Klavierspiel mit Tiefgang

Kurz vor dem Weihnachtsfeste würde es sich anbieten, den dauerbeschallten Einkaufstempeln und Fußgängerzonen etwas Kontemplatives entgegenzusetzen.
Vor dem nahenden Jahresende mag so mancher kommunikationsfreudige Zeitgenosse auch denken, dass der Worte nun genug in diesem Kalenderjahr gewechselt seien. Der Musikfreund kann sich dann dem instrumentalen Liedgut hingeben - und statt den sattsam bekannten Melodien zur Abwechslung mal unbekannten Künstlern eine Chance geben.
Sevi Salam ist eine aus der aserbeidschanischen Hauptstadt Baku stammende Musikerin und Künstlerin. Sie wohnt seit gut zwölf Jahren in Nürnberg.
Solo präsentiert sie sich auf der CD-Veröffentlichung "One Day".
Ihr Klavierspiel perlt flüssig dahin - und beim genaueren Zuhören offenbaren sich Nuancen, die den Stücken eher eine verträumte, eine melancholische oder eine beunruhigte bzw. seelisch aufgewühlte Ausprägung geben. Die einzelnen Titel widerspiegeln diese musikalischen Offenbarungen gleichfalls, ob "Loneliness", "The One Day of a Butterfly" oder "Fukushima".
Sevi Salam präsentiert ein musikalisches Geflecht mit Tiefgang. Sie lädt dazu ein, sie zu begleiten -ob beim Dialog mit den Wellen ("Speaking with the Sea") oder den gefühlvollen Erinnerungen an ihre Heimat ("My home Baku").


Sevi Salam: One Day
Label11, 2016

Musikalische Schätze jenseits von "Hu-Hu-Hu"

Die isländische Mannschaft hat sich im Kräftemessen mit den vermeintlich großen Fußballnationen bei der diesjährigen Europameisterschaft viele Sympathien erspielen können. Mit dem Mute der Verzweiflung hat sich der Underdog bis ins Viertelfinale gekämpft.
Als Sympathieträger erwiesen sich aber auch die isländischen Fans. Ihr dumpfes Hu-Hu-Hu-Siegesritual wirkte anfangs befremdlich, wurde dann aber als kuriose Bereicherung der Fankultur angesehen.
Auch der CD-Sampler "A Taste Of Beste! Unterhaltung - Vol. 2" mag beim ersten Anhören hin und wieder befremdlich klingen. Aber er bietet die Chance, nicht nur internationales Liedgut kennenzulernen, sondern auch wahre musikalische Schätze zu heben...und das zu einem Schnäppchen-Preis.
Eine lohnenswerte Entdeckung ist beispielsweise der isländische Künstler Svavar Knutur. Der Liedermacher aus dem Land der Gletscher und Geysire beschwört innere Dämonen und äußere Stürme. In seinen jüngsten Veröffentlichungen kehrt er eher die heiteren Seiten des Lebens hervor. Das Lied "Girl from Vancouver" mutet beim ersten Anhören wie ein albernes Liebeslied an. Aber der sprachliche wie musikalische Witz lohnt mehrmaliges Anhören... und man wird nicht nur mit vielen englischen Reimwörtern auf die Stadt "Vancouver" entschädigt.
Ein weiteres nordeuropäisches Stimmwunder ist sicherlich die von den Färöer-Inseln stammende Guðrið Hansdóttir. "You blossom like a Flowers" ist die stilvolle Vertonung eines ins Englische übersetzten Liebesgedichts von Heinrich Heine.
"Oh Lonesome Me" ...klingt wie Cowboy-Melancholie zu Wildwest-Zeiten; tatsächlich ist es ein Duo, dahinter verbergen sich die beiden stimmgewaltigen Musikerinnen Carina Schwertner und Anne Stabe. Zum Kennenlernen bietet der Sampler die Liebesballade "You only like me when you're drunk" an.

18 Lieder können auf diesem Sampler entdeckt werden, auf ein Lied sei als finaler Anspieltipp noch hingewiesen: "One amongst Others", unglaublich gefühlvoll von der isländischen Liedermacherin Myrra Rós vorgetragen.


"A Taste of Beste! Unterhaltung - Vol. 2" (Sampler)
Beste! Unterhaltung, 2016 (Direktbezug beim o.g. Label)

Ehrlich gesagt... und gesungen

Ehrlich gesagt, macht sich grundsätzlich eine gewisse Skepsis beim Rezensenten breit, wenn es sich um deutschsprachiges Musikgut handelt. Die Herz-auf-Schmerz - Reimkultur ist ja schon hinlänglich beklagt worden.
Das Musiker-Ehepaar Carolin und Andreas Obieglo firmiert als künstlerisches Duo "Carolin No". Knapp zehn Jahre nach ihrem Debütalbum haben sie mit "Ehrlich gesagt" eine komplett deutschsprachige CD eingespielt.
Carolin Obieglo drückt den Liedern mit ihrem intensiven Gesang ihren Stempel auf, während Andreas Obieglo an diversen Tasten- und Saiteninstrumenten brilliert.
Sie liefern poetische Momentaufnahmen und glänzen dabei mit Spielfreude und -witz.
Der musikalische Reigen reicht von der nachdenklichen Ballade "Eins in Dur" über das melancholische "Lichter unserer Stadt" bis zum zerbrechlich dargebotenem Liebeslied "Herz". Einen starken Nachklang ruft das Lied "Abend wird es wieder" hervor - der einzige Fremdtext stammt übrigens von Hoffmann von Fallersleben.
Eindeutiger Höhepunkt des Albums ist das titelgebende Stück "Ehrlich gesagt":
"Ehrlich gesagt
Hab ich schon lange nichts mehr
Ehrlich gesagt
Und daran was zu ändern
Ehrlich gesagt
Kontinuierlich vertagt..."
Das Lied hat wirkliche Hitqualitäten und drängt dabei anrührend, leicht verquer und verstörend, dynamisch und kraftvoll ins Ohr.
Ehrlich gesagt: intelligente deutschsprachige Popmusik ist möglich!


Carolin No: Ehrlich gesagt
Fuego, 2016

Ein musikalischer T-REKK durch den Süden der USA

Dortmund? Wenn man in diesen fußballinflationären Zeiten diese Stadt erwähnt, ist die Assoziation zum „Runden, das ins Eckige muss“, fast zwingend.
Dortmund und Kultur? Der moderne Mensch bedient sich bei einer solch schwierigen Fragestellung einer Internetsuchmaschine und stößt dann vielleicht auf den Förderpreisträger für junge Künstler 2014.
Diesen Preis gewann die Musikgruppe REKK. In der Laudatio hieß es:
„Die Dortmunder Indie-/Folk-Band REKK überzeugt durch eine unverwechselbare musikalische Eigenständigkeit … Obwohl es sich hier um noch recht junge Musiker handelt, ist es der Band gelungen, einen eigenen Sound jenseits der Mainstream-Anforderungen zu kreieren.“
Der Kopf dieses Quintetts ist Matti Kaiser. Er beherrscht meisterhaft das gefühlvolle Texten und Komponieren.
Die englischen Liedtexte sind von Andeutungen und Anspielungen wie auch von (nicht immer ernst gemeinten) Wortspielereien durchdrungen.
Interessanterweise wurde auch der Bandname REKK aus Gründen der semantischen Ästhetik gewählt: Man empfand die zwei aufeinanderfolgenden „K“ des Albums „TAKK“ von Sigur Rós so schön. Und mit diesem Bandnamen ergeben sich fast zwangsläufig Wortspiele wie „Soundrekk“ – übrigens der Begriff, unter dem man die Band auf Soundcloud findet.
Die REKK-Musik hat Anklänge an Ryan Adams wie an die hymnenartigen Balladen von Coldplay. Kunstvoll im wahrsten Sinne des Wortes sind die vorwiegend akustisch geprägten Melodien, teilweise garniert mit Bläser- oder Streichereinheiten.
Ein besonderes Schmankerl ist der einzige Coversong auf dem Debutalbum, nämlich „Wicked Game“, im Original von Chris Isaak.
Die REKK-Version entbehrt des Edelkitsch-Tons, konzentriert sich auf den Liedkern, wirkt dadurch intimer und eindringlicher.
Vielleicht liegt ja Dortmund auch gar nicht im Ruhrgebiet, sondern irgendwo in den Weiten des US-amerikanischen Südens, wo bei einem T-REKK zu Fuße die flirrende Luft in einer kargen Landschaft die Künstler zu kreativen Höchstleistungen anspornt?


REKK: Sixtytwo
Stargazer Records, 2016

Eine Klaviermelange mit südkoreanischen Wurzeln

Von wegen verknöcherte und vergeistigte ältere Herren als Protagonisten an den weißen und schwarzen Tasten. Die Zukunftshoffnung am Klavier ist jung und weiblich.
Die aus Südkorea stammende Younee offenbart Charme wie Charisma.
Auf ihrem Debutalbum "Jugendstil" griff sie noch auf bekannte Komponisten wie Mozart, Beethoven oder Rachmaninoff zurück.
Ihr neuestes Album "My Piano" enthält nun elf Eigenkompositionen.
Younee zelebriert hierauf keine künstliche Virtuosität, sondern nimmt den Zuhörer auf eine Reise mit, die sich einer strikten Schubladisierung verweigert.
"Crossover" heißt das Zauberwort, wenn Klassik, Jazz und Blues eine Melange eingehen.
Und Younee macht hieraus einen gefühlvollen, temporeichen Ohrenschmaus zwischen Furioso und Pianissimo, zwischen dem verhaltenen "Ansbach Blues" und dem fulminanten "Toccata And Blues In E Minor".
Ob Younee wirklich "unique" ist, wie es die Werbebotschaft des Plattenlabels verkündet, mag sich nach zwei Alben noch nicht erschließen.
Sie ist zweifelsohne aber auf einem guten Wege, sich diese bereits attestierte Einzigartigkeit zu erspielen.


Younee: My Piano
Fulminantmusic, 2016

Skurrile Anweisungen für ein Klavierduo

Klassische Musik ist auch Jahrhunderte nach dem Tod von Komponisten wie Mozart, Bach oder Beethoven noch immer en vogue.
Die modernen Komponisten fristen dagegen eher ein Schattendasein
Die Schwestern Katja und Ines Lunkenheimer bieten auf "Oscillations - Schwankungen" die Gelegenheit, zeitgenössische Musik von Frédéric Bolli, Holmer Becker und Hans Kraus-Hübner (der auch das titelgebende Stück verfasste) kennenzulernen.
Bereits zu Jugendzeiten musizierten die beiden gemeinsam. Als Klavierduo erspielten sie sich einen 1. Preis beim Bundeswettbewerb "Jugend musiziert".
Nach etlichen weiteren künstlerischen Stationen legen sie mit "Oscillations - Schwankungen" ihre zweite CD als mittlerweile routiniertes Duo an den Tasteninstrumenten vor. Die größtenteils vierhändig zu spielenden Stücke sind keine musikalischen Wohlfühlbäder.
Lyrische Einschübe kontrastieren mit lebhaften Teilen, verspielte Klavierpassagen treffen auf erratisch anmutenden Momente, Leichtigkeit widersetzt sich strenger Konstruktion.
Mit seinen skurrilen Anweisungen erweist sich der Komponist Frédéric Bolli eher als Humorist. Diese lauten etwa: "etwas nonchalant", "befreiend" oder "schmunzelnd".
Das finale Stück "I dodici mesi" widmet sich den zwölf Monaten, die jeweils als Präludien bzw. Fugen in musikalische Töne gesetzt wurden.
Die nahtlos ineinander übergehenden Monatspaare zeugen nicht zuletzt davon, wie flugs die Zeit vergeht...


Katja & Ines Lunkenheimer: Oscillations - Schwankungen
TYXart, 2015

Welchen Harfenklang hat die Farbe Weiß?

Gibt es Harfenmusik jenseits klassischer Stücke oder gefühlsduseliger Anbiederung an die keltische Musik?
Die in Berlin geborene und in Nürnberg aufgewachsene Maja Taube hatte bereits mit acht Jahren ihre erste Begegnung mit diesem Musikinstrument.
Nach dem Studium sammelte sie Erfahrungen in mehreren im Frankenland beheimateten Orchestern sowie in regionalen Musikgruppierungen.
Ihre zweite Solo-CD "Klanggewebe" entstand als Crowdfunding-Projekt.
Man darf den Schwarmfinanziers dankbar sein. Denn Maja Taube besticht mit einer beeindruckenden Fingerfertigkeit.
Es sind dreizehn Klangperlen, die vielschichtige Melodiebögen aufweisen, mal in zurückhaltendem, mal in treibendem Tempo.
Die Harfenistin offenbart kein Fast Food für die Ohren und auch keinen esoterischen Klangbrei.
Es sind ungekünstelte, klar vorgetragene Stücke, die man "nur" genießen kann, die aber auch dazu animieren, die Titelassoziationen der Künstlerin aufzugreifen.
Welchen Klang hat die Farbe Weiß, wie klingen Spiegelungen?
Maja Taube findet hierauf mit ihrer Harfenmusik bezaubernde Antworten...


Maja Taube: Klanggewebe
Edition Metropolmusik (
Direktvertrieb über die Künstlerin), 2015

Jeder bete für sich allein ...

Zeugt es von Mut oder von Provokation, in Zeiten wie diesen ein Album mit dem Titel "Deutschland" zu veröffentlichen?
In seiner gut 35-jährigen musikalischen Karriere hat sich Heinz Rudolf Kunze des Öfteren dieses Land vorgenommen. So gab es von ihm noch in den Jahren der beiden deutschen Teilrepubliken den Liedtitel "Deutschland" mit dem Untertitel "Verlassen von allen guten Geistern".
Das Cover seiner CD-Neuerscheinung macht stutzig: Es zeigt eine reparaturbedürftige Straße, von Baustellen gesäumt, in einer bürgerlichen Vorstadtsiedlung.
Symptomatisch für das Deutschland im Jahre 2016?
Kunze liefert jedenfalls keine einfachen Antworten. Der intellektuelle Welterklärer bietet unterschiedliche Botschaften an und verpackt sie mit seiner Band "Verstärkung" in rockige Töne, die auch mal in Richtung Blues, Funk oder Pop tendieren.
Am klarsten positioniert er sich im Lied "Jeder bete für sich allein" - mit einem eindeutigen Plädoyer gegen religiöse Monopole.
Die Single-Auskopplung "Das Paradies ist hier" ist keine naive Anbetung Kohl'scher Wohlstandsoasen. Kunzes Credo: Trotz aller Katastrophenmeldungen gilt es, sich Lebensfreude zu bewahren und "etwas aus dem Leben zu machen".
Eher philosophisch angehaucht ist der Song "Zu früh für den Regen". Harmonische Gitarrenklänge kontrastieren zu einer existentialistisch anmutenden Ortsbeschreibung - Camus lässt grüßen.
Die Lebenserinnerungen eines alten Zauberers münden dagegen in die finale Erkenntnis: Das Leben ist "ein fauler Trick".
Am Rande des Kalauers befindet sich das dem Küssen gewidmete Lied "Mund-zu-Mund-Beatmung".
In Zeiten von Pegida & Co. ist Kunze die geistig wie musikalisch belebende und herausfordernde Alternative für Deutschland...
Wie reimt er so schön treffend im Titelsong:
"Jeder gute Deutsche hat sich an Dir gerieben -
denn so einfach ist es nicht, dieses Land zu lieben."


Heinz Rudolf Kunze: Deutschland
RCA/Sony Music, 2016

Eine Violonistin auf Speed

Die Violine wird gemeinhin als Instrument den klassischen Kompositionsstücken zugerechnet.
Dass hiermit aber auch moderne, powervolle Stücke geschrieben und gespielt werden können, stellt Sarah Neufeld eindrucksvoll mit ihrer zweiten CD-Einspielung "The Ridge" unter Beweis.
Die Kanadierin fungiert als Violinistin wie Komponistin und wurde bekannt als Mitglied der Grammy-prämierten Indierock-Band "Arcade Fire".
Obwohl es schon immer zur ihrer Übungspraxis gehörte, mit Improvisationen und Solo-Kompositionen zu arbeiten, begann Neufeld erst 2011 ernsthaft damit, Stücke für ihre Violine zu komponieren.
Béla Bartok, Steve Reich, Iva Bittova und Arthur Russel zählt die 36-Jährige zu ihren Einflüssen.
Auf ihrem jüngsten Album wird der Gesang mehr als zuvor betont, das Wechselspiel zwischen Stimme und Violine ist gekonnt in die Kompositionen eingebunden.
Die Stücke strahlen eine unglaubliche Dichte aus, die an Veröffentlichungen der irischen Künstlerin Enya erinnern... allerdings ist Sarah Neufeld sozusagen eine "Enya auf Speed".
"The Ridge" fesselt durch eine intensive und dynamische Atmosphäre ... für meditative Zwecke ist sie eher nicht geeignet.


Sarah Neufeld: The Ridge
Paper Bag Records/Indigo, 2016

Eine sehr langwierige CD-Aufnahme

Nur wenige Musikinteressierte werden sich noch an das Lied "Auf der Jagd nach der Zukunft" von der gleichnamigen Schallplattenveröffentlichung erinnern, das einen Sänger namens Thomas Kagermann für kurze Zeit im Westen der Republik bekannt machte.
Aber Thomas Kagermann wollte diesen Weg nur wenige Jahre weitergehen. Sein stimmliches Potential hätte durchaus mehr hergegeben.
Er wandelte sich zum "Violunar", der die Geige in den Mittelpunkt seines künstlerischen Schaffens stellte. Genauer gesagt: wieder in den Mittelpunkt stellte, denn als Geigenspieler in diversen Folkrock-Gruppen begann seine musikalische Vita in den 70er Jahren.
Mit "Delicious Fruit" gelang ihm 1997 eine fantastische Einspielung, in der auch jiddisches Kulturgut Eingang fand.
Es folgten mehrere Veröffentlichungen, in der das Violinspiel bis in ätherische oder esoterische Höhen getrieben wurde.
Und nun die CD "Im Reich von dieser Welt".
Ein komplexes Liedalbum, das unglaublicherweise allein von ihm gesungen und eingespielt wurde, wohlgemerkt alle Violinpassagen, alle Gitarren, alle Gesangslinien...
Kagermann nahm sich für die Erstellung dieser CD annähernd neun Jahre Zeit. So konnte dieses Album reifen, so konnte er auch komplexe Streichersätze aufnehmen, die es erforderten, für wenige Takte 20mal Violine zu spielen.
Mit dem neuen Album wurde aus dem Violunar wieder ein Liedpoet, der die deutsche Sprache für eine wundervolle Gesangssprache hält: facettenreich, präzise, kurvenreich, holprig, geradeaus, detailgenau...
Als Liedpoet stellt er einerseits sein Können bei selbst getexteten und komponierten Stücken heraus; andererseits trägt er vermeintlich abgenudelte Fremdtexte bzw. -kompositionen wie "Die Loreley" (Heinrich Heine) oder "Sag mir, wo die Blumen sind" (im Original von Pete Seeger) mit künstlerischer Passion vor.
Die Angestellte einer Autofirma soll übrigens diese mehrjährige CD-Aufnahme angestoßen haben. Sie konnte sich an das eingangs erwähnte Lied erinnern, als sie Thomas Kagermann als Kunden bedienen durfte...Ihr folgenreicher Wunsch: ein neues Liedalbum von ihm.
Und so entstanden vierzehn bezückende Stücke, die die Liebe und die Natur wie auch Kagermanns universale Religionsauffassung beinhalten.
"Am Kanal" ist eine sanfte Ballade wider die Kommerzialisierung der Naturnutzung.
Das Lied "Alles ist Eins" endet mit den Zeilen:
Der Töter ist daher nicht intelligent, er tötet ein Stück von sich selbst
Waffen als Stachel im eigenen Fleisch, die du durch Steuern erhältst
Schlägt der Mensch der Natur ins Gesicht, so sind die Folgen fatal
Sein blaues Auge spürt er vielleicht nicht, doch wirkt er international.
Thomas Kagermann ist ein fein- wie tiefsinniger Künstler, der in persönlichen Begegnungen auch als ein Zeitgenosse mit Esprit und spontanem Witz besticht.


Thomas Kagermann: Im Reich von dieser Welt
MP Records
(Direktvertrieb über den Künstler), 2015

Isländische Zerbrechlichkeiten

Island? Eine Insel im hohen Norden mit weniger Einwohnern als beispielsweise Leipzig. Island? Für Fußballanhänger ein Land, das im vergangenen Herbst die durchaus sporthistorische Qualifizierung für die kommende Europameisterschaft erreicht hat.
Und das musikalische Potential Islands?
Der Sänger und Liedermacher Svavar Knútur gilt zwar als ein großer Fan der deutschen Sprache, aber sein jüngst erschienenes Album hat er trotzdem nicht nach einem Grundnahrungsmittel benannt.
"Brot" heißt auf Isländisch "das Zerbrechen". Im Titelsong der CD geht es darum, dass der Barde und sein kleines Boot es trotz widriger Winde und wuchtiger Wellen heil zurück an das Ufer geschafft haben. Um einen kurzen Moment des Atemholens zu genießen, bevor wieder die Segel zu neuen Abenteuern gesetzt werden.
Svavar Knútur zeigt sich durchaus bewandert in unterschiedlichen Musikstilen - von langsamen, getragenen bis zu rockigen Nummern. Sozusagen stilsicher zwischen den Stilen: mal ein sanfter Barde, mal ein unberechenbares Springteufelchen.
Sprachlich wechselt er zwischen Isländisch und Englisch. In "Girl from Vancouver" gibt er sich, um des Reimes willen, eher albern, während er in "Little Things" ein lyrisches Liebesbekenntnis abliefert, das die kleinen Besonderheiten der Liebsten in Augenschein nimmt.
Die musikalischen Variationen der zehn Lieder sind nicht nur in den wechselnden Tempi begründet. Sparsam dosierte Begleitung reiht sich an eine orchestrale Instrumentierung.
Der finale Song "Slow Dance" hat durchaus Anklänge an bekannte Stadionrockhymnen. Wie er dies im Livekonzert dann umsetzt, kann zum Beispiel am 12.02. in Berlin, am 13.02. in Leipzig und am 18./19.02. in Dresden verfolgt werden.
Svavar Knútur hat jedenfalls ein unüberhörbares Talent fürs Songschreiben.


Svavar Knútur: Brot
Nordic Notes, 2015

Bewegungspflicht

Das Kölner Publikum wird auf die "Bewegungspflicht" hingewiesen. Bloßes Vergnügen reicht eben nicht aus...
Aber die dargebotene Musik bleibt auch nicht in den Gehörgängen stecken, sondern geht direkt in die Beine. Ruhiges Zuhören im Sitzen oder im Stehen ist hier wirklich ein Ding der Unmöglichkeit.
Zwar haben sich Fiddler's Green in den 25 Jahren ihres Bestehens noch nicht den Bekanntheitsgrad der irischen Kultband Dubliners erspielen können, doch sie haben mittlerweile deutschlandweit eine beachtliche Fangemeinde, die ihren Stil irischer Volksmusik, der sehr rockig unterlegt ist, schätzen. Das Sextett aus Erlangen bezeichnet diese Musik als "Irish Speedfolk", eine kreative Mischung aus Folk, Rock, Reggae, Ska und Punk.
Auf dem Livealbum "25 blarney roses" bieten sie einen Querschnitt ihres musikalischen Schaffens. Neben original irischen Kompositionen (etwa das titelgebende "Blarney Roses") gibt es eine Vielzahl an eigenen Stücken. Die fränkische Combo pflegt in authentischer Manier die Lebensfreude der grünen Insel.
Schon Heinrich Böll hatte ja in seinem "Irischen Tagebuch" eine literarische veredelte Ode an das aus Sicht eines Kontinentaleuropäers kauzig anmutende Inselvölkchen geschrieben.
So denken Deutsche bei negativen Erlebnissen oder Ereignissen immer in Katastrophendimensionen. Die Iren dagegen hätten, so Böll, eine Haltung kultiviert, die da lautet: "It could be worse!" Es könnte ja noch schlimmer kommen ...
Vielleicht ist es ja gerade ihre Musik, die vor allzu depressiven Anwandlungen schützt? Mit Gitarre, Geige, Banjo, Mandoline und Akkordeon gelingt es Fiddler's Green, in ihren Konzerten diesen irischen Musik- und Lebensstil auf die Bühne zu zaubern.
Und die CD hält ihr Kölner Konzert auch für die Nichtanwesenden fest.
Aber auch für CD-Hörer gilt natürlich: Bewegungspflicht!


Fiddler's Green: 25 blarney roses - Live in Cologne
Deaf Shepherd Recordings/Indigo, 2015
(eine DVD-Veröffentlichung ist ebenfalls erhältlich)


P.S.: Im April 2016 traten Fiddler's Green u.a. in Potsdam, Bonn, Halle und Karlsruhe auf .