Vom Einfluss einer Schamanin im Schlaf

Welche Musik ist von einer Musikerin zu erwarten, die in Paris geboren ist, deren Eltern Senegalesen sind und die sich Rom zu ihrem aktuellen Hauptwohnsitz ausgewählt hat …?
Gleich beim ersten Hören fällt die betörende Stimme auf, eine authentisch klingende Stimme wohlgemerkt, nicht eine dieser gekünstelten „Radio-Gute-Laune-Stimmchen“.
„Storyteller“ als Eingangslied bringt es schon im Liedtitel zum Ausdruck: Awa Ly ist eine Geschichtenerzählerin – sie singt Geschichten über Liebe und Freundschaft.
Die Liebe als globales Phänomen findet sich in vielerlei Facetten – mal zu viel Liebe, mal zu wenig; mal leidenschaftlich, mal zerstörerisch …
In ihren Liedern wird sie bei ihren musikalischen Streifzügen von verschiedenen Musikern und höchst unterschiedlichen Instrumenten begleitet. Neben Gitarren, Percussion und Piano sind dies zum Beispiel Senza, Kora oder die chinesische Laute Erhu.
Das Booklet enthält persönliche Kommentare von Awa Ly zu ihren zehn Liedern. Motive und Hintergründe zu den Songs werden so nachvollziehbar gemacht: Welchen Einfluss auf die Musikerin eine Schamanin im Schlaf genommen hat (im Lied „Storyteller“), das sprechende und sorgende Mutterherz an den Sohn, der zur Flucht aus der Armut gewillt ist („Here“) oder ein Übermaß an (einseitiger) Liebe in „Let me love you“.
Die CD „Five an A Feather“ bietet textlichen Entdeckerstoff für sensible Zeitgenossen. Und leicht wie eine Feder wechselt Awa Ly die Musikstile von Jazz, Blues und Soul.


Awa Ly: „Five and A Feather”
Naïve/Indigo Records, 2017

Eine Violonistin auf Speed

Die Violine wird gemeinhin als Instrument den klassischen Kompositionsstücken zugerechnet.
Dass hiermit aber auch moderne, powervolle Stücke geschrieben und gespielt werden können, stellt Sarah Neufeld eindrucksvoll mit ihrer zweiten CD-Einspielung "The Ridge" unter Beweis.
Die Kanadierin fungiert als Violinistin wie Komponistin und wurde bekannt als Mitglied der Grammy-prämierten Indierock-Band "Arcade Fire".
Obwohl es schon immer zur ihrer Übungspraxis gehörte, mit Improvisationen und Solo-Kompositionen zu arbeiten, begann Neufeld erst 2011 ernsthaft damit, Stücke für ihre Violine zu komponieren.
Béla Bartok, Steve Reich, Iva Bittova und Arthur Russel zählt die 36-Jährige zu ihren Einflüssen.
Auf ihrem jüngsten Album wird der Gesang mehr als zuvor betont, das Wechselspiel zwischen Stimme und Violine ist gekonnt in die Kompositionen eingebunden.
Die Stücke strahlen eine unglaubliche Dichte aus, die an Veröffentlichungen der irischen Künstlerin Enya erinnern... allerdings ist Sarah Neufeld sozusagen eine "Enya auf Speed".
"The Ridge" fesselt durch eine intensive und dynamische Atmosphäre ... für meditative Zwecke ist sie eher nicht geeignet.


Sarah Neufeld: The Ridge
Paper Bag Records/Indigo, 2016

Bewegungspflicht

Das Kölner Publikum wird auf die "Bewegungspflicht" hingewiesen. Bloßes Vergnügen reicht eben nicht aus...
Aber die dargebotene Musik bleibt auch nicht in den Gehörgängen stecken, sondern geht direkt in die Beine. Ruhiges Zuhören im Sitzen oder im Stehen ist hier wirklich ein Ding der Unmöglichkeit.
Zwar haben sich Fiddler's Green in den 25 Jahren ihres Bestehens noch nicht den Bekanntheitsgrad der irischen Kultband Dubliners erspielen können, doch sie haben mittlerweile deutschlandweit eine beachtliche Fangemeinde, die ihren Stil irischer Volksmusik, der sehr rockig unterlegt ist, schätzen. Das Sextett aus Erlangen bezeichnet diese Musik als "Irish Speedfolk", eine kreative Mischung aus Folk, Rock, Reggae, Ska und Punk.
Auf dem Livealbum "25 blarney roses" bieten sie einen Querschnitt ihres musikalischen Schaffens. Neben original irischen Kompositionen (etwa das titelgebende "Blarney Roses") gibt es eine Vielzahl an eigenen Stücken. Die fränkische Combo pflegt in authentischer Manier die Lebensfreude der grünen Insel.
Schon Heinrich Böll hatte ja in seinem "Irischen Tagebuch" eine literarische veredelte Ode an das aus Sicht eines Kontinentaleuropäers kauzig anmutende Inselvölkchen geschrieben.
So denken Deutsche bei negativen Erlebnissen oder Ereignissen immer in Katastrophendimensionen. Die Iren dagegen hätten, so Böll, eine Haltung kultiviert, die da lautet: "It could be worse!" Es könnte ja noch schlimmer kommen ...
Vielleicht ist es ja gerade ihre Musik, die vor allzu depressiven Anwandlungen schützt? Mit Gitarre, Geige, Banjo, Mandoline und Akkordeon gelingt es Fiddler's Green, in ihren Konzerten diesen irischen Musik- und Lebensstil auf die Bühne zu zaubern.
Und die CD hält ihr Kölner Konzert auch für die Nichtanwesenden fest.
Aber auch für CD-Hörer gilt natürlich: Bewegungspflicht!


Fiddler's Green: 25 blarney roses - Live in Cologne
Deaf Shepherd Recordings/Indigo, 2015
(eine DVD-Veröffentlichung ist ebenfalls erhältlich)


P.S.: Im April 2016 traten Fiddler's Green u.a. in Potsdam, Bonn, Halle und Karlsruhe auf .

Mediterrane Melancholie

Lassen Sie uns eine Urlaubsfahrt machen. Nicht mit dem Flugzeug oder dem Hochgeschwindigkeitszug. Nein, wir fahren eher entschleunigt auf einem Motorroller.
Wir erkunden auf dieser Fahrt das Herzstück Italiens zwischen Mailand und Rom. Wir meiden dabei die lauten Städte und die überfüllten Strände. Wir drehen einen Kinofilm im Stil der 50er oder 60er Jahre. Ein Road Movie, das nicht von wilden Verfolgungsfahrten handelt, sondern uns die mediterrane Melancholie nahe bringt.
Und als Soundtrack empfehlen wir die soeben erschienene CD von Opez mit dem nekrophilen Titel "Dead Dance". Das kunstvolle Cover mit den zwei Skeletten und den Grammophonköpfen sollte uns nicht zu Rückschlüssen auf morbide Musik verführen. Denn das Opez-Duo, bestehend aus den beiden Multi-Instrumentalisten Massi Amadori und Francesco Tappi, präsentiert auf ihrem Debut-Album höchst quicklebendige Musik.
Sie bieten uns eine Klanglandschaft aus Emotion und Einsamkeit an. Ihr musikalischer Anspruch ist dabei durchaus ambitioniert: "Uns geht es", so der für alle Kompositionen verantwortlich zeichnende Amadori, "nicht allein um die akustische Komponente, unsere Musik soll alle Sinne ansprechen."
Es mag etwas hoch gegriffen sein, doch sie haben damit das italienische Pendant zum Mississippi-Blues geschaffen.


Opez: Dead Dance
Agogo Records/Indigo, 2015