Glitterhouse Records

Ein musikalisches Rezept gegen Arsonphobie

Die Sommerhitze ist vorbei. Wer sich musikalisch etwas Wärme zurückholen will, dem sei das zweite Werk der britischen Folk-Band Keston Cobblers Club empfohlen.
Wie der Albumtitel vermuten lässt, lodern die Flammen von "Wildfire" in unerwartete Richtungen, finden ihren Ursprung aber in der Wärme eines harmonischen Bandgefüges, das das zusammen singt, spielt und melodisches Liedgut kreiert.
Geschrieben vom Geschwisterpaar Matthew und Julia Lowe, wurde "Wildfire" teils in einem Landhaus in der englischen Grafschaft Devonshire, teils im Wohnzimmer des Elternhauses der beiden Geschwister in Kent aufgenommen und größtenteils selbst produziert.
Mühelos bewegt sich "Wildfire" zwischen Licht und Schatten und überzeugt durch den gekonnten Spagat zwischen Ernsthaftigkeit (wie der dramatische Eröffnungssong "Laws" oder das dunkel-düstere "Sober") und Unterhaltung (etwa das sommerliche "Win again" oder das Seemannslied "St. Tropez"). Die Singleauskopplung "Won't look back" will mit ihrem hymnenhaften Chorus dazu aufrufen, den Kopf nicht hängen zu lassen. Hervorzuheben ist auch das Titellied, das von Julias Angst vor Feuer (der Fachmensch spricht hier von Arsonphobie) handelt. Und sie definiert auch das Rezept, nach dem ihre Lieder "gebacken" werden, wie folgt: "That's strong vocal harmonies, powerful drums and hooky melodies." Und das Ganze dann gut umrühren...
Die Musik von Keston Cobblers Club ist kein angestaubter Folkrock der 70er Jahre, sondern es handelt sich um dynamische Songs, die ohne falsches Pathos oder aufgesetzte Fröhlichkeit bestechen.

Keston Cobblers Club: Wildfire
Glitterhouse Records, 2015

Musikalische Fangnetze

„Casting Nets“ sind die von Fischern verwendeten Wurfnetze. Wenn man diesen Begriff auf die gleichnamige CD der neuen Musikband Distance, Light & Sky anwendet, dann kann man die berechtigte Frage stellen: Welches neue Wurfnetz setzt der seit gut drei Jahrzehnten musikalisch aktive Chris Eckman ein?
Kurze Rückblende: 1983 lernt der Student Chris Eckman beim Jobben in einer Fischfabrik in Alaska die bisher als Straßenmusikerin aufgetretene Carla Torgerson kennen. Im Folgejahr ziehen sie beide nach Seattle, der damaligen heimlichen musikalischen Hauptstadt der USA, und gründen „The Walkabouts“. Diese Gruppe arbeitet im Lauf der kommenden Jahre und Jahrzehnte mit verschiedenen Gastmusikern (etwa Peter Buck von R.E.M. oder Brian Eno) zusammen und durchlebt als eine der führenden „Alternative Rock“-Bands die Höhen und Tiefes des Musikgeschäfts, mal bei einem kleineren unabhängigen Label, mal beim großen Musikkonzern Virgin Records.
Chris & Carla treten auch als Duo bzw. in anderen Besetzungen auf, sie sind eine Zeit lang nicht nur musikalische Partner….
Und nun? Der etwas spröde anmutende Bandname „Distance, Light & Sky“ vereint Chris Eckman, die niederländisch-britische Sängerin Chantal Acda und den belgischen Percussionisten und Komponisten Eric Thielemans.
Wohl wissend um ihren höchst unterschiedlichen biografischen wie musikalischen Hintergrund vertreten sie den Anspruch, als drei gleichberechtigte Musiker mit einer gemeinsamen Vision und auf Dauer aufzutreten, eben kein neues Seitenprojekt der Walkabouts darzustellen.
Dieser musikalische Ablösungsprozess ist ihnen noch nicht vollständig gelungen Denn wenn Chris und Chantal im Duett singen, dann werden unweigerlich die Parallelen zu Chris und Carla gezogen.
Hat sich Mister Eckman rettungslos im altbewährten Netz der Walkabouts verheddert?
Das erste Fangergebnis von Distance, Light & Sky sollte jedenfalls nicht zu gering geachtet werden. Aufgenommen in den Prager Sono Studios, ist dem Trio eine zeitlose Musik im Genrebereich Alternative-Rock/Folk-Rock gelungen, die durch ihren harmonischen Sound eine große Entspanntheit ausstrahlt und den Zuhörenden zunehmend gefangen nimmt.
In solch einem Netz zappelt man einfach gerne…


Distance, Light & Sky: Casting Nets
Glitterhouse, 2014

Applausfreie Entschleunigung

Eine Live-CD ohne Applaus? Das scheinbare Paradox lässt sich schnell klären; die fünfköpfige Musikgruppe "Spain" um Josh Haden (einem Sohn des bekannten Jazz-Bassisten Charlie Haden) hat sich für eine Live Session in die Räumlichkeiten des Senders KCRW im südkalifornischen Santa Monica begeben.
Spain hat bisher zwei Existenz- und Schaffensphasen.
Zwischen 1995 und 2001 entstanden drei Alben. Im Jahr 2012 kam es dann zu einer überraschenden Rückkehr mit der CD "The Soul of Spain".
Der melancholisch-warme Sound der Band wird dem "Slowcore"-Stil zugeordnet. Mit "Slowcore" ist das musikalische Pendant zum gesellschaftlichen Begriff der Entschleunigung gemeint. Die Musik von Spain zelebriert in genussvoller Art diese Langsamkeit. Dies wirkt beileibe nicht gekünstelt; vielmehr unterstreicht die elegische, beinahe mantrenförmige Spielweise die gefühlvolle Intensität der einzelnen Lieder.
Die CD "The Morning Becomes Eclectic Session" bietet mit sieben Liedern einen Querschnitt und Rückblick auf das bisherige Schaffen der Gruppe.
Bei diesen applausfreien Liveaufnahmen wird die Band von den Haden-Schwestern Petra, Rachel und Tanya (Violine, Cello, Backing Vocals) unterstützt. Diese geschwisterliche Mithilfe bringt nochmals ein hörbares Qualitätsplus.
Vor der nächsten Studioveröffentlichung im Frühjahr 2014 offeriert Spain ein eher kurzes "Zwischendurch-Album" mit Nachhall.
Am längsten klingt wohl das durch Johnny Cash's Cover berühmt gewordene "Spiritual" nach.


Spain: The Morning Becomes Eclectic Session
Glitterhouse Records, 2013

Musikalische Zugaben zum Firmenjubiläum

Einen CD-Sampler zum Firmenjubiläum? Für eine Konzertagentur sicherlich ein passendes "Give away", was für die Besucher des Jubiläumsgeburtstags-Festivals im Juli 2013 in Berlin als Dreingabe, quasi als Zugabe, bereitgestellt worden ist.
Und elf Zugaben sind es auch, die in Livekonzerten der letzten Jahre von Interpreten, die durch die Konzertagentur Berthold Seliger betreut werden, mitgeschnitten worden sind.
Berthold Seliger hat es verstanden, eine qualitativ mehr als respektable Liste an Interpreten, speziell aus den Genres "Alternative Rock" und "Weltmusik" als Agent für Konzerte in Deutschland und im europäischen Ausland zu akquirieren.
Man kann trefflich darüber streiten, ob die Lieder aus dem Zugabeblock wirklich immer als ultimative Erinnerungsstücke eines Konzerts taugen. Ob es nicht häufig, so die subjektive Erfahrung des Rezensenten, das letzte Lied vor dem Zugabeblock ist, das den nachhaltigsten Eindruck hinterlässt.
Schwamm drüber... es ist jedenfalls eine gelungene Auswahl, die unter dem Titel "Absolutely Live 2013 - Zugaben" veröffentlicht worden ist. Die fünf "Absolutely Live" - Vorgängeralben sind übrigens ebenfalls in limitierter Auflage erschienen und zwischenzeitlich längst vergriffen.
Es handelt sich hierbei um ungefilterte Liveaufnahmen aus Konzerten in jüngster Zeit, wenngleich für den CD-Hörer mit den elf Stücken nicht immer eine prickelnde Liveatmosphäre eingefangen worden ist.
Klare Favoriten und Anspieltipps sind für mich die Lieder von Depedro, The Walkabouts, Bratsch, Lambchop und Calexiko & Blind Pilot. Gerade bei diesen Stücken ist ein bewegungsloses Zuhören im häuslichen Schaukelstuhl nahezu unmöglich.
Die limitierte Auflage ist kein Marketing-Gag. Deshalb gilt in diesem Falle der dringende Rat, bei Interesse baldmöglichst den CD-Kauf zu tätigen, obgleich die Angabe im Booklet, die CD sei im freien Handel nicht erhältlich, nicht ganz zutreffend ist. Denn sie wird auch vom Glitterhouse-Mailorder vertrieben - dort hat sie der CD-Rezensent käuflich erworben. Damit braucht er nicht das Verdikt des Agenturchefs Berthold Seliger zu fürchten, der in seinem regelmäßig erscheinenden Mailnewsletter immer wieder Journalisten brandmarkt, die sich bei Konzerten reichlich mit Freikarten eindecken wollen.
In besagten Newsletter-Ausgaben erweist sich Berthold Seliger als gnadenlos kritischer Beobachter der aktuellen politischen und kulturellen Zeitläufte und genießt es wohl auch, seine teils unorthodox linken, teils kruden Ansichten (etwa über Nordkorea) zu verbreiten.
Bei manchen seiner Anmerkungen ist die Grenze von Kritik zu (vermeintlicher) Rechthaberei und Besserwisserei fließend. Und vermutlich ärgert es ihn wohl selbst am meisten, dass in seiner persönlichen Jubiläumsschrift im CD-Booklet das Gründungsjahr seiner Agentur fälschlicherweise mit 1998 angegeben ist. Oder wollte er hier seine Kritiker testen?
Dieser Lapsus schmälert jedenfalls nicht sein Gespür für interessante musikalische Bands und Einzelinterpreten. Auf "Absolutely Live 2013" ist dies nachzuhören...


Various Artists: Absolutely Live 2013 - Zugaben
Almaviva Records, 2013
Bezug über die Konzertagentur Berthold Seliger, Berlin oder den Glitterhouse Mailorder, Beverungen.

Zwischen Aarhus und Arizona

Vier waschechte Dänen aus Aarhus, Musiker mit Leib und Seele und mit starker Affinität zum melancholischen Indie-Rock amerikanischer Prägung, bilden die Band "The DeSoto Caucus": Anders Pedersen, Peter Dombernowsky, Nikolaj Heyman und Thoger T. Lund.
Sie profitierten in ihrer Entwicklung sicherlich vom Split der Indie-Bandlegende Giant Sand. Derem führenden Kopf Howe Gelb kamen vor etwa zehn Jahren zwei kreative Musiker, nämlich die Herren Burns und Convertino, abhanden, da diese beiden fortan als Chefs der Band "Calexiko" firmierten und sich ganz auf dieses ursprünglich musikalische Nebenprojekt konzentrierten. Fortan verstärkten die dänischen Musiker die Gruppe Giant Sand.
Und da Howe Gelb immer wieder eigene Wege ging oder andere musikalische Kombinationen zeitweise favorisierte, beispielsweise mit einem Gospelchor in Kanada tourte, nutzten die vier Dänen die Gunst der Stunde, also die freie Zeit, um als eigenständige Band Lieder aufzunehmen und mit diesen auch aufzutreten.
"Offramp Rodeo" ist ihr zweites Album betitelt.
Und es ist ein kleines Juwel für Freunde amerikanischer Rockmusik, speziell der Südstaaten, geworden. Aarhus scheint in Arizona zu liegen, dort halten sich die vier Dänen öfters auf... und hier lassen sie sich auch inspirieren.
Sie lassen den Hörer aber nicht in weltschmerzumtosten Wogen von Mollakkorden untergehen. Sie bieten stilsichere Musik und garnieren sie mit Texten jenseits von Weltuntergangslarmoyanz oder Lagerfeuerromantik:
Here is one to tell you
we’re outrun anyway
that trouble comes in all colors
but always leave you in the grey.
Teilweise spielen sie mit Worten und Gedankenassoziationen ... und wenn schon resignieren, dann aber bitte mit Stabreim:
reluctant resignation
under heavy clouds.
Ihre Musik strömt eine coole Abgeklärtheit aus, die eine soghafte Wirkung beim Hörer hinterlässt. Die lässigsten Amerikaner scheinen ihren Erstwohnsitz in Aarhus zu haben.


The DeSoto Caucus: Offramp Rodeo
Glitterhouse Records, 2013

Amerikanischer Wehmuts-Rock

1984 haben Chris Eckman und Carla Torgerson (beide Gesang & Gitarre) die Band "Walkabouts" aus der Taufe gehoben. Und sie haben es im Laufe der Jahre geschafft, zu den Arrivierten der Alternativrockszene sich empor zu arbeiten.
Die Musik der Walkabouts ist ein Mix aus Folk, Blues, Country und Rock - in unterschiedlichen Ausformungen und Stilen.
Auch in deutschen Landen hat sich die US-Band mittlerweile eine treue Fangemeinde geschaffen. Und so nimmt es nicht Wunder, dass sie ihr Konzert am 14. Juli 2012 im Berliner "C-Club" als Livealbum unter dem schlichten Titel "Berlin" veröffentlicht haben.
Zu hören sind ein gutes Dutzend Lieder, zum einen aus der jüngsten Studioveröffentlichung "Travels in the Dustland", zum anderen querbeet aus dem umfangreichen Fundus der vergangenen drei Jahrzehnte, unter anderem "The Light will stay on", den heimlichen Hit der Band aus dem Jahr 1996.
Die markanten Stimmen der Gründungsmitglieder Chris & Carla wechseln sich bei den einzelnen Stücken ab. Wie ein roter Faden ziehen sich wehmütige Impressionen durch die Lieder, routiniert vorgetragen und gespielt.
Dass sie nach einem mehrjährigen Ausflug zum "Major Label" Virgin Records in den 90er Jahren wieder zurück zu Glitterhouse Records gefunden haben, hat womöglich den großen kommerziellen Durchbruch verhindert. Aber sie hatten und haben somit die kreativen Freiräume, ihre musikalischen Vorstellungen (gelegentlich auch in anderen musikalischen Zusammenschlüssen) auf Platte bzw. CD zu pressen.


The Walkabouts: Berlin
Glitterhouse Records, 2012