Bittersüße musikalische Botschaften

Mara von Ferne und David Sick haben sich vor knapp acht Jahren an der Dresdener Hochschule für Musik in Dresden kennengelernt. Als musikalisches Duo "Mara & David" haben sie nun ihr drittes Album mit dem Titel "Call it Freedom" herausgebracht.
Ihre Musik wirkt beim ersten Hören sehr karg - sie reduziert sich auf Maras Stimme und auf Davids Akustikgitarre.
Doch in dieser bewussten Reduktion zeigen sie eine enorme musikalische Bandbreite.
Maras Gesangskunst lässt zerbrechliche wie trotzige Töne erklingen, David entlockt seiner Gitarre filigranes Fingerpicking wie auch percussive Elemente.
In ihren Liedern tauchen autobiographische Erinnerungen ("Cherry Tree" als kindlicher Zufluchtsort) genauso auf wie aktuelle Zeitansagen ("Call it Freedom" als Anklage gegen verlogene Freiheitsmissionen, die nur den exklusiven Wohlstand einiger privilegierter Nationen bewahren sollen).
Die Eigenkompositionen werden durch zwei Stücke anderer Musikgruppen ergänzt: das hymnische "Glory Box" (im Original von Portishead) und "Sweet Lies", das in der ursprünglichen Version von Fleetwood Mac vor über zwei Jahrzehnten als klebrig-süße Soße aus dem Radio tagtäglich entströmte; befreit von unnötigem musikalischen Ballast schält sich erst die bittersüße Kernbotschaft dieses Liedes heraus.
Dass das Leben schlechthin manch unglaubliche Ambivalenz bereithält, müssen die beiden Musiker an sich selbst erfahren.
Ihre gemeinsame musikalische Karriere findet einen paradox anmutenden Kontrapunkt in ihrer beider Kampf um ihre Sehfähigkeiten. Während Maras Sehnerv von einem mysteriösen Tumor geschädigt wurde, muss David sich damit abfinden, auf Grund einer seltenen Erbkrankheit sukzessive sein Augenlicht zu verlieren.
Ob bewusst oder unbewusst - das Thema "Sehen" taucht, teilweise als Metapher, auch in ihren Stücken immer wieder auf.
In dem Lied "What is there" heißt es:
I open my eyes
Something has changed
There's a scent of flowers
And a cat in the hallway...
Und in dem wütend vorgetragenen Song "Breakdown" findet sich der Refrain:
We stand at the brink and we try not to fall
Blood on our hands and our hopes on the line
We all know the breakdown is coming
Though we don't know when
We all see the signs.

Mara & David nehmen ihre Umwelt viel bewusster auf als die meisten "Normalsehenden".
Und sie finden hierfür eine gemeinsame musikalische Ausdrucksform, die eine hohe Emotionalität widerspiegelt.
Ihr intensiver, authentischer Stil lässt Augen und Ohren öffnen....öffnen für neue Sinneseindrücke:
Why can't you see
The sky is just a mirror to the clouds in me.


Mara & David: Call it Freedom
Ozella Music, 2013

Ewige Jungen und unglückliche Franken

Im gerade veröffentlichten "Glücksatlas 2013" nimmt Franken den letzten Platz unter den westdeutschen Regionen ein - danach folgen "nur" noch die ostdeutschen Bundesländer.
Da die ökonomischen Daten Frankens besser sind als der Bundesdurchschnitt, stellt sich die Frage, woran dies liegt. Die Verfasser besagter Studie mutmaßen, hier spiele der kulturelle Faktor eine zentrale Rolle. Es gebe eben einen in Franken stark verwurzelten Grundpessimismus. Insofern mögen die drei jungen Nürnberger Musiker David Sewiolo (Gitarre, Gesang), Florian Rudhart (Gitarre, Gesang) und Sebastian Schütz (Piano) Prototypen dieser psychologischen Verfasstheit sein. Sie firmieren unter dem Bandnamen "A Kiss From Wendy" und präsentieren mit "Hope" ihr Debutalbum. Themen wie Freundschaft und Einsamkeit werden in ihren melancholischen Akustik-Stücken verarbeitet.
Beim Titelsong heißt es: "Waiting for the anthem of a new tomorrow that will take away your sorrow..."
Und die Flucht in den Alkoholkonsum ist Inhalt des Liedes 'Confession': "I tasted the bottle too many times, made me lose control, but I cannot regret, any second I wasted cause I tried to follow my heart...".
Die fränkischen Melancholiker überzeugen nicht nur textlich, sondern auch musikalisch. Sehnsuchtstöne durchziehen in unterschiedlichen Varianten ihre Songs.
Bleibt die Frage nach dem kuriosen Bandnamen. "A Kiss From Wendy" bezieht sich auf eine zentrale Figur aus dem Stück "Peter Pan". Durch einen Kuss von Wendy schafft es Peter Pan letztendlich, sich aus der Rolle des ewigen Jungen zu befreien.
Die fränkischen Musiker geben sich aber wahrlich nicht erwachsen oder sachlich-nüchtern, sondern zeigen eher jugendliches Pathos. Eigentlich müsste eine Region mit solchen Musikern doch glücklich(er) sein ...


A Kiss From Wendy: Hope
im Eigenverlag, 2013

Ein Stimmwunder mit doppelter Staatsbürgerschaft

Im Alter von 29 Jahren kann die britisch-georgische Künstlerin Katie Melua bereits auf sechs Studio-Alben zurückblicken. Der Titel ihres jüngsten Werkes "Ketevan" verweist auf ihren georgischen Vornamen.
Musikalisch geht sie bei dieser CD ebenfalls zu ihren Wurzeln zurück, aber nicht zu ihren georgischen Wurzeln (mit ihrer Familie ist sie 1993 nach Westeuropa übergesiedelt), sondern indem sie die künstlerische Zusammenarbeit mit dem Musiker und Produzenten Mike Batt, der sie schon bei ihren ersten drei Alben intensiv begleitete, reaktiviert hat.
Mike Batt war es ja auch, der Katie Melua vor gut zehn Jahren entdeckte und sie dann auf seinem eigenen Label Dramatico unter seine Fittiche nahm.
Spätestens mit ihrer zweiten CD-Veröffentlichung "Piece by Piece" wurde sie einem Millionenpublikum weltweit bekannt.
"Ketevan" glänzt nun nicht mit so famosen Titeln wie "Spider's Web" oder "Nine Million Bicycles" auf ihrem Zweitlingswerk.
Das klassische Songwriting wird jetzt gepflegt mit leichten Anklängen an Blues- und Jazzmusik. Im Vordergrund aber ist eindeutig Katie Meluas Stimme, die nichts von ihrem Reiz verloren hat.
Dabei überzeugen aber mehr die leicht schrägen Töne und Texte, etwa das witzige "Idiot School", als die klassisch gestylten Liebeslieder, die Mike Batt in seiner langen Karriere zu Dutzenden schon routiniert für sich selbst und andere Musiker verfasst hat.
Mit Toby Jepson hat sie einen weiteren, ganz neuen künstlerischen Partner, der auch für eine musikalische Bereicherung auf dieser CD sorgt.
Von Katie Melua wird, diese Prognose sei gewagt, auch in den kommenden Jahren zu hören sein.
Live kann sie in mehreren deutschen Städten im Rahmen einer größeren Tournee im November erlebt werden. (u.a. am 22.11. in Hamburg, am 25.11. in Berlin und am 26.11. in Leipzig).
Katie Melua hat übrigens - ein abschließender Hinweis mit Blick auf die deutsche Migrationsdebatte - die Staatsbürgerschaft Georgiens wie Großbritanniens.


Katie Melua: Ketevan
Dramatico Label, 2013

Eine magische Melange für die dritte Jahreszeit

Dreizehn 3-Minuten-Stücke, eines davon mit dem passenden Titel "three minute song", beinhaltet die CD "Favorite Sin", das dritte Album des Duos Carolin No.
Und den beiden Musikern Caro und Andi Obieglo (sie sind nicht nur musikalische Partner!) ist ein erfrischendes Musikwerk gelungen, das durch die klare Simme von Caro wie durch die multi-instrumentellen Fähigkeiten von Andi besticht.
Bei ihren selbst geschriebenen Pop-Miniaturen beweisen sie auch kompositorisches Geschick und Kreativität. Fast jedes Lied überrascht mit einem besonderen Intro oder Outro.
Melancholische Balladen, Country-, Blues-, Elektro- und Gospelanklänge finden sich zu einer magischen Melange zusammen.
Und vielleicht ist es gerade die dritte Jahreszeit, der Herbst, welcher diesen facettenreichen Stücken am ehesten entspricht?
Pikanterweise läuten die beiden Carolin No - Musiker mit diesem Album auch einen Rückzug ein. denn sie verlassen Berlin und kehren zurück in die unterfränkische Provinz.
Aber es mag auch nur großstädtisch genormte Brille sein, die mit diesem Wohnortwechsel einen Rückzug assoziiert.
Ihre Musik hat jedenfalls beileibe nicht den Flair provinziellen Miefs.
Lebenslust und Liebesfrust liegen oft nahe beieinander. Carolin No liefert den beschwingten Soundtrack zu mancher Liebesromanze.
Ihr klangpoetisches Potential macht sie zu musikalischen Hoffnungsträgern, die nicht als als geklonte Dutzendware in den Seichtgebeiten der Hitparaden enden.


Carolin No: Favorite Sin
Fuego Musik, 2013

Musikalische Zugaben zum Firmenjubiläum

Einen CD-Sampler zum Firmenjubiläum? Für eine Konzertagentur sicherlich ein passendes "Give away", was für die Besucher des Jubiläumsgeburtstags-Festivals im Juli 2013 in Berlin als Dreingabe, quasi als Zugabe, bereitgestellt worden ist.
Und elf Zugaben sind es auch, die in Livekonzerten der letzten Jahre von Interpreten, die durch die Konzertagentur Berthold Seliger betreut werden, mitgeschnitten worden sind.
Berthold Seliger hat es verstanden, eine qualitativ mehr als respektable Liste an Interpreten, speziell aus den Genres "Alternative Rock" und "Weltmusik" als Agent für Konzerte in Deutschland und im europäischen Ausland zu akquirieren.
Man kann trefflich darüber streiten, ob die Lieder aus dem Zugabeblock wirklich immer als ultimative Erinnerungsstücke eines Konzerts taugen. Ob es nicht häufig, so die subjektive Erfahrung des Rezensenten, das letzte Lied vor dem Zugabeblock ist, das den nachhaltigsten Eindruck hinterlässt.
Schwamm drüber... es ist jedenfalls eine gelungene Auswahl, die unter dem Titel "Absolutely Live 2013 - Zugaben" veröffentlicht worden ist. Die fünf "Absolutely Live" - Vorgängeralben sind übrigens ebenfalls in limitierter Auflage erschienen und zwischenzeitlich längst vergriffen.
Es handelt sich hierbei um ungefilterte Liveaufnahmen aus Konzerten in jüngster Zeit, wenngleich für den CD-Hörer mit den elf Stücken nicht immer eine prickelnde Liveatmosphäre eingefangen worden ist.
Klare Favoriten und Anspieltipps sind für mich die Lieder von Depedro, The Walkabouts, Bratsch, Lambchop und Calexiko & Blind Pilot. Gerade bei diesen Stücken ist ein bewegungsloses Zuhören im häuslichen Schaukelstuhl nahezu unmöglich.
Die limitierte Auflage ist kein Marketing-Gag. Deshalb gilt in diesem Falle der dringende Rat, bei Interesse baldmöglichst den CD-Kauf zu tätigen, obgleich die Angabe im Booklet, die CD sei im freien Handel nicht erhältlich, nicht ganz zutreffend ist. Denn sie wird auch vom Glitterhouse-Mailorder vertrieben - dort hat sie der CD-Rezensent käuflich erworben. Damit braucht er nicht das Verdikt des Agenturchefs Berthold Seliger zu fürchten, der in seinem regelmäßig erscheinenden Mailnewsletter immer wieder Journalisten brandmarkt, die sich bei Konzerten reichlich mit Freikarten eindecken wollen.
In besagten Newsletter-Ausgaben erweist sich Berthold Seliger als gnadenlos kritischer Beobachter der aktuellen politischen und kulturellen Zeitläufte und genießt es wohl auch, seine teils unorthodox linken, teils kruden Ansichten (etwa über Nordkorea) zu verbreiten.
Bei manchen seiner Anmerkungen ist die Grenze von Kritik zu (vermeintlicher) Rechthaberei und Besserwisserei fließend. Und vermutlich ärgert es ihn wohl selbst am meisten, dass in seiner persönlichen Jubiläumsschrift im CD-Booklet das Gründungsjahr seiner Agentur fälschlicherweise mit 1998 angegeben ist. Oder wollte er hier seine Kritiker testen?
Dieser Lapsus schmälert jedenfalls nicht sein Gespür für interessante musikalische Bands und Einzelinterpreten. Auf "Absolutely Live 2013" ist dies nachzuhören...


Various Artists: Absolutely Live 2013 - Zugaben
Almaviva Records, 2013
Bezug über die Konzertagentur Berthold Seliger, Berlin oder den Glitterhouse Mailorder, Beverungen.

Ein musikalischer Friedensapostel fürs Wohnzimmer

Die leise, tiefe Stimme von David Munyon verbreitet beim ersten oberflächlichen Anhören eine gepflegte Langeweile... als wenig nuancenreich könnte man daraufhin die CD zurück ins Regal stellen.
Diese Stimme ist wahrlich nicht dafür geschaffen, für Stimmung in großen Konzertsälen oder Freiluftarenen zu sorgen. Und so mag es auch nicht verwundern, dass der Musiker für Auftritte in kleinem Rahmen, sogar Wohnzimmerkonzerte, hierzulande bekannt ist.
Wobei es anscheinend in Europa weit mehr Menschen gibt, die sich auf diese betont ruhig instrumentierte Musik einlassen, als in seiner US-amerikanischen Heimat.
Beim intensiveren Zuhören erweckt diese weich-raue Stimme dann einen sympathischen und nachhaltigen Eindruck. David Munyon erzählt kleine Lebensepisoden in seinen Liedern, die ihn als tiefreligiösen Friedensapostel ausweisen.
Doch sein musikalisches Plädoyer für Achtsamkeit und Liebe kann auch von Menschen verstanden und aufgegriffen werden, die sich nicht als Krishna-Jünger verstehen.
Seine Mission es auch nicht, für seine Religion zu missionieren. David Munyon ist der Gegenpol zu einer lauten, hektischen und übertechnisierten Welt. Er will nicht die Pose des großen Anklägers übernehmen, sondern lieber (um einen früheren CD-Titel aufzugreifen) den "Poet Wind" verbreiten.
Auf der jüngst veröffentlichten CD "Purple Cadillacs" gibt es neben einer Reihe neuer Songs auch ältere Lieder von ihm im neuen Gewande, etwa "Prayers for Elvins" oder den "Song for Danko", gewidmet dem 1999 verstorbenen Musikerkollegen Rick Danko.
Mit dem Violinisten Thomas Kagermann bekommen manche Lieder zusätzliche Farbtupfer, die sich jedoch sehr stimmig in das musikalische Werk einfügen.
Im Booklet nennt er Deutschland "my favorite place on planet earth" und ruft zu einer Spende für das Kinderhilfswerk ChildFund auf. Auch im Kleinen und mit kleinen Mitteln, so sein Plädoyer, kann man helfend in der Welt wirken...


David Munyon: Purple Cadillacs
Stockfisch Records, 2013

Ein kreativer Kauz und seine musikalischen Grenzüberschreitungen

Es spricht erst mal nicht für eine überbordende künstlerische Produktion, wenn die "Ralfe Band" nach ihrem Debütalbum "Swords" (2005) und dem zweiten Werk "Attic Thieves" (2008) mit "Son Be Wise" im Frühjahr 2013 erst ihr drittes Werk veröffentlicht haben.
Doch der Kopf der Band, Oly Ralfe, ist eben nicht nur als Musiker aktiv, sondern auch als Filmemacher (u.a. drehte er eine Dokumentation über einen notorisch besessenen Bob Dylan-Fan) und Illustrator. Selbstredend zeigt er sich auch für die künstlerische Gestaltung der CD-Hüllen verantwortlich.
Die Ralfe Band bringt eine typisch englische Melange aus Folk und Pop zum Erklingen.
Gleich ob Gitarre oder Piano als zentraler Melodieträger fungieren - es ist eine verspielte, immer leicht schräge Musik, die eine optimistisch durchtränkte Melancholie zum Besten gibt. Dabei haben manche der ein Dutzend Songperlen durchaus das Format für einen Radiohit.
Für den balladesken Touch einiger Songs sorgen die Hinzunahme von Streichern und Altsaxophon. Ein besonderer Farbtupfer ist auch das Gesangsduett mit Alessi Laurent-Mark im Lied "Barricades".
Oly Ralfe ist ein kreativer Kauz, der musikalische Grenzüberschreitungen nicht scheut - auch osteuropäische oder südamerikanische Rhythmen fließen in seine Lieder ein.
Von seinen Reisen nach Berlin und New York, Island oder Mexiko hat er sich auch sichtlich bzw. hörbar inspirieren lassen.


Ralfe Band: Son Be Wise
2013

Von Eichelhähern und anderen Vögeln

Was für eine Musik darf man von einer Band mit dem Namen "Schleuse" erwarten? Das fränkische Quartett sieht sich selbst in der Tradition von Bob Dylan, Tom Waits, Nick Cave oder 16 Horsepower.
Die Messlatte ist also durchaus hoch gesteckt für das Debütalbum "Knowledge About The Jaybird". Doch es ist nicht nur die Liebe zu diversen Vögeln (jaybird ist die englische Bezeichnung für Eichelhäher), die die fünf Mannen umtreibt. Es sind kuriose Begegnungen, Empfindungen oder Träume, denen sie ein passendes musikalisches Federkleid verpassen.
Sie pflegen hierbei einen Folk-Stil, der sich nicht auf radiotaugliche 3-Minuten-Mitgröl-und-Mitschunkel-Lieder fokussiert.
Ihre Songs weisen komplexere Strukturen auf, keine eingängige Massenware, aber auch keine exaltierten Improvisationsstücke.
An einigen Stellen lassen sich Anklänge an die ersten Alben der Folkrock-Legende Jethro Tull um Ian Anderson heraushören. Allerdings kommt keine Querflöte zum Einsatz, sondern Gitarren, Cello, Akkordeon, Banjo und Kontrabass.
Die Schleuse-Band zeigt sich erstaunlich abgeklärt. Ihre Art der progressiven Folkmusik lässt auch bei mehrmaligen Abhören immer wieder neue Facetten zu Gehör bringen: fünf schräge Vögel mit beachtlichem Kreativpotential und hohem Sympathiefaktor...
Die auch als klassische Langspielplatte erhältliche Veröffentlichung ist gleichzeitig das erste Album auf dem vom Gitarristen Michael Winkler gegründeten Label Bekassine Records.


Schleuse: Knowledge About The Jaybird
Bekassine Records, 2013

Entstaubter Krautrock

Sireena Records ist ein unabhängiges norddeutsches Musiklabel, das seit dem Jahr 2000 CD's und auch Langspielplatten (wieder-)veröffentlicht.
Es ist eine wirklich illustre Mischung, die die Sireena-Macher aus verstaubten Musikarchiven ausgegraben haben. Ein Schwerpunkt ihres Labels sind mehr oder weniger in Vergessenheit geratene (west-)deutsche Bands aus den 70er und 80er Jahren des vergangenen Jahrhunderts. Man hat den damaligen Rockbands aus deutschen Landen das etwas despektierliche Etikett "Krautrock" angehängt.
Aus den wenigsten dieser Krautrock-Bands wuden wirklich Plattenstars - am erfolgreichsten war sicherlich die Hannoveraner Rockband "The Scorpions", die als Jazzrock-Gruppe begann, bevor sie dem "Wind of Change" frönte.
Doch hörenswert sind gerade viele der nur eingefleischten Musikszene-Kennern bekannten Bands. Einen aktuellen Querschnitt des Sireena-Labels bietet der Sampler "The Spirit of Sireena Vol. 7".
Nicht ungewöhnlich für einen Sampler ist die heterogene Mischung. Von elektronischer Musik bis zum Blues, von skandinavischem Jazzrock bis zu alternativer österreichischer Volksmusik reicht das Spektrum auf dieser CD.
Gerade die Rockballaden, etwa "Airchild" von The Electric Family, überzeugen hier besonders.
Und es lohnt durchaus auch, auf die Texte zu hören, etwa bei "Gewalt ist Schitt" von Franz K., der (salopp formuliert) sozialpädagogischen Antwort auf die Protestband Ton, Steine, Scherben.
Wer durch diesen Sampler Appetit auf mehr bekommt, finden in den jeweiligen Einzelveröffentlichungen liebevoll wie informativ gestaltete Digipaks, meistens mit Bonustiteln gegenüber den Erstveröffentlichungen.


Various Artists: The Spirit of Sireena Vol 7.
Sireena Records, 2013

Zwischen Aarhus und Arizona

Vier waschechte Dänen aus Aarhus, Musiker mit Leib und Seele und mit starker Affinität zum melancholischen Indie-Rock amerikanischer Prägung, bilden die Band "The DeSoto Caucus": Anders Pedersen, Peter Dombernowsky, Nikolaj Heyman und Thoger T. Lund.
Sie profitierten in ihrer Entwicklung sicherlich vom Split der Indie-Bandlegende Giant Sand. Derem führenden Kopf Howe Gelb kamen vor etwa zehn Jahren zwei kreative Musiker, nämlich die Herren Burns und Convertino, abhanden, da diese beiden fortan als Chefs der Band "Calexiko" firmierten und sich ganz auf dieses ursprünglich musikalische Nebenprojekt konzentrierten. Fortan verstärkten die dänischen Musiker die Gruppe Giant Sand.
Und da Howe Gelb immer wieder eigene Wege ging oder andere musikalische Kombinationen zeitweise favorisierte, beispielsweise mit einem Gospelchor in Kanada tourte, nutzten die vier Dänen die Gunst der Stunde, also die freie Zeit, um als eigenständige Band Lieder aufzunehmen und mit diesen auch aufzutreten.
"Offramp Rodeo" ist ihr zweites Album betitelt.
Und es ist ein kleines Juwel für Freunde amerikanischer Rockmusik, speziell der Südstaaten, geworden. Aarhus scheint in Arizona zu liegen, dort halten sich die vier Dänen öfters auf... und hier lassen sie sich auch inspirieren.
Sie lassen den Hörer aber nicht in weltschmerzumtosten Wogen von Mollakkorden untergehen. Sie bieten stilsichere Musik und garnieren sie mit Texten jenseits von Weltuntergangslarmoyanz oder Lagerfeuerromantik:
Here is one to tell you
we’re outrun anyway
that trouble comes in all colors
but always leave you in the grey.
Teilweise spielen sie mit Worten und Gedankenassoziationen ... und wenn schon resignieren, dann aber bitte mit Stabreim:
reluctant resignation
under heavy clouds.
Ihre Musik strömt eine coole Abgeklärtheit aus, die eine soghafte Wirkung beim Hörer hinterlässt. Die lässigsten Amerikaner scheinen ihren Erstwohnsitz in Aarhus zu haben.


The DeSoto Caucus: Offramp Rodeo
Glitterhouse Records, 2013

Ein Trommler mit kaputtem Tischtennisball

In den 60er oder 70er Jahren des vergangenen Jahrhunderts war es durchaus üblich, dass der Schlagzeuger progressiver Rockbands bei einem Konzertstück seine (Solo-)Künste für eine längere Vorführung demonstrieren durfte. Rockklassiker in dieser Hinsicht sind sicherlich "In-A-Gadda-Da-Vidda" von Iron Butterfly (an den Drums: Ron Bushy) , "Moby Dick" von Led Zeppelin (an den Drums: John Bonham) oder "The Mule" von Deep Purple (an den Drums: Ian Paice).
Und auf der anderen Seite ist es gerade im Jazzbereich nicht unüblich, dass der Schlagzeuger "Bandchef" spielt und eine Handvoll Musiker um sich schart. Charly Antolini, Billy Cobham oder Buddy Miles sind international renommierte Adressen, hierzulande ist Wolfgang Haffner beispielsweise hervorzuheben.
Sehr ungewöhnlich ist es dann aber, wenn ein Schlagzeuger eine komplett solo eingespielte CD vorlegt. Dies tat der Nürnberger Werner Treiber bei seiner Erstlingsveröffentlichung "Beyond Backbeat".
Dessen berufliches Wirken fußt auf dem Standbein eines Dozenten der hiesigen Musikschule und auf dem Spielbein eines Musikers in diversen Kombinationen, auch mit Ausflügen in andere künstlerische Gefilde wie Theater.
Auf "Beyond Backbeat" nutzt er nicht nur das klassische Drum-Set. Er setzt zusätzlich auf allerlei Gegenstände wie Lineale, Einweckgummi oder einem kaputten Tischtennisball. Aber auch Wasch- und Zirkustrommel oder eine Styroporverpackung gehören zum illustren Instrumentarium des Musikers.
Sein skurriler Einfallsreichtum mündet jedoch nicht in schrägen musikalischen Darbietungen. Vielmehr präsentiert Werner Treiber elf Stücke in höchster rhythmischer Perfektion.
Dabei ist sein enormer Spielwitz unverkennbar bzw. nicht zu überhören.
Es mag deshalb auch nicht zu verwundern, wenn ein Stück von Frank Zappa, einem der größten Kreativ- und Querköpfe im Musikgeschäft, inspiriert ist.
Wer weiß, vielleicht fühlt sich der eine oder andere Hörer animiert, im eigenen Haushalt mehr rhythmischen Takt zu Gehör zu bringen...?! Werner Treiber liefert die professionelle Anleitung hierfür.


Werner Treiber: Beyond Backbeat
Edition Metropolmusik, 2012

Das verträumte Nachdenken einer Wahlberlinerin

Nicht nur Schwaben (der Alptraum des Herrn Thierse!) und Türken (der Alptraum des Herrn Sarrazin!) zieht es nach Berlin. Als Vertreter des badischen Volksstammes darf die 1979 in Karlsruhe geborene Musikerin Jeanette Hubert gelten.
Auf ihrer ersten CD-Veröffentlichung "On the Run" präsentiert die Wahlberlinerin exakt ein Dutzend an Eigenkompositionen. Drei der in englischer Sprache verfassten Liedtexte hat die Schlagzeugerin Catrien Stremme beigesteuert.
Die Kompositionen, geprägt durch die akustische Gitarre von Jeanette Hubert, schmeicheln sich als eingängige, entspannte Popmelodien ins Ohr.
Die Künsterlin besingt die Liebe und das Leben in der Großstadt. Sie räsonniert, während sie friedvoll im Gras liegt, über ihr Leben und ihre Zukunft ("Waiting for the Rest").
Es bedarf keines perfekten Partners, um das Leben genießen zu können, betont sie stimmungsvoll im Lied "Always Perfect".
Mag das eine oder andere Lied zu sehr als radiotauglicher Ohrwurm getrimmt sein, ihre wahre Stärke liegt in dem balladesk komponierten und vorgetragenen Liedgut.
Hier lädt Jeanette Hubert zum Innehalten ein, zum verträumten Mit- und Nachdenken inmitten der großstädtischen Hektik.
Bleibt zu hoffen, dass Ihre schön gestaltete Homepage www.jeanettehubert.de bald viele Konzerte in den kommenden Monaten ankündigt und nicht nur auf vergangene Termine verweist.


Jeanette Hubert: On The Run
Ozella Music, 2012

Lonely Birds aus dem Frankenland

Agnes Lepp und Filip Wisniewski weisen einen schwäbischen bzw. polnischen Migrationshintergrund auf und sind beide derzeit im Frankenlande wohnhaft.
Als musikalisches Duo firmieren sie unter dem Namen "Leppinski 2".
Auf ihrer titellosen Erstveröffentlichung verzichten sie darauf, sattsam abgenudelte Jazz-Standards zum Besten zu geben; stattdessen präsentieren sie neun Eigenkompositionen.
Duo-Formationen sind ja nun wahrlich keine Rarität in der Jazzmusik. Gelegentlich schließen sich auch Heroen wie Chic Corea und Bobby McFerrin im Duett zusammen.
Eher selten ist hierbei jedoch die Kombination aus Gesang und Gitarre, den die fränkischen Newcomers zelebrieren.
Als professionelle Musiker mit erfolgreichen Studienabschlüssen zeigen sie sich durchaus routiniert in ihren Stücken. Zu hören ist das ausgereifte Gitarrenspiel Wisniewkis, das sich mal dezent im Hintergrund zu den vokalen Improvisationsmomenten von Agnes Lepp einordnet und sich dann fast übergangslos in den Vordergrund arbeitet.
Die beiden musikalischen Protagonisten sind gut aufeinander eingestellt. Weniger jazz-affine Ohren werden sicherlich die Stücke präferieren, die sich mehr am klassischen Songwriter-Genre orientieren und weniger die offensichtliche Experimentierlust der zwei Musiker herausstellen.
"Does Humor belong in Music", fragte einst Frank Zappa. Vielleicht kann ja aus der hörbaren Spiel- und Gesangfreude der beiden künftig noch mehr Spielwitz erwachsen, welchen die vorhin genannten Superstars in ihrem Zusammenspiel zur Perfektion getrieben haben.
"Lonely Birds are singing their song..." intoniert Agnes Lepp. Nun, Leppinski 2 ist zu wünschen, dass sie keine einsamen Vögel in der deutschen Jazzszene bleiben.


Leppinski 2: dto.
Edtion Metropolmusik, 2012

Hoffnung in der Hosentasche

Die Lofoten sind mehr als ein Insidertipp für Skandinavienurlauber. Die vor der norwegischen Küste liegende Inselgruppe liegt nördlich des Polarkreises im atlantischen Ozean.
Hier wurde 1956 auch Kari Bremnes geboren, die sich nach ihrem geisteswissenschaftlichen Studium gegen die eingeschlagene journalistische Berufslaufbahn und stattdessen für eine musikalische Karriere entschied.
Und Kari Bremnes ist nach vierzehn Alben nicht nur in Norwegen, sondern zwischenzeitlich auch in Deutschland mehr als nur ein Insidertipp.
Ihr aktuelles Album "Og så kom resten av livet" besticht, wie auch ihre Vorgängerwerke, durch einen klaren Sound, der einen nachhaltigen Eindruck beim Anhören hinterlässt. Ihre markante Stimme changiert zwischen Pathos und Wehmut, zwischen kecken Zwischentönen und milder Strenge.
Und wenn der Begleitmusiker und Produzent Bengt Hanssen seine kongeniale Stimme im Hintergrund ertönen lässt, bekommen diese Passagen einen beinahe hymnischen Charakter.
Auf dem Livealbum "Die Reise" (2007 erschienen) waren ihm deutlich mehr Gesangsanteile gegönnt.
Nun steht ganz klar die Sängerin Kari Bremnes im Vordergrund. Das neue Album ist deutlich ruhiger, aber auch in sich geschlossener.
Die Künstlerin lässt sich beim Schreiben ihrer Lieder nicht nur von historischen Figuren oder dem rauen Klima, dem Meer und der Landschaft ihrer Heimat inspirieren, sondern auch von großen Vorbildern wie Bob Dylan.
Ihre musikalischen Fantasien werden angeregt an einem Sommertag vom Duft der Blaubeeren und dem Wunsch, wie ein Adler fliegen zu können. Sie besingt die zwischenmenschlichen Wunder, die es möglich machen, dass sich urplötzlich zwei Menschen mit ganz anderen Augen sehen können, mit einem vorher nie dagewesenem Gefühl der Freude und Zärtlichkeit
Und bei "Mann på rommet" (Mann im Zimmer) beschreibt sie die (wie sie selbst findet) "erschreckende Geschichte" einer Frau, die nach zahlreichen Liebesenttäuschungen einen Mann für sich sucht und findet, den sie im Zimmer einschließt und dort zu ihrem idealen Partner umzuerziehen trachtet. Und diese Frau sei tatsächlich optimistisch, was den Erfolg dieses Projektes anbelangt...
Der Wert der Hoffnung wird im gleichnamigen Lied ("Håpet") beschworen. Hoffnung braucht nicht viel Platz, beansprucht nicht viel Platz und kann in jeder Hosentasche mit sich getragen werden.
Kari Bremnes selbst kann durchaus als musikalische Hoffnungsmacherin aus dem hohen Norden gesehen, gehört und geschätzt werden.


Kari Bremnes: Og så kom resten av livet
Strange Ways Records, 2012

Amerikanischer Wehmuts-Rock

1984 haben Chris Eckman und Carla Torgerson (beide Gesang & Gitarre) die Band "Walkabouts" aus der Taufe gehoben. Und sie haben es im Laufe der Jahre geschafft, zu den Arrivierten der Alternativrockszene sich empor zu arbeiten.
Die Musik der Walkabouts ist ein Mix aus Folk, Blues, Country und Rock - in unterschiedlichen Ausformungen und Stilen.
Auch in deutschen Landen hat sich die US-Band mittlerweile eine treue Fangemeinde geschaffen. Und so nimmt es nicht Wunder, dass sie ihr Konzert am 14. Juli 2012 im Berliner "C-Club" als Livealbum unter dem schlichten Titel "Berlin" veröffentlicht haben.
Zu hören sind ein gutes Dutzend Lieder, zum einen aus der jüngsten Studioveröffentlichung "Travels in the Dustland", zum anderen querbeet aus dem umfangreichen Fundus der vergangenen drei Jahrzehnte, unter anderem "The Light will stay on", den heimlichen Hit der Band aus dem Jahr 1996.
Die markanten Stimmen der Gründungsmitglieder Chris & Carla wechseln sich bei den einzelnen Stücken ab. Wie ein roter Faden ziehen sich wehmütige Impressionen durch die Lieder, routiniert vorgetragen und gespielt.
Dass sie nach einem mehrjährigen Ausflug zum "Major Label" Virgin Records in den 90er Jahren wieder zurück zu Glitterhouse Records gefunden haben, hat womöglich den großen kommerziellen Durchbruch verhindert. Aber sie hatten und haben somit die kreativen Freiräume, ihre musikalischen Vorstellungen (gelegentlich auch in anderen musikalischen Zusammenschlüssen) auf Platte bzw. CD zu pressen.


The Walkabouts: Berlin
Glitterhouse Records, 2012

Die musikalischen Stimmen einer australischen Innenarchitektin

Eine australische Innenarchitektin macht aus ihrem Faible für Musik in ihrer neuen Wahlheimat Berlin einen Fulltime-Job. Diese komprimierte Biographie sagt natürlich noch nichts über die Musik der 33-jährigen Kat Frankie aus.
Mit ihrem androgynen Habitus, den sie speziell bei Konzerten pflegt, wirkt sie wie eine männliche Schwester von Annie Lennox oder PJ Harvey. Dabei stehen emotionale Empfindlichkeiten im Zentrum ihrer Texte. "Frauen verlassen" (ein deutscher Titel) handelt von der Trennung eines Paares und auf welche Seite sich die gemeinsamen Freunde stellen. Ganz in deutsch ist der Titel "Der Ertrag", inspiriert von Arthur Conan Doyles "Der Hund von Baskerville", gehalten, wenngleich es für deutsche Ohren etwas befremdelnd klingt... Aber vielleicht ist dies ja bewusst bezweckt? Denn die Stimme steht bei Kat Frankie eindeutig im Vordergrund, verschiedene Phrasierungen und Tempi zeigen die Wandlungsfähigkeiten. Und auch mit technischer Hilfe wird ihre Stimme bewusst verfremdet. Und so changiert diese dritte CD-Veröffentlichung zwischen hymnischen Gospelchören und beim ersten Anhören eher verstörenden Stimmaufnahmen. "Requiem for a Queen" wurde in einem langen Korridor aufgenommen, das Mikrofon stand dabei 10 Meter von der Künstlerin entfernt, so dass der Gesang wie aus weiter Ferne wirkt. So wie sich die Stimme wandelt, so nimmt die Künstlerin auch unterschiedliche Rollen an und auf. In dem Lied "Ophelia" nimmt sie die Perspektive von deren Bruder Laertes ein.
Kat Frankie scheint mit Haut und Haaren (oder mit Zunge und Ohren?) von ihrer künstlerischen Mission beseelt, ja besessen. Insofern behauptet sie folgerichtig: "Ich möchte, dass meine Platten so klingen wie in meinem Kopf. Und das kann niemand übernehmen, das kann ich nur alleine." Es lohnt durchaus, die hörbaren Resultate dieses stimmlichen Balancierens sich zu Gemüte zu führen.


Kat Frankie: Please don't give me what I want
Zellephan Records