Ein Kafka der Popmusik

Gut drei Jahrzehnte währt schon die musikalische Karriere von Heinz Rudolf Kunze. Mit seinem Anfang der 80er Jahre erschienenen Album „Reine Nervensache“ ließ er sich noch eindeutig in das Genre „Liedermacher“ rubrizieren. Und manche Kritiker hefteten ihm aufgrund seiner bissigen und sarkastischen Texte das Etikett „Niedermacher“ an – mit dem Lied „Bestandsaufnahme“, auch nach gut dreißig Jahren noch sehr hörenswert, machte er sozusagen eine ganze Generation nieder. Ein kurzer Textauszug mag dies verdeutlichen:

„Wir sind jetzt mündig, und wir haben nichts zu sagen,

wir wählen selbstverständlich weiter Es-Pe-De,

Wir haben keinen Grund, uns wirklich zu beklagen.

Der Sozialismus täte uns ein bisschen weh.“

Mit der Singleveröffentlichung „Dein ist mein ganzes Herz“ eroberte er 1985 sogar die westdeutschen Hitparaden.

Doch für aufmerksame Zuhörer taten sich selbst in diesem musikalisch weichgespülten Liebeslied interessante Textfallen auf.

In den Folgejahren gab es nicht nur viele weitere Platten, sondern auch mehrere Buchveröffentlichungen sowie Auftragsarbeiten (von Musicals bis zum offiziellen Song für den Evangelischen Kirchentag). Der studierte Germanist Kunze weigerte sich zwar, die berufliche Karriere als Deutschlehrer aufzunehmen, aber er gerierte sich oft und gerne als Deutschlehrer für die ganze Nation.

2006 erscheint dann nach einer Tournee mit dem Musiker Wolfgang Stute die erste Veröffentlichung („Kommando Zuversicht“) unter dem Projektnamen „Räuberzivil“. Und nach dem Zweitlingswerk 2009, schlicht „Räuberzivil“ betitelt, folgt nun 2012 mit „hier rein – da raus“ das dritte Doppelalbum.

Die Räuberzivil-Ausgaben liefern musikalisch keinen neuen bombastischen Deutschrock, sondern reduzieren bzw. fokussieren sich auf akustische Stücke mit Gitarre und Klavier. Ein markanter Farbtupfer wird durch Hajo Hoffmans Mandoline und Violine gesetzt (sein Violinen-Solo ist live übrigens ein akustisches wie optisches Erlebnis!).

Das jüngste Opus enthält 21 Lieder und 13 teilweise musikalisch untermalte Sprechtexte.

Aus dem „Niedermacher“ von einst wurde kein altersmilder Verklärer der gegenwärtigen Zustände. Aber er gesteht sich und seiner Umwelt „Mildernde Umstände“ (so ein Songtitel) zu. In „Lied für Berlin“ liefert er eine Liebeserklärung an die Hauptstadt. Er delektiert sich an den alltäglichen Unglaublichkeiten und Verrücktheiten dieser Stadt und meidet die sattsam bekannten Aussagen zu architektonischen oder sonstigen Gigantomanien.

„Ein und Aus“ greift auf witzige Weise den bürokratischen Wahn der Moderne auf, während „Nimm es nicht persönlich“ eine originelle Querverbindung zwischen General Custer, Jesus und Jimi Hendrix herstellt.

Im Lied „Mach es wie ich“ steckt natürlich eine gehörige Portion Ironie, wenn er hymnenartig singt: "Die Arbeiterklasse braucht Helden wie Dich..."

Kunze betrachtet die Welt mit der Brille des intellektuellen Querdenkers. Seine Sprechtexte sind beim ersten Anhören oft verstörend; ihr Sinn erschließt sich nicht unmittelbar. Aus dem Liedermacher von einst wird so immer mehr ein hyperaktiver Kafka der Popmusik.

Und seine kreative Power scheint noch lange nicht zu Ende. Ab Januar 2013 wird er mit dem „Prinzen“-Musiker Tobias Künzel als „KuK“ (Kunze und Künzel) auf Tournee gehen.


Heinz Rudolf Kunze & Räuberzivil: hier rein - da raus
Rakete Medien, 2012