und Songwriterin Laura Moisio verbreitet auf ihrem zweiten Album "Ikuinen Valo" (Ewiges Licht) eine wunderbar verträumte Stimmung. Erzählt bzw. besungen werden wunderliche kleine Alltagsgeschichten in goldbraunen Sepiatönen. Die junge Frau aus dem finnischen Tampere schafft es, dass man ihrer hellen, doch nuancierten Stimme wie verzaubert lauscht, auch wenn der "normale" Mitteleuropäer kein Wort verstehen dürfte, denn Laura Moisio singt ausschließlich auf Finnisch.
Die Instrumentierung ist meist sehr dezent im Hintergrund gehalten, die Stimme der Künstlerin setzt die markanten Akzente. Nichtsdestotrotz sorgen Trompete bzw. Posaune, Piano oder Akustikgitarre für die passende Begleitmusik.
Wenngleich Finnland und Frankreich weder sprachlich noch geographisch als benachbart gelten dürfen, so mag die Assoziation von Laura Moisio mit der Musik zu dem französischen Kultfilm "Die wunderbare Welt der Amelie" nicht an den Haaren herbeigezogen sein. Doch wenn sich Laura und Amelie zusammen an ein Klavier setzen würden, würde Amelie die weißen und Laura die schwarzen Tasten präferieren.
Bleibt zu hoffen, dass die studierte Wirtschaftswissenschaftlerin Laura Moisio auch zukünftig den musikalischen Wunderwelten den Vorzug vor den trockenen Zahlenwelten geben wird.


Laura Moisio: Ikuinen Valo
Beste! Unterhaltung, 2015

Ein Pianist auf der Suche nach Distanz

Als der in Hamburg lebende schwedische Pianist Martin Tingvall 2012 mit "en ny dag" (ein neuer Tag) sein erstes Solo-Album veröffentlichte (siehe Blättchen Nr. 21/2012), präsentierte er eine andere Facette, nämlich die ruhige Seite seines künstlerischen Schaffens.
Die von manchen Rezensenten im deutschsprachigen Feuilleton gestellte Frage, ob diese Art von Musik nun Jazz oder Klassik sei, mutet wie die antiquierte Schubladisierung derselbigen an. Für Martin Tingvall ist eine solche Trennung nach Genres reichlich obsolet, sein Klavierspiel steht Edvard Grieg genauso nahe wie Chick Corea.
Mit "Distance" beschreitet er den eingeschlagenen Weg seiner Solo-Werke konsequent weiter. Er geht nach seinen eigenen Worten "auf die Suche nach Distanz. Distanz zur Schnelllebigkeit unserer heutigen Zeit, aber zum Beispiel auch die Entfernung, die entsteht, wenn man sich kaum mehr persönlich trifft, weil die meisten zwischenmenschlichen Kontakte über digitale Medien laufen."
Der Zuhörende bekommt mit dieser CD also eine Einladung, um Abstand zu schaffen zum tagtäglichen massenmedialen Overkill, in dem es kein Ende und keine (Scham-)Grenze mehr gibt.
Wenn man sich auf Tingvalls Musik einlässt, dann kann man innehalten, sich Tagträumereien hingeben, heraustreten aus dem normal wie Norm gewordenen Gedankenkarussell, sinnieren und reflektieren.
Inspirationen holte sich Tingvall nicht zuletzt von einem Aufenthalt auf Island. Hier bekam er ganz neue Perspektiven: "Trotz oder vielleicht gerade wegen der riesigen Entfernungen dort habe ich das Gefühl gehabt, dass es eine viel größere zwischenmenschliche Nähe gibt."
Und wer noch mehr von diesem meditativen Pianospiel haben möchte: Im Herbst wird Martin Tingvall eine ausgedehnte Tournee unternehmen.

Martin Tingvall: Distance Skip Records, 2015

Lieber naiv als korrupt

Konstantin Wecker gilt zweifelsohne als Säulenheiliger der deutschen Linken. Und seine neue CD "Ohne Warum" erscheint im Vorfeld seines immerhin 40-jährigen Bühnenjubiläums. In diesen vier Jahrzehnten hat er selbst durchaus Stehaufmännchen-Qualitäten bewiesen - künstlerische wie persönliche Tiefpunkte und drogenbedingte Abstürze konnte er überwinden.
Sein Rückgriff auf den spätmittelalterlichen Mystiker Meister Eckhart, der mit "ohn warum" einen Grundsatz des mystischen Denkens beschrieb, mag erst verwundern. Doch der streitbare Künstler plädiert dafür, sich im Leben zu engagieren, ohne auf den "return on invest" fixiert zu sein... ohne Berechnung, vielleicht ohne Sinn...
Wecker greift aktuelle Themen auf wie die Gedanken- und Gefühllosigkeit der Pegida-Demonstranten oder den Zynismus der Aufspaltung in Kriegs- oder Wirtschaftsflüchtlinge. "Es ist eine grenzenlose Welt, in der ich leben will", heißt das Schlussplädoyer im Lied "Ich habe einen Traum".
Er findet poetische wie selbstkritische Bemerkungen als Elternteil im Song "An meine Kinder". Seine unbestreitbare pazifistische Gesinnung wird mit dem finalen Wunsch an die Nachgeborenen deutlich: "...trag nie eine Uniform..."
Sein legendäres "Willy"-Lied findet eine 2015er Neuauflage. Die Wiederkehr des antifaschistischen Freundes wird erneut herbeigesehnt. Und es finden sich darin Bekenntnisse wie "Ich bin Revolutionär und Romantiker" oder "Lieber naiv als korrupt".
Vielleicht ist dies die Kernbotschaft des neuen Wecker-Albums: Sich den vielfältigen wie hinterhältigen Zumutungen der aktuellen Zeitläufte zu widersetzen, erfordert nicht nur einen kühlen Kopf, sondern ein mitmenschliches Herz.
In diesen nüchternen, ja gefühlskalten Zeiten schafft es dagegen nur ein hemmungsloser Romantiker, "eins mit deinem Traum" zu sein.


Konstantin Wecker: "Ohne Warum"
Sturm & Klang/Alive, 2015

Mediterrane Melancholie

Lassen Sie uns eine Urlaubsfahrt machen. Nicht mit dem Flugzeug oder dem Hochgeschwindigkeitszug. Nein, wir fahren eher entschleunigt auf einem Motorroller.
Wir erkunden auf dieser Fahrt das Herzstück Italiens zwischen Mailand und Rom. Wir meiden dabei die lauten Städte und die überfüllten Strände. Wir drehen einen Kinofilm im Stil der 50er oder 60er Jahre. Ein Road Movie, das nicht von wilden Verfolgungsfahrten handelt, sondern uns die mediterrane Melancholie nahe bringt.
Und als Soundtrack empfehlen wir die soeben erschienene CD von Opez mit dem nekrophilen Titel "Dead Dance". Das kunstvolle Cover mit den zwei Skeletten und den Grammophonköpfen sollte uns nicht zu Rückschlüssen auf morbide Musik verführen. Denn das Opez-Duo, bestehend aus den beiden Multi-Instrumentalisten Massi Amadori und Francesco Tappi, präsentiert auf ihrem Debut-Album höchst quicklebendige Musik.
Sie bieten uns eine Klanglandschaft aus Emotion und Einsamkeit an. Ihr musikalischer Anspruch ist dabei durchaus ambitioniert: "Uns geht es", so der für alle Kompositionen verantwortlich zeichnende Amadori, "nicht allein um die akustische Komponente, unsere Musik soll alle Sinne ansprechen."
Es mag etwas hoch gegriffen sein, doch sie haben damit das italienische Pendant zum Mississippi-Blues geschaffen.


Opez: Dead Dance
Agogo Records/Indigo, 2015

Ein musikalischer Reiseführer für Nomadenseelen

Die Schweizerin Sophie Hunger hatte vor drei Jahren mit ihrer letzten Studioplatte „The Danger of Light“, einer längeren Tournee und dem darauffolgenden Livealbum „The Rules of Fire“ fast eine Art Kultstatus im Genre des Alternative Rock erobert.
Um dann, musikalisch leergefegt, die Flucht aus dem Musikgeschäft nach Kalifornien zu ergreifen.
Dieser Exilaufenthalt in den USA dauerte zwar noch eine Zeit, bevor sie wieder nach Europa übersiedelte - aktuell ist Berlin ihr Hauptwohnsitz. Doch die Flucht vor weiteren musikalischen Aktivitäten war nur sehr kurzfristig.
Denn in einem Museum im Golden Gate Park von San Francisco wurde die Künstlerin fasziniert von den Monddarstellungen. Wissenschaftlichen Theorien zu Folge wurde der Mond nach einem Crash zwischen der Erde und einem Himmelskörper ins All geschleudert. Der Mond besteht demnach aus alter Erde. Was Sophie Hunger sehr irritiert:
„Wir heulen ihn an, weil er für uns so schön die Sehnsucht nach dem Fremden darstellt. Dabei ist er ein Teil von uns.“
Zwei Wochen hielt die selbst auferlegte musikalische Abstinenz nur an, dann begann sie mit einer Gitarre neue Lieder zu schreiben.
Im Titelsong der aktuellen CD singt Hungers Mond, der in der ersten Person erzählt und auf die Erde hinunterblickt:
„I was cut of your stone
I am empty but I’m never alone.”
Man könnte natürlich an die Stelle des Mond-Ichs die Sängerin selbst setzen und die musikalische Botschaft dann so verstehen:
Ich bin aus demselben Stein wie ihr gehauen, liebes Publikum. Ich bin leer und unbewohnt, aber nie allein.“
Allein die Songtitel wie „Mad Miles“, „Die Ganze Welt“, „Heicho“ (schweizerdeutsch für: Nachhause kommen) oder „Queen Drifter“ verraten, dass das Album „Supermoon“ von einer Person handelt, die auszog…
„Queen Drifter“ etwa ist ein Stück, das das Unterwegssein thematisiert: keine Wurzeln schlagen, ohne Familie leben, das Abenteuer suchen …
Und dabei ummantelt sie ihre Texte nicht mit weichgespülten Melodien, sondern arbeitet mit Halleffekten oder lockt den Instrumenten verzerrte Effekte hervor.
Und wenn Kalifornien in „Mad Miles“ bedacht wird mit den Zeilen:
„There’s nothing here to remember or recognize
I could stay here forever and never arrive”
dann ist dies vielleicht auch eine Reminiszenz an ihre Kindheit, die von vielen Ortswechseln geprägt war.
Immer weiterziehen und nie wirklich ankommen …Sophie Hunger hat hierfür einen musikalischen Reiseführer für Nomadenseelen geschrieben.


Sophie Hunger: Supermoon
Caroline/Universal Music, 2015

Chopin in der ersten Reihe hören…

Musikalische Projekte zu Poeten wie Rilke oder Poe sind mit teilweise beträchtlichem Erfolg in den vergangenen Jahren veröffentlicht worden.
Etwas stutzig macht dagegen der Albumtitel „The Chopin Project“.
Wie kann die Chopinsche Klaviermusik, verewigt in unzähligen Einspielungen, neu interpretiert werden, ohne sich von den klassischen Wurzeln völlig zu trennen?

Der junge isländische Komponist Ólafur Arnalds hat mit der deutsch-japanischen Pianistin Alice Sara Ott eine geeignete musikalische Partnerin gefunden, um Chopins Werke aus dem konventionellen Konzertflügel-Ambiente zu lösen.

Zu Beginn ihres Projekts machten sich Arnalds und Ott in Islands Hauptstand Reykjavik auf „Piano-Jagd“ und fanden Instrumente mit „Persönlichkeit“. Manche wurden mit Filz bearbeitet, um überweltliche Effekte zu erzielen. Mit einem Equipment aus vergangenen Zeiten nahm dann Arnalds das Pianospiel von Ott auf und erzielte damit ein sehr dichtes, intimes Setting für ihre Darbietung. Manchmal hört man ein Quietschen, Atemgeräusche, das Klirren von Saiten oder raschelndes Papier, mit anderen Worten: Geräusche des alltäglichen Lebens, die aus sonstigen Chopin-Einspielungen gnadenlos herausgefiltert würden.

Für Arnalds hat das Projekt eine sehr persönliche Dimension, Seine Großmutter machte ihn mit Chopins Melodien bekannt, als er noch ein kleiner Junge war, der Schlagzeug zu spielen und Punk oder Heavy Metal zu hören viel interessanter fand als klassische Musik: „Aber schließlich wuchs mir Chopin ans Herz. Und ich möchte diese Musik all denen nachbringen, die ihr sonst womöglich nicht begegnen würden. Ich halte es für meine Aufgabe, klassische und die nicht klassische Welt zusammenzuführen.“
Ott war von dem Projekt sogleich angetan: „Ich spiele schrecklich gern auf verstimmten Kneipenklavieren und finde, dass Chopins Musik sehr gut dazu passt.“

Auf der CD enthalten sind das magische Regentropfen-Prélude, der melancholische Walzer des Nocturne in g-Moll und der leidenschaftliche, langsame Satz der Sonate Nr. 3. Ein besonderer Ohrenschmaus ist das Nocturne in cis-Moll für Geige und Klavier, das mit der norwegischen Violinistin Mari Samuelson eingespielt worden ist.

Arnalds möchte ein Akustikerlebnis quasi aus der ersten Reihe offerieren: „Die Zuhörer sollen dem vortragenden Musiker so nahe sein, dass sie hören können, wie er atmet und die Tasten berührt.“


Ólafur Arnalds & Alice Sara Ott: The Chopin Project
Deutsche Grammophon/Universal Music, 2015

Jeder ist anders betrunken …

Deutschsprachige Popmusik hat ja immer noch den Charme des Verstaubten. Wenn sich Herz auf Schmerz reimt, dann findet dies auch nur winzige Nischen im globalisierten Mainstream-Radiosender. Dass englische Musiktexte nicht per se intellektuellen Tiefgang versprühen, wird den meisten Zuhörenden in den seltensten Fällen offenbar…
Und dann beginnt das vierte Album der Berliner Künstlerin Toni Kater mit den verstörenden Textzeilen:
Jeder ist anders betrunken
Und jeder ist anders allein
Mein Herz hat längst ausgetrunken
Und abends will es nur bei dir sein.

Die Texte von Toni Kater sind kritischer geworden (vgl. die Rezension zu Toni Kater: Sie fiel vom Himmel im Blättchen Nr. 17/2012).
Während sie musikalisch zusammen mit der Bandkollegin Karen Bolage (Bass, Gitarre, Klavier) moderne, wohlklingende Popmusik präsentiert, die an manchen Stellen durch die Clavioline, einen Synthesizer aus den 30er Jahren, für überraschende Momente sorgt, entwickeln die Lieder ihre Sprengkraft erst bei mehrmaligen Hören.

So greift sie im Titelsong „N.Y. ist tot (Eigentum)“ die Totsanierung der Großstädte und die damit einhergehende Vertreibung von Kreativität und Lebendigkeit auf. Das Lied „Panzer“ hat die musikalische Anmutung eines Kinderlieds, während es die Rüstungsexporte des drittgrößten Waffenlieferanten der Welt thematisiert.
Und doch versprüht Toni Kater, bei aller Ernsthaftigkeit der Themen, nicht die moralinsaure Attitüde des politisch korrekten Liedermachers.
Ihre Lieder haben Witz… und weisen, musikalisch wie textlich, Schrägen und Kanten auf.
Wie heißt es im Song „Möglich im Traum“:
Du siehst Nashörner, die Porsche ziehen,
Kannst mit Einschusslöchern weitergehn,
Wir sind besser als wir wirklich sind,
Sehen alles scharf und sind doch blind -
Im Traum ist alles möglich.

Eingängige Melodien und kritisches Textwerk müssen kein Gegensatz sein… Toni Kater stellt dies mit „Eigentum“ eindringlich unter Beweis.


Toni Kater: Eigentum
Pop Out Label, 2015

Musikalische Fangnetze

„Casting Nets“ sind die von Fischern verwendeten Wurfnetze. Wenn man diesen Begriff auf die gleichnamige CD der neuen Musikband Distance, Light & Sky anwendet, dann kann man die berechtigte Frage stellen: Welches neue Wurfnetz setzt der seit gut drei Jahrzehnten musikalisch aktive Chris Eckman ein?
Kurze Rückblende: 1983 lernt der Student Chris Eckman beim Jobben in einer Fischfabrik in Alaska die bisher als Straßenmusikerin aufgetretene Carla Torgerson kennen. Im Folgejahr ziehen sie beide nach Seattle, der damaligen heimlichen musikalischen Hauptstadt der USA, und gründen „The Walkabouts“. Diese Gruppe arbeitet im Lauf der kommenden Jahre und Jahrzehnte mit verschiedenen Gastmusikern (etwa Peter Buck von R.E.M. oder Brian Eno) zusammen und durchlebt als eine der führenden „Alternative Rock“-Bands die Höhen und Tiefes des Musikgeschäfts, mal bei einem kleineren unabhängigen Label, mal beim großen Musikkonzern Virgin Records.
Chris & Carla treten auch als Duo bzw. in anderen Besetzungen auf, sie sind eine Zeit lang nicht nur musikalische Partner….
Und nun? Der etwas spröde anmutende Bandname „Distance, Light & Sky“ vereint Chris Eckman, die niederländisch-britische Sängerin Chantal Acda und den belgischen Percussionisten und Komponisten Eric Thielemans.
Wohl wissend um ihren höchst unterschiedlichen biografischen wie musikalischen Hintergrund vertreten sie den Anspruch, als drei gleichberechtigte Musiker mit einer gemeinsamen Vision und auf Dauer aufzutreten, eben kein neues Seitenprojekt der Walkabouts darzustellen.
Dieser musikalische Ablösungsprozess ist ihnen noch nicht vollständig gelungen Denn wenn Chris und Chantal im Duett singen, dann werden unweigerlich die Parallelen zu Chris und Carla gezogen.
Hat sich Mister Eckman rettungslos im altbewährten Netz der Walkabouts verheddert?
Das erste Fangergebnis von Distance, Light & Sky sollte jedenfalls nicht zu gering geachtet werden. Aufgenommen in den Prager Sono Studios, ist dem Trio eine zeitlose Musik im Genrebereich Alternative-Rock/Folk-Rock gelungen, die durch ihren harmonischen Sound eine große Entspanntheit ausstrahlt und den Zuhörenden zunehmend gefangen nimmt.
In solch einem Netz zappelt man einfach gerne…


Distance, Light & Sky: Casting Nets
Glitterhouse, 2014

Zwei musikalische Erforscher

Klassische Musikliebhaber mögen laut aufstöhnen. Denn was das Musikduo Grandbrothers kreiert, basiert zwar auf einem Konzertflügel, hat aber - akustisches Paradoxon - sehr wohl elektronische Klänge, die eher einem Synthesizer zuzuordnen sind.
Die beiden Düsseldorfer Erol Sarp und Lukas Vogel gründen die Grandbrothers 2011 während ihres Studiums am dortigen Institut für Musik und Medien. Während sich Erol Sarp vornehmlich auf das Klavier konzentriert, entwickeln sich Lukas Vogels musikalische Ambitionen eher in Richtung elektronische Musik.
Zusammen tüfteln sie an einem Sound, der klassische Klavierkompositionen mit elektronischer Klangästhetik in Verbindung bzw. unter Mithilfenahme moderner Technik vereint.
Doch anders als der erste Höreindruck vermuten lässt, setzen die Musiker eben keine synthetischen Klangerzeuger ein. Vielmehr hat Lukas Vogel eine Apparatur entwickelt, die eine ungewöhnliche Erweiterung des klassischen Klavierspiels ermöglicht: Es werden an das Instrument eine Reihe elektromechanischer Hämmerchen befestigt, die über einen Laptop gesteuert auf verschiedene Teile des Klaviers klopfen und auf diese Weise höchst artifiziell anmutende Töne erzeugen.
Eine gewisse schematische Einförmigkeit ist nicht von der Hand zu weisen, da die meisten Stücke mit sehr minimalistischen Klangfolgen, bestehend nur aus zwei oder dreiTönen, beginnen, die dann immer weiter variiert und mit Klavierakkorden unterlegt werden.
Diese durchaus innovative Erweiterung des herkömmlichen Klangspektrums kommt live wohl eher auf Tanzflächen von Musikclubs als in Konzertsälen klassischer Provenienz zum Einsatz.
Doch gleich ob als elektronische Clubmusik oder als cineastische Musiklandschaft im heimischen Wohnzimmersessel: Die Grandbrothers offerieren mit "Dilation" ein Dutzend Lieder, die aus einem traditionellen Musikinstrument neue Ton- und Rhythmusstrukturen erschaffen.
Folgerichtig fasst Erol Sarp die Intention des Albums wie folgt zusammen: "Dilation bedeutet so viel wie Ausdehnung oder Erweiterung. Wir betrachten unser Projekt auch als Experiment, wie weit wir mit eben dieser Erweiterung der Mittel des klassischen Pianos kommen. diesen Raum wollen wir erforschen."


Grandbrothers - Dilation
Film-Recordings, 2015

Sehnsüchte ... in Musik gegossen

Er sieht Ende März seinem 64. Geburtstag entgegen. Geboren in Berlin-Charlottenburg, ist Berlin zum Fixpunkt seines beruflichen und künstlerischen Lebenswegs geworden bzw. geblieben. Anfang der 70er Jahre absolvierte er eine Schauspielausbildung am Max-Reinhardt-Seminar. Bekanntheit erlangte er u.a. für die Hauptrolle im Film "Die Leiden des jungen W." nach Ulrich Plenzdorfs Roman.
Mitte der 70er Jahre begann dann auch seine Karriere als Musiker. Annähernd fünfzig CD's und DVD's sind zwischenzeitlich von ihm - von Klaus Hoffmann - erschienen.
Was kann eine neue CD-Veröffentlichung von ihm bieten?
Mit "Sehnsucht" bietet er keinen innovatorischen Sprung in ein neues musikalisches Genre. Stattdessen ist es eine künstlerische Rückbesinnung auf die Folk-Musik der 60er Jahre. Mit seiner bewährten Band (Hawo Bleich/Flügel und Keyboards; Micha Brandt/Gitarre; Peter Keiser/Bass; Stephan Genze/Percussion und Schlagzeug) entstand ein Album, das leicht daherkommt, aber beim intensiveren Zuhören viel Tiefgang erkennen lässt. Als musikalische Väter bezeichnet er Jacques Brel und Frank Sinatra.
Klaus Hoffmanns Liedtexte sind voller Poesie. So beschreibt er sensibel den einsamen "Mann auf der Bank". Und "Gestern" (Gestern hab ich nichts Bedeutendes gemacht/hab mich treiben lassen, hab kein Feuer angefacht...) wird plötzlich ein tragischer Krankheitsbefund offenbar, der in eine melancholische Lebensschau mündet.
Heimweh nach Zuhause bekundet er im Lied "Die einfachen Dinge": Es waren immer nur die einfachen Dinge, die mich ziehn/ mein Fahrrad und das Pflaster, die Straßen von Berlin...
Einen besonders nachhaltigen Eindruck hinterlässt auch "Sie sind wieder da". Aus der lyrischen Betrachtung von Flugvögeln wird eine Auseinandersetzung über das Nahe und das Fremde sowie über den ewigen Spießer und dessen Angst vor der bunten Welt.
"Sehnsucht" ist das altersweise Werk eines großen poetischen Musikers. Und hoffentlich noch lange nicht dessen künstlerischer Schlusspunkt...


Klaus Hoffmann - Sehnsucht
stille-music, 2014

Jiddische Weltmusik aus Nürnberg

Mit Klezmer wird üblicherweise die Musik der Juden Osteuropas assoziiert. Das NS-Terrorregime bedeutete nicht nur millionenfachen Mord an diesen Menschen, sondern drohte auch deren Kultur - ihre spezifische Alltagskultur, aber auch ihre Musik und Literatur - komplett auszulöschen.
Im Gefolge der Weltmusik konnte auch Klezmer in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten (wieder) aufnahmebereite Ohren finden. Die Global Shtetl Band aus Nürnberg hebt seit 2006 solche musikalischen Schätze.
Sie richtet dabei den Fokus nicht nur auf das "klassische" jiddische Liedgut osteuropäischer Provenienz, sondern greift auch dessen lateinamerikanischen Varianten auf, wo es ja schließlich auch jüdische Communities gibt.
Interessanterweise ist der in Nürnberg beheimatete Bandleader Markus Milian Müller selbst gar kein Jude, hat aber Jiddisch studiert und beherrscht, wie sich unschwer heraushören lässt, diese Sprache perfekt.
Und er beschränkt sich mit seinen Bandkollegen, dem Akkordeonisten Bartlomiej Stanczyk und dem Perkussionisten Daniel Piccon nicht auf eine professionelle, aber eklektische Musikdarbietung.
Denn auf ihrem neuen Album "7 Glezer" (7 Gläser) präsentieren sie überwiegend eigenkomponierte Stücke, die den Klezmer etwa mit Latino-Rhythmen einen frischen Drive geben.
Und es geht in ihren Liedern um die Liebe, die Einsamkeit, die Freuden des Rausches (im Titellied) und um andere süße Leiden des Lebens.
Melancholische Poesie in Wort und Ton - nicht nur für trübe Wintertage...


Global Shtetl Band - 7 Glezer
www.globalshtetlband.com, 2014

Pianomusik als meditatives Gedankenkino

Schlimmer die Lieder nie klingen
Als in der Weihnachtszeit.
Man würde am liebsten wegspringen -
Die Schleimspur im Ohr ist breit.


Wer in den Tagen und Wochen des hemmungslosen Konsumierens in der Vorweihnachtszeit sich aus den Fängen der akustischen Dauerbeschallung und der sensorischen Deprivation befreien will, kann beispielsweise mit einem Glas Wein und einer guten CD die glühwei(h)nachtliche Sinnesvernebelung auflösen.
Das Ozella Label hat hierzu ein passendes musikalisches Kontrastprogramm aufgelegt.
"The Magic & The Mystery" ist eine Zusammenstellung instrumentaler Titel überschrieben. Sie enthält dreizehn als "Ballads & Lullabies" bezeichnete Stücke von überwiegend skandinavischen Piano Trio Bands im Jazzbereich.
Es sind fast ausschließlich Eigenkompositionen. Auch das David Bowie-Coverstück "Life on Mars" in der Version des Eivind Austad Trio fügt sich gut in diese Anthologie ein.
Das jeweils dominierende Piano changiert zwischen ruhigen und verträumten, verhaltenen und eher beschwingten Tönen.
Und die ergänzenden Musikinstrumente, meistens Bass und Schlagzeug, stehen hierzu in Ergänzung oder auch in bewusstem Kontrast, so dass als Effekt beim Zuhörenden keine süßliche Wohlgefälligkeit, sondern nachdenklicher Ohrenschmaus entsteht.
Somit geben diese akustischen Anreize Anlass für ein meditatives Gedankenkino im Kopf ... und das nicht nur zur Weihnachtszeit.


The Magic & The Mystery of the Piano Trio - Ballads & Lullabies
Ozella Label, 2014

Das fehlende Meer - schottische Exilmusik in Franken

"Frankn licht nedd am Meer" heißt ein Gedichtband des fränkischen Poeten Helmut Haberkamm.
Für einen Menschen, der das wirkliche Meer gewohnt ist, ist das Frankenland dann manchmal doch eine sehr beengte Provinz. Doch diesen Zustand des Fehlens und des Nichtzufriedenseins kann man kreativ zwar nicht lösen, aber doch bewältigen.
Doch der Reihe nach:
Die Schottin Janet M. Christel studiert in ihrer Heimatstadt Glasgow Germanistik. Sie nutzt die Partnerschaft Glasgows mit der fränkischen Metropole Nürnberg, um eben dort eine längere Zeit zu verbringen.
Pikanterweise weisen das schottische "R" und die fränkische Variante hierzu eine markante Ähnlichkeit auf.
Aber für den weiteren Lebensweg von JMC ist es wohl viel entscheidender, dass sie sich in "Herman the German" verliebt... die schottische Germanistin intensiviert die Städtepartnerschaft durch eine private Partnerschaft und zieht infolgedessen komplett ins Frankenland.
Es begannen dann die kreativen Schübe, um das fehlende Meer musikalisch zu kompensieren. Sie schart vor etwa zehn Jahren drei musikalische talentierte Männer um sich, die sich der schottischen und keltischen Musik verschrieben.
Und mit dem Bandkomponisten Ralf Trautner (Gitarren, Keyboard, etc.) sowie Jerry Röschmann (Bass, Percussion) und Udo Schwendler (Akkordeon, Saxofon, Flöten, etc.) hat sie unabhängig von einem Plattenlabe, die CD "JMC3" herausgebracht. Der Vertrieb im Internet läuft über ihre Homepage.
JMC erfindet den schottischen Folkrock nicht neu. Aber ihr sympathische und natürliche Art korrespondiert bestens mit der Musik, deren Fröhlichkeit ansteckenden Charakter hat, die aber nichts mit der tumben Gute-Laune-Musik sattsam bekannter Provenienz zu tun hat.
Und während sich die Musik mal balladesk-getragen, mal in flotten Rhythmen präsentiert, handeln die Texte von der Liebe in unterschiedlichen Formen. Die verpasste Liebe zum lautstarken "Fred", die kurze Liebe eines Sommers, deren Erinnerung sich in einem "Souvenir" manifestiert... oder besonders gelungen der "Moon over Glasgow", der sich am wolkenlosen Himmel als finale Hoffnung zeigt, während auf Erden die käufliche Liebe praktiziert wird.
Sehr poetische Worte über das Heimkommen aus der großen weiten Welt findet JMC im Lied "Going Home". Neben den Eigenkompositionen haben auch zwei Traditionals auf JMC3 Platz gefunden: "Annie Laurie" und das klassische "Auld Lang Syne".
Und das Schlussstück, das Instrumental "The Undanced Wedding Waltz" gibt der Hörerin oder dem Hörer die Gelegenheit, in eigenen Erinnerungen zu schwelgen... mit wem man im Laufe des Lebens gerne einen Hochzeitswalzer getanzt hätte.


Janet M. Christel: JMC3
2014

Musik über den allzu kurzen Sommer auf Island

Welche Assoziationen werden in mitteleuropäischen Köpfen geweckt, wenn sie mit dem nordeuropäischen Inselstaat Island konfrontiert werden? Der Fast-Bankrott des Staates im Gefolge der sog. Banken-Krise? Die raue Natur mit sehenswerten Schauspielen (Geysire ...) oder mit für den Luftverkehr fatalen Folgen (Vulkanasche)?
Sportlich Interessierte können in die Waagschale werfen, dass die in der Mittelmäßigkeit abgestürzte deutsche Handball-Nationalmannschaft neuerdings von einem Isländer trainiert wird; währenddessen konnte die isländische Fußballelf - im Gegensatz zum Team von Joachim Löw - erfolgreich in die Qualifikation zur Fußball-Europameisterschaft 2016 starten.
Ein Schwenk zur isländischen Musikszene dürfte allerdings ahnungsloses Stirnrunzeln hervorrufen.
Sicher, Björk kann als internationale Popgröße bezeichnet werden - aber wie sieht es mit aktuellen Künstlern aus?
Das Label "Beste! Unterhaltung" ist auf seiner musikalischen Schatzsuche in Nordeuropa erneut fündig geworden.
Ylja ist eine bereits 2008 von den beiden Gitarristinnen und Sängerinnen Gigja Skjalardóttir und Bjartey Sveinsdóttir gegründete Akustik-Folkpop-Band. Ihre erste CD veröffentlichten sie dann 2012 - und dieses Debütalbum erscheint nun, mit zweijähriger Verspätung, in Deutschland.
Ylja erfinden den gitarrenorientierten Folkpop nicht neu. Aber die Lieder sind durchaus eine Bereicherung für Freunde akustischer Musik.
Die elfenhaften Töne sind professionell aufgenommen und erinnern an manche irische Volksweisen.
Die isländische Sprache - die Band singt rein auf Isländisch - offenbart einen zusätzlichen Reiz, wenngleich das Textverständnis dadurch natürlich erschwert wird.
Im Lied "Saevindur Hafsson" geht es um einen Fischer und dessen dramatische Erlebnisse auf See und in "Á Rauðum" über den gar allzu kurzen Sommer auf Island.
"Oður til móður" ist eine Ode an die Mütter der beiden Sängerinnen.
Mit personeller Verstärkung und Veränderung (eine Bassistin und Drummer kamen hinzu, der Gitarrist wurde ersetzt) arbeiten Ylja daran, bis zum Jahresende 2014 das zweite Album aufzunehmen.
Es bleibt abzuwarten, ob die Atlantikinsel künftig mit dieser Folkpop-Band assoziiert wird.


Ylja: Ylja
Beste! Unterhaltung, 2014

Eine bairische Ich-AG

Das Etikett "Wider den Zeitgeist" heften sich, ob berechtigt oder eher aus wirtschaftlichem Kalkül, etliche Künstler an.
Die hohe Zeit des auch ökonomisch erfolgreichen Dialekt-Rocks mit Interpreten wie BAP oder Wolfgang Ambros ist schon lange vorbei.
Und doch bietet Mathias Kellner eine Rückbesinnung auf die eigenen Wurzeln auch in sprachlicher Art mit der CD-Veröffentlichung "Hädidadiwari".
Alltagsbetrachtungen auf Bairisch* könnte man dieses Album betiteln. "Hädidadiwari" ist ein geflügeltes Wort in Altbayern: Hätte, täte, wäre ich doch...
Es sind Lebensreflexionen und -beobachtungen, die durch die Verwendung des bairischen Dialekts nicht zur Attitüde werden, sondern an Authentizität gewinnen. Das Leben beschert Aufgaben, die zu lösen sind, denn - so resümiert Mathias Kellner im Titelsong" "Hädidadiwari ...das bringt nix".
Nach mehreren CD-Veröffentlichungen mit seiner Band "Kellner" steht mit dieser Solo-Veröffentlichung die akustische Instrumentierung mit Gitarre, Dobro, Banja und Ukulele im Vordergrund.
"Wieder a Dog" (Wieder ein Tag) ist mit den für den Künstler typischen Gitarrenriffs unterlegt und erzählt von der Langsamkeit und von der Lebenshaltung, die Dinge hinauszuschieben, bis der Tag vorüber ist und man wieder mal "gar nix g'schafft hod".
Durchaus meisterlich ist die Adaption des Robert Palmer Klassikers "Johnny & Mary"... von wegen Dialekt ist altbacken und unzeitgemäß!
Kellners Künstlerkarriere mutet ein bisschen wie die bayerische (bzw. bairische) Art der US-amerikanischen Tellerwäscher-Saga an. Der junge Mathias Kellner aus Regensburg beginnt seine musikalische Laufbahn wie aus dem Nichts. Nach seiner Schreinerlehre ist er arbeitslos. Kurz vor Hartz IV entwickelt der Hobbygitarrist aus der drohenden beruflichen Perspektivlosigkeit heraus die Idee, es doch mal mit der Musik zu versuchen. Und er geht dabei einen ungewöhnlichen Weg, der ihn zwar einiges an Überzeugungskraft kostet, doch am Ende hat er den Mann auf der Arbeitsagentur auf seiner Seite und gründet eine Singer/Songwriter-Ich-AG. Sein Business-Plan sieht vor, auch in den winzigsten Clubs der Republik aufzutreten, um sich und seine Musik bekannt zu machen.
Durch Vermittlung der bayerischen Liedermacherin Claudia Koreck landet er beim südpolmusic-Label. Und bekommt so 2008 die Chance, als Live-Support die Tournee von Katie Melua zu begleiten.
Bleibt abzuwarten, inwieweit die bairische Hinwendung die Karriere weiterhin befördert...


Mathias Kellner: Hädidadiwari
südpolmusic, 2014

Mit Cordmütze und Gitarre

Der Liedermacher Konstantin Wecker will mit seinem Label "Sturm & Klang" nicht nur eigene CD-Veröffentlichungen jenseits großer Medienkonzerne herausbringen. Seit dem Vorjahr gibt er auch anderen jungen und deutschsprachigen Musikern die Chance, dessen Vertrieb in Anspruch zu nehmen als Basis für einen hoffnungsvollen Karrierestart.
Und hoffnungsvoll, genauer gesagt "hoffnungsstur" gibt sich Dominik Plangger, ein in Südtirol aufgewachsener und derzeit in Innsbruck lebender Liedermacher.
Es mutet reichlich ungewohnt an, denn mit Südtirol verbindet man den Export von Äpfeln oder Wein. Plangger stammt aus Stilfs, einem kleinen Ort im Westen von Südtirol.
Der Mittdreißiger darf als legitimer Nachfolger der politischen Liedermacher aus den 70er und 80er Jahren des vergangenen Jahrhunderts zählen.
Seine kritische Stimme erhebt sich gegen Diskriminierung und Rassismus ("Mein Freund, der Afghane"), aber auch gegen Gleichgültigkeit und Heuchelei - im Lied "Es rührt sich was in mir" heißt es:
"Sie lügen immer noch und sie halten uns dumm
so manche Heuchler, die uns verwalten.
Sie faseln von Podesten mit schütter-grauem Haar
Es sind immer noch die Gleichen, die Alten."
Vielleicht fehlt seiner Stimme (noch?) das charismatische Timbre eines Konstantin Wecker oder eines Hannes Wader. Beiden Größen der deutschen Liedermacherzunft erweist er jedenfalls seine Referenz mit den Titeln "Liebeslied im alten Stil" bzw. "Es ist an der Zeit".
Plangger verkörpert einen authentischen Künstler mit lyrischen wie kompositorischem Talent.
Er versucht erst gar nicht, das rollende "R" seines Südtiroler Dialekts zu unterdrücken. "Im Almliad" bekennt er sich zur Sprache und Bergwelt seiner Heimat.
Aber er positioniert sich auch klar gegen die dort vorherrschenden Denkgewohnheiten:
"Bei vielen sitzt der Arsch viel zu nah an Kopf und Hirn
In ihrer kleinen Welt sind sie die großen Herren
Oben ist der Nordpol, unten ist der Südpol
und der Mittelpunkt der Welt - ist Südtirol!"
Doch diese Art von Südtirol findet sich leider an vielen anderen Orten dieser Welt.
Mit der für ihn typischen Cordmütze auf dem Kopf singt Dominik Plangger dagegen an.
Und geduldige Hörer belohnt er nach dem melancholischen Live-Stück "Novemberrot" nach einigen Leerminuten (!!) mit einem patriotischen Gedicht zum Abschluss der CD.


Dominik Plangger: hoffnungsstur
Sturm & Klang, 2013

Musikalische Inspirationen bei einem Glas Rotwein

Bei dem alltäglich kursierenden Wortmüll bietet die CD-Veröffentlichung "peu á peu" von Wolfgang Stutes Marea die Möglichkeit, sich von wirklich erfrischender Instrumentalmusik inspirieren zu lassen. Dem Rezensenten sei an dieser Stelle eine kleine Handlungsanweisung gestattet: Die CD einlegen, eine bequeme Sitz- oder Liegeposition einnehmen, um dann mit geschlossenen Augen eigene Texte oder kleine Filme zu den insgesamt 13 Musikstücken zu kreieren.
Wolfgang Stute ist als kreativer Komponist und Musiker (Gitarre, Percussion, Cajon) in den letzen Jahren u.a. in dem Akustikprojekt "Räuberzivil" des Liedermachers Heinz Rudolf Kunze in Erscheinung getreten (siehe "Das Blättchen" Nr. 25/2012). Und mit Hajo Hoffmann (Geige, Mandoline) gehört der Marea Band ein weiterer musikalischer Räuber an.
Stilistisch gelingt Stute der Spagat zwischen Folk und Flamenco, klassischen und kontemplativen Klängen.
Ganz ohne Einfluss auf diese Veröffentlichung war der singende Deutschlehrer Kunze übrigens nicht. Denn Wolfgang Stute bekundet in dem ausführlichen Booklet massive Probleme mit der Aufgabe, seinen Kompositionen passende Titel zu geben. Hierfür musste der Räuberzivil-Chef Kunze jedoch nicht zweimal gefragt werden.
Man kann die von Kunze gewählten Titel aber auch als Herausforderung annehmen, um für sich selbst stimmige(re) Titel zu finden.
Eine Anweisung hat übrigens auch Herr Kunze für den geneigten Hörer dieser CD noch parat: "Ein gutes Glas Rotwein dazu schadet nie."


Wolfgang Stutes Marea: peu á peu
Rakete Medien, 2013

Roter Rebensaft und andere Farbtupfer

Die Bluesmusik hat in deutschen Landen nicht denselben Stellenwert wie in England oder den USA.
Da mag es nicht verwunderlich erscheinen, wenn der in Paderborn lebende Bluesmusiker Pete Alderton britisch-amerikanische Wurzeln aufweist.
In seinem Album "Roadside Preaching" lotet er die Spannungszustände im Leben aus - von Liebe und Leid, von Glück und Unglück.
Dabei richtet er den Blick nicht nur auf individuelle Befindlichkeiten. In "Who's To Blame" fragt er hartnäckig nach den Verantwortlichen für Umweltverschmutzung, Elend und Hunger auf der Welt.
Und "Red, Red Wine" ist kein Loblied auf den Rebensaft; vielmehr eine illusionslose Darstellung des Lebens auf der Straße, welches nur durch die Einnahme von Stimmungsaufhellern durchgestanden werden kann.
Nicht nur in diesem Lied scheinen eigene Lebenserfahrungen Eingang gefunden zu haben. Dem Alkohol hat Pete Alderton übrigens zwischenzeitlich völlig abgeschworen.
Mit "Lament For The War" appelliert er eindrucksvoll an die Konsequenzen des Krieges.
Die sparsame Instrumentierung der Lieder sorgt für eine intensivere Wahrnehmung seiner musikalischen Botschaften.
Ein absoluter Höhepunkt des Albums ist das von Leonard Cohen geschriebene Stück "Dance Me To The End Of Love", das mit Ella Ravens als Gesangspartnerin und dem Akkordeonspiel von Thommy Heinecke absolut stimmige Farbtupfer erhält.
Eine puristische Darbietung des Bluesklassikers "Stormy Monday" von T-Bone Walker bildet den gelungenen Abschluss der CD.


Pete Alderton: Roadside Preaching
Ozella Music, 2013

Applausfreie Entschleunigung

Eine Live-CD ohne Applaus? Das scheinbare Paradox lässt sich schnell klären; die fünfköpfige Musikgruppe "Spain" um Josh Haden (einem Sohn des bekannten Jazz-Bassisten Charlie Haden) hat sich für eine Live Session in die Räumlichkeiten des Senders KCRW im südkalifornischen Santa Monica begeben.
Spain hat bisher zwei Existenz- und Schaffensphasen.
Zwischen 1995 und 2001 entstanden drei Alben. Im Jahr 2012 kam es dann zu einer überraschenden Rückkehr mit der CD "The Soul of Spain".
Der melancholisch-warme Sound der Band wird dem "Slowcore"-Stil zugeordnet. Mit "Slowcore" ist das musikalische Pendant zum gesellschaftlichen Begriff der Entschleunigung gemeint. Die Musik von Spain zelebriert in genussvoller Art diese Langsamkeit. Dies wirkt beileibe nicht gekünstelt; vielmehr unterstreicht die elegische, beinahe mantrenförmige Spielweise die gefühlvolle Intensität der einzelnen Lieder.
Die CD "The Morning Becomes Eclectic Session" bietet mit sieben Liedern einen Querschnitt und Rückblick auf das bisherige Schaffen der Gruppe.
Bei diesen applausfreien Liveaufnahmen wird die Band von den Haden-Schwestern Petra, Rachel und Tanya (Violine, Cello, Backing Vocals) unterstützt. Diese geschwisterliche Mithilfe bringt nochmals ein hörbares Qualitätsplus.
Vor der nächsten Studioveröffentlichung im Frühjahr 2014 offeriert Spain ein eher kurzes "Zwischendurch-Album" mit Nachhall.
Am längsten klingt wohl das durch Johnny Cash's Cover berühmt gewordene "Spiritual" nach.


Spain: The Morning Becomes Eclectic Session
Glitterhouse Records, 2013

Ein goldener Brief und böse Fantasien

Das Kalenderjahr 2013 ist beendet, die Stopptaste ist gedrückt. Es bescherte in politischer Hinsicht wenig Verheißungsvolles (ob die Bundestagswahl und deren Konsequenzen oder der desaströse globale Umweltgipfel in Polen).
Immerhin sind in musikalischer Hinsicht einige Pretiosen auf dem Musikmarkt erschienen, denen man nur wünschen kann, dass sie auch entdeckt werden.
Hierunter fällt zum Jahresende die CD-Veröffentlichung "Golden Letter" des Nürnberger Trios "The Rose & Crown".
Hinter der Trio-Besetzung mit Mercan Kumbolu (Gesang), Julia Fischer (Piano/Gesang) und Christof Stahl (Schlagzeug) würde man wohl eher eine klassische Jazz-Combo vermuten.
Doch "The Rose & Crown" überraschen auf ihrem Debüt-Album mit einer frischen Brise an Akustik-Pop - mal in Form einer stürmischen Ballade, mal mit einer jazzigen Bluesnote. Die Reduktion auf drei Musiker wirkt sich alles andere als monoton aus.
Benannt haben sie sich nach einem englischen Pub (eine Internetsuchangabe zeigt schnell, dass unter diesem Titel mehrere Pubs und Hotels existieren).
Bei der Frage nach musikalischen Vorbildern zieren sie sich etwas. Aber sie sind eben kein Cassandra Wilson-Norah Jones-Katie Melua - Verschnitt, wenngleich die stimmgewaltige Sängerin Mercan Kumbolu sofort ins Ohr springt.
Doch längere Instrumentalpassagen zeigen klar auf, dass Piano und Schlagzeug nicht nur als billige Drauf- und Zugabe firmieren.
Im titelgebenden Song wird bei der Suche nach bzw. dem Erwarten der ultimativen Liebesverheißung in Form eines goldenen Briefes das Prinzip Hoffnung lyrisch aufgegriffen:
Leaves turning grey and snow is falling, hey
but giving up hope – no way.
Fast Stephen King'sche Ausmaße haben die bösen Fantasien, die sich im Lied "Scary Nightmare" offenbaren:
All the pictures I have never seen to scare me
And even if it is just a dream it shows me
That I have bad fantasies.
Und das letzte Lied auf der CD mit dem Titel "Blended" wartet mit einer Überraschung auf....aber nur für diejenigen Hörer, die nach dem (vermeintlichen) Ende eben nicht voreilig die Stopp-Taste drücken.

In Kürze wird ist es laut Bandangabe möglich sein, das Album direkt über die Homepage zu erwerben. Bis dahin gibt es die CD als Download bei iTunes, Amazon etc. und bei den Konzerten.


The Rose & Crown: Golden Letter
theroseandcrown.de, 2013

Bittersüße musikalische Botschaften

Mara von Ferne und David Sick haben sich vor knapp acht Jahren an der Dresdener Hochschule für Musik in Dresden kennengelernt. Als musikalisches Duo "Mara & David" haben sie nun ihr drittes Album mit dem Titel "Call it Freedom" herausgebracht.
Ihre Musik wirkt beim ersten Hören sehr karg - sie reduziert sich auf Maras Stimme und auf Davids Akustikgitarre.
Doch in dieser bewussten Reduktion zeigen sie eine enorme musikalische Bandbreite.
Maras Gesangskunst lässt zerbrechliche wie trotzige Töne erklingen, David entlockt seiner Gitarre filigranes Fingerpicking wie auch percussive Elemente.
In ihren Liedern tauchen autobiographische Erinnerungen ("Cherry Tree" als kindlicher Zufluchtsort) genauso auf wie aktuelle Zeitansagen ("Call it Freedom" als Anklage gegen verlogene Freiheitsmissionen, die nur den exklusiven Wohlstand einiger privilegierter Nationen bewahren sollen).
Die Eigenkompositionen werden durch zwei Stücke anderer Musikgruppen ergänzt: das hymnische "Glory Box" (im Original von Portishead) und "Sweet Lies", das in der ursprünglichen Version von Fleetwood Mac vor über zwei Jahrzehnten als klebrig-süße Soße aus dem Radio tagtäglich entströmte; befreit von unnötigem musikalischen Ballast schält sich erst die bittersüße Kernbotschaft dieses Liedes heraus.
Dass das Leben schlechthin manch unglaubliche Ambivalenz bereithält, müssen die beiden Musiker an sich selbst erfahren.
Ihre gemeinsame musikalische Karriere findet einen paradox anmutenden Kontrapunkt in ihrer beider Kampf um ihre Sehfähigkeiten. Während Maras Sehnerv von einem mysteriösen Tumor geschädigt wurde, muss David sich damit abfinden, auf Grund einer seltenen Erbkrankheit sukzessive sein Augenlicht zu verlieren.
Ob bewusst oder unbewusst - das Thema "Sehen" taucht, teilweise als Metapher, auch in ihren Stücken immer wieder auf.
In dem Lied "What is there" heißt es:
I open my eyes
Something has changed
There's a scent of flowers
And a cat in the hallway...
Und in dem wütend vorgetragenen Song "Breakdown" findet sich der Refrain:
We stand at the brink and we try not to fall
Blood on our hands and our hopes on the line
We all know the breakdown is coming
Though we don't know when
We all see the signs.

Mara & David nehmen ihre Umwelt viel bewusster auf als die meisten "Normalsehenden".
Und sie finden hierfür eine gemeinsame musikalische Ausdrucksform, die eine hohe Emotionalität widerspiegelt.
Ihr intensiver, authentischer Stil lässt Augen und Ohren öffnen....öffnen für neue Sinneseindrücke:
Why can't you see
The sky is just a mirror to the clouds in me.


Mara & David: Call it Freedom
Ozella Music, 2013

Ewige Jungen und unglückliche Franken

Im gerade veröffentlichten "Glücksatlas 2013" nimmt Franken den letzten Platz unter den westdeutschen Regionen ein - danach folgen "nur" noch die ostdeutschen Bundesländer.
Da die ökonomischen Daten Frankens besser sind als der Bundesdurchschnitt, stellt sich die Frage, woran dies liegt. Die Verfasser besagter Studie mutmaßen, hier spiele der kulturelle Faktor eine zentrale Rolle. Es gebe eben einen in Franken stark verwurzelten Grundpessimismus. Insofern mögen die drei jungen Nürnberger Musiker David Sewiolo (Gitarre, Gesang), Florian Rudhart (Gitarre, Gesang) und Sebastian Schütz (Piano) Prototypen dieser psychologischen Verfasstheit sein. Sie firmieren unter dem Bandnamen "A Kiss From Wendy" und präsentieren mit "Hope" ihr Debutalbum. Themen wie Freundschaft und Einsamkeit werden in ihren melancholischen Akustik-Stücken verarbeitet.
Beim Titelsong heißt es: "Waiting for the anthem of a new tomorrow that will take away your sorrow..."
Und die Flucht in den Alkoholkonsum ist Inhalt des Liedes 'Confession': "I tasted the bottle too many times, made me lose control, but I cannot regret, any second I wasted cause I tried to follow my heart...".
Die fränkischen Melancholiker überzeugen nicht nur textlich, sondern auch musikalisch. Sehnsuchtstöne durchziehen in unterschiedlichen Varianten ihre Songs.
Bleibt die Frage nach dem kuriosen Bandnamen. "A Kiss From Wendy" bezieht sich auf eine zentrale Figur aus dem Stück "Peter Pan". Durch einen Kuss von Wendy schafft es Peter Pan letztendlich, sich aus der Rolle des ewigen Jungen zu befreien.
Die fränkischen Musiker geben sich aber wahrlich nicht erwachsen oder sachlich-nüchtern, sondern zeigen eher jugendliches Pathos. Eigentlich müsste eine Region mit solchen Musikern doch glücklich(er) sein ...


A Kiss From Wendy: Hope
im Eigenverlag, 2013

Ein Stimmwunder mit doppelter Staatsbürgerschaft

Im Alter von 29 Jahren kann die britisch-georgische Künstlerin Katie Melua bereits auf sechs Studio-Alben zurückblicken. Der Titel ihres jüngsten Werkes "Ketevan" verweist auf ihren georgischen Vornamen.
Musikalisch geht sie bei dieser CD ebenfalls zu ihren Wurzeln zurück, aber nicht zu ihren georgischen Wurzeln (mit ihrer Familie ist sie 1993 nach Westeuropa übergesiedelt), sondern indem sie die künstlerische Zusammenarbeit mit dem Musiker und Produzenten Mike Batt, der sie schon bei ihren ersten drei Alben intensiv begleitete, reaktiviert hat.
Mike Batt war es ja auch, der Katie Melua vor gut zehn Jahren entdeckte und sie dann auf seinem eigenen Label Dramatico unter seine Fittiche nahm.
Spätestens mit ihrer zweiten CD-Veröffentlichung "Piece by Piece" wurde sie einem Millionenpublikum weltweit bekannt.
"Ketevan" glänzt nun nicht mit so famosen Titeln wie "Spider's Web" oder "Nine Million Bicycles" auf ihrem Zweitlingswerk.
Das klassische Songwriting wird jetzt gepflegt mit leichten Anklängen an Blues- und Jazzmusik. Im Vordergrund aber ist eindeutig Katie Meluas Stimme, die nichts von ihrem Reiz verloren hat.
Dabei überzeugen aber mehr die leicht schrägen Töne und Texte, etwa das witzige "Idiot School", als die klassisch gestylten Liebeslieder, die Mike Batt in seiner langen Karriere zu Dutzenden schon routiniert für sich selbst und andere Musiker verfasst hat.
Mit Toby Jepson hat sie einen weiteren, ganz neuen künstlerischen Partner, der auch für eine musikalische Bereicherung auf dieser CD sorgt.
Von Katie Melua wird, diese Prognose sei gewagt, auch in den kommenden Jahren zu hören sein.
Live kann sie in mehreren deutschen Städten im Rahmen einer größeren Tournee im November erlebt werden. (u.a. am 22.11. in Hamburg, am 25.11. in Berlin und am 26.11. in Leipzig).
Katie Melua hat übrigens - ein abschließender Hinweis mit Blick auf die deutsche Migrationsdebatte - die Staatsbürgerschaft Georgiens wie Großbritanniens.


Katie Melua: Ketevan
Dramatico Label, 2013

Musikalische Zugaben zum Firmenjubiläum

Einen CD-Sampler zum Firmenjubiläum? Für eine Konzertagentur sicherlich ein passendes "Give away", was für die Besucher des Jubiläumsgeburtstags-Festivals im Juli 2013 in Berlin als Dreingabe, quasi als Zugabe, bereitgestellt worden ist.
Und elf Zugaben sind es auch, die in Livekonzerten der letzten Jahre von Interpreten, die durch die Konzertagentur Berthold Seliger betreut werden, mitgeschnitten worden sind.
Berthold Seliger hat es verstanden, eine qualitativ mehr als respektable Liste an Interpreten, speziell aus den Genres "Alternative Rock" und "Weltmusik" als Agent für Konzerte in Deutschland und im europäischen Ausland zu akquirieren.
Man kann trefflich darüber streiten, ob die Lieder aus dem Zugabeblock wirklich immer als ultimative Erinnerungsstücke eines Konzerts taugen. Ob es nicht häufig, so die subjektive Erfahrung des Rezensenten, das letzte Lied vor dem Zugabeblock ist, das den nachhaltigsten Eindruck hinterlässt.
Schwamm drüber... es ist jedenfalls eine gelungene Auswahl, die unter dem Titel "Absolutely Live 2013 - Zugaben" veröffentlicht worden ist. Die fünf "Absolutely Live" - Vorgängeralben sind übrigens ebenfalls in limitierter Auflage erschienen und zwischenzeitlich längst vergriffen.
Es handelt sich hierbei um ungefilterte Liveaufnahmen aus Konzerten in jüngster Zeit, wenngleich für den CD-Hörer mit den elf Stücken nicht immer eine prickelnde Liveatmosphäre eingefangen worden ist.
Klare Favoriten und Anspieltipps sind für mich die Lieder von Depedro, The Walkabouts, Bratsch, Lambchop und Calexiko & Blind Pilot. Gerade bei diesen Stücken ist ein bewegungsloses Zuhören im häuslichen Schaukelstuhl nahezu unmöglich.
Die limitierte Auflage ist kein Marketing-Gag. Deshalb gilt in diesem Falle der dringende Rat, bei Interesse baldmöglichst den CD-Kauf zu tätigen, obgleich die Angabe im Booklet, die CD sei im freien Handel nicht erhältlich, nicht ganz zutreffend ist. Denn sie wird auch vom Glitterhouse-Mailorder vertrieben - dort hat sie der CD-Rezensent käuflich erworben. Damit braucht er nicht das Verdikt des Agenturchefs Berthold Seliger zu fürchten, der in seinem regelmäßig erscheinenden Mailnewsletter immer wieder Journalisten brandmarkt, die sich bei Konzerten reichlich mit Freikarten eindecken wollen.
In besagten Newsletter-Ausgaben erweist sich Berthold Seliger als gnadenlos kritischer Beobachter der aktuellen politischen und kulturellen Zeitläufte und genießt es wohl auch, seine teils unorthodox linken, teils kruden Ansichten (etwa über Nordkorea) zu verbreiten.
Bei manchen seiner Anmerkungen ist die Grenze von Kritik zu (vermeintlicher) Rechthaberei und Besserwisserei fließend. Und vermutlich ärgert es ihn wohl selbst am meisten, dass in seiner persönlichen Jubiläumsschrift im CD-Booklet das Gründungsjahr seiner Agentur fälschlicherweise mit 1998 angegeben ist. Oder wollte er hier seine Kritiker testen?
Dieser Lapsus schmälert jedenfalls nicht sein Gespür für interessante musikalische Bands und Einzelinterpreten. Auf "Absolutely Live 2013" ist dies nachzuhören...


Various Artists: Absolutely Live 2013 - Zugaben
Almaviva Records, 2013
Bezug über die Konzertagentur Berthold Seliger, Berlin oder den Glitterhouse Mailorder, Beverungen.

Eine magische Melange für die dritte Jahreszeit

Dreizehn 3-Minuten-Stücke, eines davon mit dem passenden Titel "three minute song", beinhaltet die CD "Favorite Sin", das dritte Album des Duos Carolin No.
Und den beiden Musikern Caro und Andi Obieglo (sie sind nicht nur musikalische Partner!) ist ein erfrischendes Musikwerk gelungen, das durch die klare Simme von Caro wie durch die multi-instrumentellen Fähigkeiten von Andi besticht.
Bei ihren selbst geschriebenen Pop-Miniaturen beweisen sie auch kompositorisches Geschick und Kreativität. Fast jedes Lied überrascht mit einem besonderen Intro oder Outro.
Melancholische Balladen, Country-, Blues-, Elektro- und Gospelanklänge finden sich zu einer magischen Melange zusammen.
Und vielleicht ist es gerade die dritte Jahreszeit, der Herbst, welcher diesen facettenreichen Stücken am ehesten entspricht?
Pikanterweise läuten die beiden Carolin No - Musiker mit diesem Album auch einen Rückzug ein. denn sie verlassen Berlin und kehren zurück in die unterfränkische Provinz.
Aber es mag auch nur großstädtisch genormte Brille sein, die mit diesem Wohnortwechsel einen Rückzug assoziiert.
Ihre Musik hat jedenfalls beileibe nicht den Flair provinziellen Miefs.
Lebenslust und Liebesfrust liegen oft nahe beieinander. Carolin No liefert den beschwingten Soundtrack zu mancher Liebesromanze.
Ihr klangpoetisches Potential macht sie zu musikalischen Hoffnungsträgern, die nicht als als geklonte Dutzendware in den Seichtgebeiten der Hitparaden enden.


Carolin No: Favorite Sin
Fuego Musik, 2013

Ein musikalischer Friedensapostel fürs Wohnzimmer

Die leise, tiefe Stimme von David Munyon verbreitet beim ersten oberflächlichen Anhören eine gepflegte Langeweile... als wenig nuancenreich könnte man daraufhin die CD zurück ins Regal stellen.
Diese Stimme ist wahrlich nicht dafür geschaffen, für Stimmung in großen Konzertsälen oder Freiluftarenen zu sorgen. Und so mag es auch nicht verwundern, dass der Musiker für Auftritte in kleinem Rahmen, sogar Wohnzimmerkonzerte, hierzulande bekannt ist.
Wobei es anscheinend in Europa weit mehr Menschen gibt, die sich auf diese betont ruhig instrumentierte Musik einlassen, als in seiner US-amerikanischen Heimat.
Beim intensiveren Zuhören erweckt diese weich-raue Stimme dann einen sympathischen und nachhaltigen Eindruck. David Munyon erzählt kleine Lebensepisoden in seinen Liedern, die ihn als tiefreligiösen Friedensapostel ausweisen.
Doch sein musikalisches Plädoyer für Achtsamkeit und Liebe kann auch von Menschen verstanden und aufgegriffen werden, die sich nicht als Krishna-Jünger verstehen.
Seine Mission es auch nicht, für seine Religion zu missionieren. David Munyon ist der Gegenpol zu einer lauten, hektischen und übertechnisierten Welt. Er will nicht die Pose des großen Anklägers übernehmen, sondern lieber (um einen früheren CD-Titel aufzugreifen) den "Poet Wind" verbreiten.
Auf der jüngst veröffentlichten CD "Purple Cadillacs" gibt es neben einer Reihe neuer Songs auch ältere Lieder von ihm im neuen Gewande, etwa "Prayers for Elvins" oder den "Song for Danko", gewidmet dem 1999 verstorbenen Musikerkollegen Rick Danko.
Mit dem Violinisten Thomas Kagermann bekommen manche Lieder zusätzliche Farbtupfer, die sich jedoch sehr stimmig in das musikalische Werk einfügen.
Im Booklet nennt er Deutschland "my favorite place on planet earth" und ruft zu einer Spende für das Kinderhilfswerk ChildFund auf. Auch im Kleinen und mit kleinen Mitteln, so sein Plädoyer, kann man helfend in der Welt wirken...


David Munyon: Purple Cadillacs
Stockfisch Records, 2013

Ein kreativer Kauz und seine musikalischen Grenzüberschreitungen

Es spricht erst mal nicht für eine überbordende künstlerische Produktion, wenn die "Ralfe Band" nach ihrem Debütalbum "Swords" (2005) und dem zweiten Werk "Attic Thieves" (2008) mit "Son Be Wise" im Frühjahr 2013 erst ihr drittes Werk veröffentlicht haben.
Doch der Kopf der Band, Oly Ralfe, ist eben nicht nur als Musiker aktiv, sondern auch als Filmemacher (u.a. drehte er eine Dokumentation über einen notorisch besessenen Bob Dylan-Fan) und Illustrator. Selbstredend zeigt er sich auch für die künstlerische Gestaltung der CD-Hüllen verantwortlich.
Die Ralfe Band bringt eine typisch englische Melange aus Folk und Pop zum Erklingen.
Gleich ob Gitarre oder Piano als zentraler Melodieträger fungieren - es ist eine verspielte, immer leicht schräge Musik, die eine optimistisch durchtränkte Melancholie zum Besten gibt. Dabei haben manche der ein Dutzend Songperlen durchaus das Format für einen Radiohit.
Für den balladesken Touch einiger Songs sorgen die Hinzunahme von Streichern und Altsaxophon. Ein besonderer Farbtupfer ist auch das Gesangsduett mit Alessi Laurent-Mark im Lied "Barricades".
Oly Ralfe ist ein kreativer Kauz, der musikalische Grenzüberschreitungen nicht scheut - auch osteuropäische oder südamerikanische Rhythmen fließen in seine Lieder ein.
Von seinen Reisen nach Berlin und New York, Island oder Mexiko hat er sich auch sichtlich bzw. hörbar inspirieren lassen.


Ralfe Band: Son Be Wise
2013

Von Eichelhähern und anderen Vögeln

Was für eine Musik darf man von einer Band mit dem Namen "Schleuse" erwarten? Das fränkische Quartett sieht sich selbst in der Tradition von Bob Dylan, Tom Waits, Nick Cave oder 16 Horsepower.
Die Messlatte ist also durchaus hoch gesteckt für das Debütalbum "Knowledge About The Jaybird". Doch es ist nicht nur die Liebe zu diversen Vögeln (jaybird ist die englische Bezeichnung für Eichelhäher), die die fünf Mannen umtreibt. Es sind kuriose Begegnungen, Empfindungen oder Träume, denen sie ein passendes musikalisches Federkleid verpassen.
Sie pflegen hierbei einen Folk-Stil, der sich nicht auf radiotaugliche 3-Minuten-Mitgröl-und-Mitschunkel-Lieder fokussiert.
Ihre Songs weisen komplexere Strukturen auf, keine eingängige Massenware, aber auch keine exaltierten Improvisationsstücke.
An einigen Stellen lassen sich Anklänge an die ersten Alben der Folkrock-Legende Jethro Tull um Ian Anderson heraushören. Allerdings kommt keine Querflöte zum Einsatz, sondern Gitarren, Cello, Akkordeon, Banjo und Kontrabass.
Die Schleuse-Band zeigt sich erstaunlich abgeklärt. Ihre Art der progressiven Folkmusik lässt auch bei mehrmaligen Abhören immer wieder neue Facetten zu Gehör bringen: fünf schräge Vögel mit beachtlichem Kreativpotential und hohem Sympathiefaktor...
Die auch als klassische Langspielplatte erhältliche Veröffentlichung ist gleichzeitig das erste Album auf dem vom Gitarristen Michael Winkler gegründeten Label Bekassine Records.


Schleuse: Knowledge About The Jaybird
Bekassine Records, 2013

Entstaubter Krautrock

Sireena Records ist ein unabhängiges norddeutsches Musiklabel, das seit dem Jahr 2000 CD's und auch Langspielplatten (wieder-)veröffentlicht.
Es ist eine wirklich illustre Mischung, die die Sireena-Macher aus verstaubten Musikarchiven ausgegraben haben. Ein Schwerpunkt ihres Labels sind mehr oder weniger in Vergessenheit geratene (west-)deutsche Bands aus den 70er und 80er Jahren des vergangenen Jahrhunderts. Man hat den damaligen Rockbands aus deutschen Landen das etwas despektierliche Etikett "Krautrock" angehängt.
Aus den wenigsten dieser Krautrock-Bands wuden wirklich Plattenstars - am erfolgreichsten war sicherlich die Hannoveraner Rockband "The Scorpions", die als Jazzrock-Gruppe begann, bevor sie dem "Wind of Change" frönte.
Doch hörenswert sind gerade viele der nur eingefleischten Musikszene-Kennern bekannten Bands. Einen aktuellen Querschnitt des Sireena-Labels bietet der Sampler "The Spirit of Sireena Vol. 7".
Nicht ungewöhnlich für einen Sampler ist die heterogene Mischung. Von elektronischer Musik bis zum Blues, von skandinavischem Jazzrock bis zu alternativer österreichischer Volksmusik reicht das Spektrum auf dieser CD.
Gerade die Rockballaden, etwa "Airchild" von The Electric Family, überzeugen hier besonders.
Und es lohnt durchaus auch, auf die Texte zu hören, etwa bei "Gewalt ist Schitt" von Franz K., der (salopp formuliert) sozialpädagogischen Antwort auf die Protestband Ton, Steine, Scherben.
Wer durch diesen Sampler Appetit auf mehr bekommt, finden in den jeweiligen Einzelveröffentlichungen liebevoll wie informativ gestaltete Digipaks, meistens mit Bonustiteln gegenüber den Erstveröffentlichungen.


Various Artists: The Spirit of Sireena Vol 7.
Sireena Records, 2013

Zwischen Aarhus und Arizona

Vier waschechte Dänen aus Aarhus, Musiker mit Leib und Seele und mit starker Affinität zum melancholischen Indie-Rock amerikanischer Prägung, bilden die Band "The DeSoto Caucus": Anders Pedersen, Peter Dombernowsky, Nikolaj Heyman und Thoger T. Lund.
Sie profitierten in ihrer Entwicklung sicherlich vom Split der Indie-Bandlegende Giant Sand. Derem führenden Kopf Howe Gelb kamen vor etwa zehn Jahren zwei kreative Musiker, nämlich die Herren Burns und Convertino, abhanden, da diese beiden fortan als Chefs der Band "Calexiko" firmierten und sich ganz auf dieses ursprünglich musikalische Nebenprojekt konzentrierten. Fortan verstärkten die dänischen Musiker die Gruppe Giant Sand.
Und da Howe Gelb immer wieder eigene Wege ging oder andere musikalische Kombinationen zeitweise favorisierte, beispielsweise mit einem Gospelchor in Kanada tourte, nutzten die vier Dänen die Gunst der Stunde, also die freie Zeit, um als eigenständige Band Lieder aufzunehmen und mit diesen auch aufzutreten.
"Offramp Rodeo" ist ihr zweites Album betitelt.
Und es ist ein kleines Juwel für Freunde amerikanischer Rockmusik, speziell der Südstaaten, geworden. Aarhus scheint in Arizona zu liegen, dort halten sich die vier Dänen öfters auf... und hier lassen sie sich auch inspirieren.
Sie lassen den Hörer aber nicht in weltschmerzumtosten Wogen von Mollakkorden untergehen. Sie bieten stilsichere Musik und garnieren sie mit Texten jenseits von Weltuntergangslarmoyanz oder Lagerfeuerromantik:
Here is one to tell you
we’re outrun anyway
that trouble comes in all colors
but always leave you in the grey.
Teilweise spielen sie mit Worten und Gedankenassoziationen ... und wenn schon resignieren, dann aber bitte mit Stabreim:
reluctant resignation
under heavy clouds.
Ihre Musik strömt eine coole Abgeklärtheit aus, die eine soghafte Wirkung beim Hörer hinterlässt. Die lässigsten Amerikaner scheinen ihren Erstwohnsitz in Aarhus zu haben.


The DeSoto Caucus: Offramp Rodeo
Glitterhouse Records, 2013

Ein Trommler mit kaputtem Tischtennisball

In den 60er oder 70er Jahren des vergangenen Jahrhunderts war es durchaus üblich, dass der Schlagzeuger progressiver Rockbands bei einem Konzertstück seine (Solo-)Künste für eine längere Vorführung demonstrieren durfte. Rockklassiker in dieser Hinsicht sind sicherlich "In-A-Gadda-Da-Vidda" von Iron Butterfly (an den Drums: Ron Bushy) , "Moby Dick" von Led Zeppelin (an den Drums: John Bonham) oder "The Mule" von Deep Purple (an den Drums: Ian Paice).
Und auf der anderen Seite ist es gerade im Jazzbereich nicht unüblich, dass der Schlagzeuger "Bandchef" spielt und eine Handvoll Musiker um sich schart. Charly Antolini, Billy Cobham oder Buddy Miles sind international renommierte Adressen, hierzulande ist Wolfgang Haffner beispielsweise hervorzuheben.
Sehr ungewöhnlich ist es dann aber, wenn ein Schlagzeuger eine komplett solo eingespielte CD vorlegt. Dies tat der Nürnberger Werner Treiber bei seiner Erstlingsveröffentlichung "Beyond Backbeat".
Dessen berufliches Wirken fußt auf dem Standbein eines Dozenten der hiesigen Musikschule und auf dem Spielbein eines Musikers in diversen Kombinationen, auch mit Ausflügen in andere künstlerische Gefilde wie Theater.
Auf "Beyond Backbeat" nutzt er nicht nur das klassische Drum-Set. Er setzt zusätzlich auf allerlei Gegenstände wie Lineale, Einweckgummi oder einem kaputten Tischtennisball. Aber auch Wasch- und Zirkustrommel oder eine Styroporverpackung gehören zum illustren Instrumentarium des Musikers.
Sein skurriler Einfallsreichtum mündet jedoch nicht in schrägen musikalischen Darbietungen. Vielmehr präsentiert Werner Treiber elf Stücke in höchster rhythmischer Perfektion.
Dabei ist sein enormer Spielwitz unverkennbar bzw. nicht zu überhören.
Es mag deshalb auch nicht zu verwundern, wenn ein Stück von Frank Zappa, einem der größten Kreativ- und Querköpfe im Musikgeschäft, inspiriert ist.
Wer weiß, vielleicht fühlt sich der eine oder andere Hörer animiert, im eigenen Haushalt mehr rhythmischen Takt zu Gehör zu bringen...?! Werner Treiber liefert die professionelle Anleitung hierfür.


Werner Treiber: Beyond Backbeat
Edition Metropolmusik, 2012

Das verträumte Nachdenken einer Wahlberlinerin

Nicht nur Schwaben (der Alptraum des Herrn Thierse!) und Türken (der Alptraum des Herrn Sarrazin!) zieht es nach Berlin. Als Vertreter des badischen Volksstammes darf die 1979 in Karlsruhe geborene Musikerin Jeanette Hubert gelten.
Auf ihrer ersten CD-Veröffentlichung "On the Run" präsentiert die Wahlberlinerin exakt ein Dutzend an Eigenkompositionen. Drei der in englischer Sprache verfassten Liedtexte hat die Schlagzeugerin Catrien Stremme beigesteuert.
Die Kompositionen, geprägt durch die akustische Gitarre von Jeanette Hubert, schmeicheln sich als eingängige, entspannte Popmelodien ins Ohr.
Die Künsterlin besingt die Liebe und das Leben in der Großstadt. Sie räsonniert, während sie friedvoll im Gras liegt, über ihr Leben und ihre Zukunft ("Waiting for the Rest").
Es bedarf keines perfekten Partners, um das Leben genießen zu können, betont sie stimmungsvoll im Lied "Always Perfect".
Mag das eine oder andere Lied zu sehr als radiotauglicher Ohrwurm getrimmt sein, ihre wahre Stärke liegt in dem balladesk komponierten und vorgetragenen Liedgut.
Hier lädt Jeanette Hubert zum Innehalten ein, zum verträumten Mit- und Nachdenken inmitten der großstädtischen Hektik.
Bleibt zu hoffen, dass Ihre schön gestaltete Homepage www.jeanettehubert.de bald viele Konzerte in den kommenden Monaten ankündigt und nicht nur auf vergangene Termine verweist.


Jeanette Hubert: On The Run
Ozella Music, 2012

Lonely Birds aus dem Frankenland

Agnes Lepp und Filip Wisniewski weisen einen schwäbischen bzw. polnischen Migrationshintergrund auf und sind beide derzeit im Frankenlande wohnhaft.
Als musikalisches Duo firmieren sie unter dem Namen "Leppinski 2".
Auf ihrer titellosen Erstveröffentlichung verzichten sie darauf, sattsam abgenudelte Jazz-Standards zum Besten zu geben; stattdessen präsentieren sie neun Eigenkompositionen.
Duo-Formationen sind ja nun wahrlich keine Rarität in der Jazzmusik. Gelegentlich schließen sich auch Heroen wie Chic Corea und Bobby McFerrin im Duett zusammen.
Eher selten ist hierbei jedoch die Kombination aus Gesang und Gitarre, den die fränkischen Newcomers zelebrieren.
Als professionelle Musiker mit erfolgreichen Studienabschlüssen zeigen sie sich durchaus routiniert in ihren Stücken. Zu hören ist das ausgereifte Gitarrenspiel Wisniewkis, das sich mal dezent im Hintergrund zu den vokalen Improvisationsmomenten von Agnes Lepp einordnet und sich dann fast übergangslos in den Vordergrund arbeitet.
Die beiden musikalischen Protagonisten sind gut aufeinander eingestellt. Weniger jazz-affine Ohren werden sicherlich die Stücke präferieren, die sich mehr am klassischen Songwriter-Genre orientieren und weniger die offensichtliche Experimentierlust der zwei Musiker herausstellen.
"Does Humor belong in Music", fragte einst Frank Zappa. Vielleicht kann ja aus der hörbaren Spiel- und Gesangfreude der beiden künftig noch mehr Spielwitz erwachsen, welchen die vorhin genannten Superstars in ihrem Zusammenspiel zur Perfektion getrieben haben.
"Lonely Birds are singing their song..." intoniert Agnes Lepp. Nun, Leppinski 2 ist zu wünschen, dass sie keine einsamen Vögel in der deutschen Jazzszene bleiben.


Leppinski 2: dto.
Edtion Metropolmusik, 2012

Hoffnung in der Hosentasche

Die Lofoten sind mehr als ein Insidertipp für Skandinavienurlauber. Die vor der norwegischen Küste liegende Inselgruppe liegt nördlich des Polarkreises im atlantischen Ozean.
Hier wurde 1956 auch Kari Bremnes geboren, die sich nach ihrem geisteswissenschaftlichen Studium gegen die eingeschlagene journalistische Berufslaufbahn und stattdessen für eine musikalische Karriere entschied.
Und Kari Bremnes ist nach vierzehn Alben nicht nur in Norwegen, sondern zwischenzeitlich auch in Deutschland mehr als nur ein Insidertipp.
Ihr aktuelles Album "Og så kom resten av livet" besticht, wie auch ihre Vorgängerwerke, durch einen klaren Sound, der einen nachhaltigen Eindruck beim Anhören hinterlässt. Ihre markante Stimme changiert zwischen Pathos und Wehmut, zwischen kecken Zwischentönen und milder Strenge.
Und wenn der Begleitmusiker und Produzent Bengt Hanssen seine kongeniale Stimme im Hintergrund ertönen lässt, bekommen diese Passagen einen beinahe hymnischen Charakter.
Auf dem Livealbum "Die Reise" (2007 erschienen) waren ihm deutlich mehr Gesangsanteile gegönnt.
Nun steht ganz klar die Sängerin Kari Bremnes im Vordergrund. Das neue Album ist deutlich ruhiger, aber auch in sich geschlossener.
Die Künstlerin lässt sich beim Schreiben ihrer Lieder nicht nur von historischen Figuren oder dem rauen Klima, dem Meer und der Landschaft ihrer Heimat inspirieren, sondern auch von großen Vorbildern wie Bob Dylan.
Ihre musikalischen Fantasien werden angeregt an einem Sommertag vom Duft der Blaubeeren und dem Wunsch, wie ein Adler fliegen zu können. Sie besingt die zwischenmenschlichen Wunder, die es möglich machen, dass sich urplötzlich zwei Menschen mit ganz anderen Augen sehen können, mit einem vorher nie dagewesenem Gefühl der Freude und Zärtlichkeit
Und bei "Mann på rommet" (Mann im Zimmer) beschreibt sie die (wie sie selbst findet) "erschreckende Geschichte" einer Frau, die nach zahlreichen Liebesenttäuschungen einen Mann für sich sucht und findet, den sie im Zimmer einschließt und dort zu ihrem idealen Partner umzuerziehen trachtet. Und diese Frau sei tatsächlich optimistisch, was den Erfolg dieses Projektes anbelangt...
Der Wert der Hoffnung wird im gleichnamigen Lied ("Håpet") beschworen. Hoffnung braucht nicht viel Platz, beansprucht nicht viel Platz und kann in jeder Hosentasche mit sich getragen werden.
Kari Bremnes selbst kann durchaus als musikalische Hoffnungsmacherin aus dem hohen Norden gesehen, gehört und geschätzt werden.


Kari Bremnes: Og så kom resten av livet
Strange Ways Records, 2012

Amerikanischer Wehmuts-Rock

1984 haben Chris Eckman und Carla Torgerson (beide Gesang & Gitarre) die Band "Walkabouts" aus der Taufe gehoben. Und sie haben es im Laufe der Jahre geschafft, zu den Arrivierten der Alternativrockszene sich empor zu arbeiten.
Die Musik der Walkabouts ist ein Mix aus Folk, Blues, Country und Rock - in unterschiedlichen Ausformungen und Stilen.
Auch in deutschen Landen hat sich die US-Band mittlerweile eine treue Fangemeinde geschaffen. Und so nimmt es nicht Wunder, dass sie ihr Konzert am 14. Juli 2012 im Berliner "C-Club" als Livealbum unter dem schlichten Titel "Berlin" veröffentlicht haben.
Zu hören sind ein gutes Dutzend Lieder, zum einen aus der jüngsten Studioveröffentlichung "Travels in the Dustland", zum anderen querbeet aus dem umfangreichen Fundus der vergangenen drei Jahrzehnte, unter anderem "The Light will stay on", den heimlichen Hit der Band aus dem Jahr 1996.
Die markanten Stimmen der Gründungsmitglieder Chris & Carla wechseln sich bei den einzelnen Stücken ab. Wie ein roter Faden ziehen sich wehmütige Impressionen durch die Lieder, routiniert vorgetragen und gespielt.
Dass sie nach einem mehrjährigen Ausflug zum "Major Label" Virgin Records in den 90er Jahren wieder zurück zu Glitterhouse Records gefunden haben, hat womöglich den großen kommerziellen Durchbruch verhindert. Aber sie hatten und haben somit die kreativen Freiräume, ihre musikalischen Vorstellungen (gelegentlich auch in anderen musikalischen Zusammenschlüssen) auf Platte bzw. CD zu pressen.


The Walkabouts: Berlin
Glitterhouse Records, 2012

Die musikalischen Stimmen einer australischen Innenarchitektin

Eine australische Innenarchitektin macht aus ihrem Faible für Musik in ihrer neuen Wahlheimat Berlin einen Fulltime-Job. Diese komprimierte Biographie sagt natürlich noch nichts über die Musik der 33-jährigen Kat Frankie aus.
Mit ihrem androgynen Habitus, den sie speziell bei Konzerten pflegt, wirkt sie wie eine männliche Schwester von Annie Lennox oder PJ Harvey. Dabei stehen emotionale Empfindlichkeiten im Zentrum ihrer Texte. "Frauen verlassen" (ein deutscher Titel) handelt von der Trennung eines Paares und auf welche Seite sich die gemeinsamen Freunde stellen. Ganz in deutsch ist der Titel "Der Ertrag", inspiriert von Arthur Conan Doyles "Der Hund von Baskerville", gehalten, wenngleich es für deutsche Ohren etwas befremdelnd klingt... Aber vielleicht ist dies ja bewusst bezweckt? Denn die Stimme steht bei Kat Frankie eindeutig im Vordergrund, verschiedene Phrasierungen und Tempi zeigen die Wandlungsfähigkeiten. Und auch mit technischer Hilfe wird ihre Stimme bewusst verfremdet. Und so changiert diese dritte CD-Veröffentlichung zwischen hymnischen Gospelchören und beim ersten Anhören eher verstörenden Stimmaufnahmen. "Requiem for a Queen" wurde in einem langen Korridor aufgenommen, das Mikrofon stand dabei 10 Meter von der Künstlerin entfernt, so dass der Gesang wie aus weiter Ferne wirkt. So wie sich die Stimme wandelt, so nimmt die Künstlerin auch unterschiedliche Rollen an und auf. In dem Lied "Ophelia" nimmt sie die Perspektive von deren Bruder Laertes ein.
Kat Frankie scheint mit Haut und Haaren (oder mit Zunge und Ohren?) von ihrer künstlerischen Mission beseelt, ja besessen. Insofern behauptet sie folgerichtig: "Ich möchte, dass meine Platten so klingen wie in meinem Kopf. Und das kann niemand übernehmen, das kann ich nur alleine." Es lohnt durchaus, die hörbaren Resultate dieses stimmlichen Balancierens sich zu Gemüte zu führen.


Kat Frankie: Please don't give me what I want
Zellephan Records

Ein Kafka der Popmusik

Gut drei Jahrzehnte währt schon die musikalische Karriere von Heinz Rudolf Kunze. Mit seinem Anfang der 80er Jahre erschienenen Album „Reine Nervensache“ ließ er sich noch eindeutig in das Genre „Liedermacher“ rubrizieren. Und manche Kritiker hefteten ihm aufgrund seiner bissigen und sarkastischen Texte das Etikett „Niedermacher“ an – mit dem Lied „Bestandsaufnahme“, auch nach gut dreißig Jahren noch sehr hörenswert, machte er sozusagen eine ganze Generation nieder. Ein kurzer Textauszug mag dies verdeutlichen:

„Wir sind jetzt mündig, und wir haben nichts zu sagen,

wir wählen selbstverständlich weiter Es-Pe-De,

Wir haben keinen Grund, uns wirklich zu beklagen.

Der Sozialismus täte uns ein bisschen weh.“

Mit der Singleveröffentlichung „Dein ist mein ganzes Herz“ eroberte er 1985 sogar die westdeutschen Hitparaden.

Doch für aufmerksame Zuhörer taten sich selbst in diesem musikalisch weichgespülten Liebeslied interessante Textfallen auf.

In den Folgejahren gab es nicht nur viele weitere Platten, sondern auch mehrere Buchveröffentlichungen sowie Auftragsarbeiten (von Musicals bis zum offiziellen Song für den Evangelischen Kirchentag). Der studierte Germanist Kunze weigerte sich zwar, die berufliche Karriere als Deutschlehrer aufzunehmen, aber er gerierte sich oft und gerne als Deutschlehrer für die ganze Nation.

2006 erscheint dann nach einer Tournee mit dem Musiker Wolfgang Stute die erste Veröffentlichung („Kommando Zuversicht“) unter dem Projektnamen „Räuberzivil“. Und nach dem Zweitlingswerk 2009, schlicht „Räuberzivil“ betitelt, folgt nun 2012 mit „hier rein – da raus“ das dritte Doppelalbum.

Die Räuberzivil-Ausgaben liefern musikalisch keinen neuen bombastischen Deutschrock, sondern reduzieren bzw. fokussieren sich auf akustische Stücke mit Gitarre und Klavier. Ein markanter Farbtupfer wird durch Hajo Hoffmans Mandoline und Violine gesetzt (sein Violinen-Solo ist live übrigens ein akustisches wie optisches Erlebnis!).

Das jüngste Opus enthält 21 Lieder und 13 teilweise musikalisch untermalte Sprechtexte.

Aus dem „Niedermacher“ von einst wurde kein altersmilder Verklärer der gegenwärtigen Zustände. Aber er gesteht sich und seiner Umwelt „Mildernde Umstände“ (so ein Songtitel) zu. In „Lied für Berlin“ liefert er eine Liebeserklärung an die Hauptstadt. Er delektiert sich an den alltäglichen Unglaublichkeiten und Verrücktheiten dieser Stadt und meidet die sattsam bekannten Aussagen zu architektonischen oder sonstigen Gigantomanien.

„Ein und Aus“ greift auf witzige Weise den bürokratischen Wahn der Moderne auf, während „Nimm es nicht persönlich“ eine originelle Querverbindung zwischen General Custer, Jesus und Jimi Hendrix herstellt.

Im Lied „Mach es wie ich“ steckt natürlich eine gehörige Portion Ironie, wenn er hymnenartig singt: "Die Arbeiterklasse braucht Helden wie Dich..."

Kunze betrachtet die Welt mit der Brille des intellektuellen Querdenkers. Seine Sprechtexte sind beim ersten Anhören oft verstörend; ihr Sinn erschließt sich nicht unmittelbar. Aus dem Liedermacher von einst wird so immer mehr ein hyperaktiver Kafka der Popmusik.

Und seine kreative Power scheint noch lange nicht zu Ende. Ab Januar 2013 wird er mit dem „Prinzen“-Musiker Tobias Künzel als „KuK“ (Kunze und Künzel) auf Tournee gehen.


Heinz Rudolf Kunze & Räuberzivil: hier rein - da raus
Rakete Medien, 2012

Ein Musiker ohne Plan B

Es geht die Mär, dass Van Morrison schon im frühen Kindesalter vom Musik(er)virus befallen worden ist. Und wenn man seine aktuelle CD-Veröffentlichung wörtlich nimmt, dann geschah dies noch früher; trägt sie doch den Titel "Born to sing: No Plan B".
Der 1945 in Belfast Geborene hat ein wahrlich opulentes Opus bis dato vorzuweisen. Erste Popularität verschaffte er sich als Sänger der Gruppe "Them". Das von Bob Dylan gecoverte Lied "It's all over now, Baby Blue" zählt zurecht zu den Alltime-Klassikern aus den 60er Jahren.
Danach kreierte er als Solokünstler seinen persönlichen Musikstil, eine Mixtur aus Blues, Soul, Jazz und Folk.
Es kam im Laufe der Jahre zu interessanten musikalischen Kooperationen (etwa mit Bluesgrößen wie John Lee Hooker), aber auch zu ideologischen Verirrungen. In den 70er Jahren widmete er ein Album dem Scientology-Gründer Ron L. Hubbard. Aber er emanzipierte sich hiervon musikalisch eindrucksvoll mit der Platte "No Guru, No Method, No Teacher".
Interessanterweise wechselte er nun zu dem renommierten Jazzlabel "Blue Note". Eine neuerliche musikalische Wendung? Ein klares Nein. "Born to Sing: No Plan B" kann als altersweises Werk bezeichnet werden, das seinen genreübergreifenden Musikstil konsequent fortsetzt. Es finden sich klassische Bluesriffs, getragene Bläsersätze, jazzige Klavierpassagen und natürlich der unverwechselbare schnoddrige Gesang des nordirischen Vollblutmusikers. Wer diesen Musiker live erlebt, mag staunen, welch musikalisches Potential in diesem sich so unnahbar gebenden Künstler steckt.
Seine neueste Veröffentlichung ist, um zwei Titel hiervon aufzugreifen, "Close enough for Jazz", aber hoffentlich noch nicht "End of the Rainbow".


Van Morrison - Born to Sing: No Plan B
Blue Note Records, 2012

Thomas Rüger veröffentlicht in "Das Blättchen"

Seit Frühjahr 2012 veröffentlicht Thomas Rüger im Online-Medium "Das Blättchen" regelmäßig CD-Rezensionen.
Eine Zusammenstellung aller veröffentlichten CD-Rezensionen findet sich hier.

Magische Miniaturstücke und ein Stromausfall

Mit "en ny dag" (ein neuer Tag) ist dem in Südschweden und Norddeutschland lebenden Jazzpianisten Martin Tingvall, Jahrgang 1974, eine zauberhafte Melange aus Dur- und Molltönen gelungen.
Wie magisch wird man in den Sog dieser vierzehn Miniaturstücke gezogen. Gleich ob heitere oder melancholische Stimmungsmomente musikalisch wiedergegeben werden: Die Melodien setzen sich bereits beim ersten Hören nachhaltig im Kopf fest.
Martin Tingvall beweist ein erstaunliches kompositorisches Geschick, Momente der Freude und der Trauer mit dem Klavier zum Ausdruck und in bleibende Erinnerung zu bringen. So wird etwa ein Stromausfall bei einem Konzert in Harare (Zimbabwe) dem Strudel der Vergessenheit entrissen.
Impulsgeber für seine gefühlvollen Stücke sind jedoch auch Beobachtungen in der Natur oder in seinem direkten Umfeld, beispielsweise beim Betrachten von schlafenden Kindern.
Umrahmt werden die Stücke auf "en ny dag" von zwei kurzen nächtlichen Reminiszenzen - zum Einstieg ein sinkender Stern und zum Abschluss das Sternbild des Großen Wagens.
Wer sich dieses Soloprojekt von Martin Tingvall live zu Gemüte fühen will, hat in den kommenden Wochen mehrfach Gelegenheit, u.a. am 17.10. in Hamburg, am 9.12. in Berlin, am 10.12.2012 in Frankfurt/Main und am 22.1.2013 in München. Ob wohl dann auch in deutschen Landen ein Stromausfall bei einem Konzert zu befürchten ist...?


Martin Tingvall: en ny dag
Skip Records, 2012

Die süßen Seiten der Schwermut …

Wenn Musik die menschliche Gefühlswelt in seiner vielfältigen Gemengelage widerspiegeln soll,
dann muss sie auch Momente der Freude und des Leides hörbar machen können.
Freilich gelingt es nicht immer, Freud und Leid trennscharf voneinander abzuheben. Aber so manches
Frusterlebnis kann ja schließlich im Nachhinein einen Lustgewinn bedeuten oder für kreative
Impulse sorgen.
Die vier Musiker von „Trio Bravo +“ verleugnen ihre osteuropäische Herkunft keineswegs in
ihrem künstlerischen Wirken. Ihr musikalischer Spielwitz ist dabei schier unbändig; er zeigt sich
teilweise sogar in der Namensgebung für ihre Kompositionen. Ihre Stücke heißen etwa „Rondo
Ukraine“ oder „Fernes Irland“, „Wolga-Flüsschen“ oder „Wiener Würstchen“.
Das jüngst erschienene gleichnamige Album von „Trio Bravo +“ bietet eine Art Werkschau ihres
bis dato 15-jährigen Schaffens in Form von Neueinspielungen von „Klassikern“ aus ihrem
Repertoire sowie einiger neuer Titel.
Die vier Virtuosen an den Saiten- und Tasteninstrumenten (Mark Chaet/Violine, Giorgio
Radoja/Piano, Sergej Sweschinskij/Bass, Adam Tomaszewski/Marimbaphon und Percussion)
werden hierbei noch von einigen Gastmusikern unterstützt.
„Trio Bravo +“ bringt die süßen Seiten der Schwermut zum Erklingen und bläst der verkopften
Ernsthaftigkeit nonchalant musikalische Seifenblasen ins Gesicht. Ein wirklicher
Hörgenuss…auch in „dunkleren“ Momenten!


Trio Bravo +: dto.
Ozella Music, 2012

Wenn ein Kater vom Himmel fällt...

Auch in Zeiten von Globalisierung und Weltmusik lohnt ein Blick auf die Musikszene aus deutschen Landen.
Die unter dem Pseudonym Toni Kater auftretende Künstlerin Anett Ecklebe konnte vor einigen Jahren bereits beachtliche kommerzielle Erfolge erzielen. Nach einer mehrjährigen Auszeit versucht sie, mit der Anfang 2012 erschienenen CD "Sie fiel vom Himmel" neu durchzustarten.
Manche Kritiker heften der Musik von Toni Kater das Etikett "Elektro-Chanson" an. Was beim ersten Hören schon positiv auffällt: Ihre Form der modernen Popmusik ertränkt die Texte nicht in einer bombastisch wirkenden Instrumentierungssoße.
Und die akademisch gebildete Sängerin hat durchaus etwas zu sagen.
Dabei endet die melancholische Grundstimmung in den meisten ihrer Liedtexte nicht in der wohlgefälligen Einbahnstraße eines weichgespülten Weltschmerzes.
Sie changiert zwischen tiefsinnigen Reflexionen und einem beinahe spielerischen Umgang mit Gefühlen und Worten.
Den intensivsten Eindruck und Nachklang hinterlässt das Stück "Krass", in dem Text und Musik eine hypnotisierende Symbiose eingehen.
Hieraus ein abschließender Textauszug:
"Manchmal scheint man langsam zu sterben
Anstatt was Vernünftiges zu werden
Wo man sich entscheiden und bleiben muss, wo man lieber geht
Und genau so viel umfällt, wie widersteht.
Du hast immer gewartet, und auch das hat nicht gereicht
Je älter du wurdest, desto mehr war dir gleich..."


Toni Kater: Sie fiel vom Himmel
Toni Kater Records, 2012

Globales Herz und irische Seele - Luka Bloom

"Es sind nicht immer die Lauten stark, nur weil sie lautstark sind..." intonierte einst Konstantin Wecker.
Ein Prototyp des Musikers der leisen Töne ist der irische Liedermacher Luka Bloom.

Seit über dreißig Jahren greift er große Themen wie vermeintliche Alltäglichkeiten in seinen Liedern auf und erweist sich als sensibler Zeitgenosse, der seine Empfindungen in poetische Worte kleiden und sie mit den passenden musikalischen Tönen ummanteln kann. Es sind gefühlvolle Lieder ohne Kitsch und falsches Pathos.
Auf seiner jüngst erschienenen CD "This new Morning" verspürt er "poetry in motion" beim Radfahren und beschwört das schier göttliche Schwimmen im Schweizer Fluss Aare.
Nach dem japanischen Wort "Gaman" ist ein Lied betitelt, das die Tsunami- und Nuklearkatastrophe im Norden Japans aufgreift. Bloom zeigt sich fasziniert von diesem ethischen Charakterzug und der verinnerlichten Haltung des japanischen Volkes, das mit Geduld und Beharrlichkeit eine an sich unerträgliche Lebenslage erträgt.
Ein souveränes Volk darf nicht von der Finanzwelt gesteuert werden, sonst sind Würde und Rückgrat - "Dignity and Backbone" - in Gefahr. Aber Luka Bloom besingt nicht nur die großen Katastrophen dieser Welt. Das Lied "You survive" widmet er den Menschen, die einen Selbstmordversuch überlebt haben.
Und Luka Bloom ist eben auch ein irischer Landsmann, dessen Künstlername auf das Lied "Luka" von Suzanne Vega und auf den Protagonisten Leopold Bloom aus dem Roman "Ulysses" von James Joyce Bezug nimmt.
So greift er die Kritik seiner Nachbarn am privaten Torfabbauverbot in Irland seit April 2012 in dem Lied "Across the Breeze" auf und beklagt den Verlust eines traditionellen Lebensgefühls, das die Iren durch das Verbrennen von Torf genossen.
Und von der irischen Leichtathletik-Legende Sonia O'Sullivan ließ er sich zu dem Lied "The Race runs me" über die Faszination des Laufens inspirieren.
Luka Bloom hat ein globales Herz und eine irische Seele; er lässt sich als empathischer Beobachter in seinem Heimatland wie auf weltweiten Reisen zu seinen Liedern inspirieren


Luka Bloom: This New Morning
Skip Records, 2012

Interview mit Janine Maunder (Sängerin von “Naked Raven”) über ihre erste Solo-Veröffentlichung „Blink“

Seit dem Jahr 2000 gehört Janine Maunder als Sängerin und Pianospielerin der australischen Band „Naked Raven“ an.
Naked Raven konnte in Europa, speziell in Deutschland, sich eine treue Fangemeinde „erspielen“.
Kürzlich veröffentlichte Janine Maunder ihre erste Solo-CD.
Thomas Rüger führte mit der australischen Sängerin Janine Maunder aus Anlass ihrer ersten Solo-CD "Blink" folgendes Interview:



1) Warum wolltest du ein Solo-Projekt machen?

Ich hab viel zuhause in meinem Studio gearbeitet, habe dort meine eigenen Demos produziert und mit meinem Freund und Kollegen, Phil Butson, zusammen gearbeitet. Es entstanden immer mehr Lieder und irgendwann schien es ganz logisch, ein Solo Projekt zu starten.
Die Songs entstanden ohne jeglichen Zeitdruck, ohne einen fixen Erscheinungstermin für eine CD – es schien einfach der richtige Zeitpunkt für die Aufnahmen zu sein.


2) Wie kam es zu dem Namen deiner CD – “Blink”?

Eines der persönlichsten Lieder auf dem Album ist „I see love“ – es handelt davon, wie vergänglich das Leben sein kann, wie kostbar jeder einzelne Moment ist, wie schnell Stunden, Wochen, Jahre vorübergehen. Wir müssen dafür Sorge tragen, dass jeder Augenblick zählt. Der Ausdruck „the blink of an eye“ (ein Augenblinzeln/ Augenzwinkern) soll verdeutlichen, wie schnell die Zeit vergeht. Mit jedem Augenzwinkern machen wir sozusagen einen Schnappschuss vom Leben, wie eine Fotografie. Und ein Album ist wie eine Sammlung von Schnappschüssen auf musikalischer Ebene.


3) Was verbindest du mit Deutschland?

Kultur. Wundervolles Publikum. Gastfreundschaft. Geschichte. Gute Freunde.


4) Wo liegen deiner Meinung nach die Unterschiede zwischen Australien und Deutschland?

Abgesehen vom Klima und von kulturellen Unterschieden gefällt mir in Deutschland, dass das Verhältnis von Sport und Kultur sehr ausgeglichen ist. Wir Australier sind absolut sportbesessen und der Kunst- und Kulturszene wird nur wenig Aufmerksamkeit geschenkt, es wird wenig investiert. Ich habe ein bisschen Angst, dass wir unsere kulturelle Seele verlieren. In Deutschland scheint das ausgewogener zu sein. Ihr könnt die absoluten Fußballfans sein und dennoch gleichzeitig Begeisterung für die Oper aufbringen.


5) Hast du während deiner Deutschland-Aufenthalte in den vergangenen Jahren irgendwelche Unterschiede zwischen Ost- und West-Deutschland beobachten oder spüren können?

Als ich im Jahr 2001 das erste Mal nach Deutschland kam, waren die Unterschiede noch deutlicher zu spüren. Einer der Orte, wo ich am liebsten spiele und mich aufhalte, ist Halle. Dort ist noch eine gewisse Widersprüchlichkeit zu finden – die Leute sind aus ziemlich hartem Material und ziemlich tough, die Stadt selbst befindet sich aber nach wie vor einem etwas baufälligen Zustand. Wenn ich Deutschland besuche, kommt es mir immer vor, als hätte ich es sehr einfach gehabt in meinem Leben. Solange ich lebe, gab es keine wirklich schwierigen Zeiten in Australien.


6) Hast du Lieblings-Musiker oder Lieblings-Lektüre?

Ein Buch, das mir erst vor kurzem wirklich nahe ging, ist der Titel „Schmetterling und Taucherglocke“ von Jean-Dominique Bauby. Ich war so berührt von dem Mut des Autoren, dass ich das Buch gleich weitergeben musste, um noch mehr Leute zu inspirieren. Ich bin bereits seit mehreren Alben Fan von Gotye und ich würde mich wahnsinnig freuen, wenn dieser wirklich talentierte Musiker auf der ganzen Welt Anerkennung für seine Arbeit fände. „Making Mirrors“ ist ein tolles Album, mein Lieblingsalbum ist aber nach wie vor „Like Drawing Blood“


7) Was planst du als nächstes für deine musikalische Karriere?

Ich möchte gern meinem Album „Blink“ noch etwas mehr Zeit und Aufmerksamkeit widmen und auch gern noch mehr Auftritte machen. Die Lieder bis zum Umfallen spielen, ich liebe diese Lieder einfach. Ich bin sehr stolz auf diese Aufnahme und meine letzte Europa-Tour im vergangenen Oktober/November war einfach viel zu schnell vorbei. Und ich würde natürlich gerne bald wieder nach Deutschland kommen.



Homepage der Künstlerin

Dem Leben musikalisch auf den Grund gehen...

Das Leben bietet uns viele Gelegenheiten, bei denen uns der sprichwörtliche Geduldsfaden reißen kann: die verspätete S-Bahn, die Anleitungen zum Aufbauen von Möbelstücken oder zum Installieren technischer Geräte, die pubertären Allüren und Allmachtsphantasien des Nachwuchses und vieles andere mehr.
Und Ungeduld kann man natürlich auch sich selbst gegenüber zeigen. Dass dies die betroffene Person regelrecht in den Wahnsinn treiben kann, darüber singt Randi Tytingvåg im Lied "Impatience". Es ist eines von elf Liedern auf der soeben erschienenen CD "Grounding". Sämtliche Lieder wurden von ihr komponiert und getextet.
Es sind keine intellektuellen Kopfgeburten, die sie uns offeriert.
Vielmehr geht sie mit Witz und Tiefgang ihrem Leben auf den Grund. "Grounding" als künstlerisches Ergründen des eigenen Lebens.
Ihre Stimme klingt frisch und unverbraucht, stilistisch bewegt sie sich zwischen den Genres Pop, Chanson, Jazz und Rockballaden.
Und der Abschluss von "Grounding" ist dann keine Bestandsaufnahme oder kein Blick zurück, sondern ein "Future Song" - ein wunderschönes Liebeslied, das nur von einem Banjo begleitet wird. Und es heißt hier:
"I need this contact to be
A future song in me."
Man könnte fast neidisch werden auf Christian. Diesem Mann hat sie als "important part of my grounding" das Album gewidmet.
Immerhin beitet die CD "Grounding" die Gelegenheit, mit einer bemerkenswerten norwegischen Musikerin in Kontakt zu kommen.


Randi Tytingvåg: Grounding
Ozella Music, 2012

Die zwei Seelen des Jazz-Pianisten Dieter Köhnlein

Die berühmten Zeilen aus Goethes Faust: "Zwei Seelen wohnen, ach! in meiner Brust, die eine will sich von der andern trennen..." könnten die literarische Inspiration für den Jazzpianisten Dieter Köhnlein gewesen sein. Denn der in Mittelfranken beheimatete Musiker lässt in den zehn Stücken seiner CD-Veröffentlichung "Heinz und Dieter" seine zwei musikalischen Seelen offenbar werden. Wäre diese Liedauswahl - für Jazzpuristen sicherlich ein gewagter Vergleich - eine Weinkarte, dann würde das Spektrum von lieblich bis sehr trocken reichen. Aber es wären zweifelsohne und ausnahmslos Weine mit Qualitätsprädikat! Der Musiker schreibt selbst im Booklet: "Man sagt, alles habe seine zwei Seiten. Meine zweite heißt Heinz. Geboren als Heinz-Dieter hat man mich immer nur Dieter gerufen. Auf dieser CD begegnet der Dieter dem Heinz. Das reibt und beißt sich, harmoniert dann letztlich doch." Seine bisherige musikalische Vita bescherte Dieter Köhnlein viele Auslandsauftritte, auf dem Balkan ebenso wie in Zentralamerika oder in China. Es bleibt zu hoffen, dass seine Rezeption in deutschen Landen (...der Prophet im eigenen Lande...) noch deutlich zunimmt. Denn sein handwerkliches Können sowie sein kompositorisches Geschick sollten ihn über Insiderkreise hinaus bekannt machen. Sowohl die meditativ angehauchten Passagen wie auch seine beim ersten Hören schräg anmutenden Improvisationsstücke zeigen, dass wahrlich in einem Musiker zwei Seelen wohnen können. Und dass dieser Umstand durchaus produktiv und kreativ genutzt werden kann ...


Dieter Köhnlein: Heinz und Dieter
Hofa Music, 2011

Elin Furubotn

Wer bei skandinavischer Musik bei Abba und A-ha stehen geblieben ist, sollte sich durchaus mal die aktuellen Musikströmungen aus dem hohen Norden zu Gemüte führen.
Die norwegische Musikerin Elin Furubotn bietet auf ihrem ersten internationalen Album "Heilt Nye Vei" hörenswerte Lieder an, die im weiten Grenzbereich zwischen Pop und Jazz angesiedelt sind.
Die eigenkomponierten und -getexteten Lieder hat sie mit Hilfe norwegischer Musiker, unter anderem dem Saxofonisten Karl Seglem, aufgenommen. Gerade die ruhigeren, musikalisch dezent begleiteten Stücke hinterlassen den stärksten Nachklang.
In den deutschen Frühstücksradiosendern dominiert das massenkompatible, englische Liedgut. Insofern muten die norwegischen Texte, die im CD-Booklet ins Englische übersetzt wurden, beim ersten Hören sicherlich etwas ungewohnt an.
Doch wer sich auf Elin Furubotns "ganz neuen Weg" (so das titelgebende Lied) einlässt, wird mit lässig-leicht vorgetragener Musik mit lyrischem Tiefgang beglückt.
Die Seele lächelt und das Herz tanzt im Lied "Stillheten" (Stille), während "En Drom" (Ein Traum) im gleichnamigen Lied freundlich Einlass begehrt und zum Tanze auffordert.
Elin Furubotns Liedtexte zeichnen sich durch eine sehr bildhafte Sprache aus; es sind helle, pastellfarbene Töne, die sie dem Leben abschaut.
Und sie fordert dazu auf, sich im Kopf die eigenen Gedanken bunt zu färben - selbst Regenbogen kann man sich in der Gedankenwelt schaffen.
Das dazu passende Liedgut liefert Elin Furubotn praktischerweise gleich mit.


Heilt Nye Vei: Elin Furubotn
Ozella Music, 2012