Schluss mit diesem Doppelleben

Beim Thema Zuwanderung geht es häufig um quantitativ oder technokratisch inspirierte „Grenzfragen“ (Wie darf oder muss die Staatsgrenze gesichert werden? Wie hoch soll ein Grenzzaun sein? Bedarf es einer Obergrenze an Einwanderern pro Jahr?). Was aber geht es in den Köpfen der betroffenen Menschen vor? Die Künstlerin Elif Demirezer geht auf eine erstaunlich offene Innenschau mit dem Album „Doppelleben“. Laut Booklet ist diese CD „…der Spiegel meiner Seele und zeigt einen tiefen Blick in meine Gefühls- und Gedankenwelt der letzten vier Jahre.“
Elif ist sozusagen ein wortmächtiger und sensibler Teil der nachgewachsenen Einwanderergeneration.
Sie wächst im Berliner Stadtteil Moabit auf und spricht in den ersten Lebensjahren nur Türkisch. Die Eltern, in den 80er Jahren als Kinder von Gastarbeitern nach Deutschland gekommen, unterhalten sich zuhause nur in der Sprache ihrer Heimat. Und parallel dazu laufen türkische Sender rund um die Uhr im Fernsehen. Doch sie hat aus diesen ersten Jahren wichtige Erfahrungen aufgesammelt und verinnerlicht: „Bis heute hat mich dieses erste Gefühl für Melodie und Musik nie verlassen. Vielleicht sagen mir auch deshalb immer wieder Leute, dass sie in meinen Songs etwas Fremdes, Orientalisches hören.“
Im Titelsong sucht sie nach einer Gesprächs- und Verständnisbasis mit ihren Eltern:
„Ich will euch alles sagen können
Damit ihr seht und versteht, wer ich bin.
Ich will euch alles fragen können
Damit ich weiß, was noch geht und wohin.
Geheimnisse anvertrauen, einen neuen Boden bauen
Den ganzen Fake aufgeben, Schluss mit diesem Doppelleben.“
Elif präsentiert jedoch keine reinen Protest- oder Abrechnungslieder. Innerliche Zerrissenheit und die Suche nach einem wahrhaftigen Leben. Starken Nachklang findet neben dem Titellied vor allem „Schwarz, Weiß, Grau“, das mit den Worten beginnt: „Es wär so leicht, wenn ich kein Chaos wär …“ oder der von Enttäuschungen gepflasterte Weg auf der Suche nach der „passenden“ Liebe im Lied „Anlauf nehmen“.
Elif zeigt, dass es gelingen kann, auch in der deutschen Sprache echte Gefühle zu zeigen. Ohne Kitsch und falsches Pathos, ohne abgedroschenen Floskeln und Phrasen, gekleidet im modernen Popmusik-Gewande.
Abschließend noch eine kleine Kostprobe aus dem bunten Reigen köstlicher Formulierungen:
„Als erstes kommt die Welt, und dann unsere Probleme…“
Mit „Doppelleben“ offeriert Elif die ehrliche und höchst subjektive Bestandsaufnahme eine Mitzwanzigerin.


Elif: „Doppelleben”
Vertigo/Capitol, 2017